Stefan G. Rohr

Das geliehene Glück des Samuel Goldman


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Anwesenheit empfand er mehr als angenehm, ja sogar ein wenig aufregend, denn er glaubte bemerkt zu haben, wie Mary hinter ihrer Härte und spröden Sachlichkeit auch eine sehr weibliche Sanftheit verbarg. Sam entschied sich aber, derlei Gedanken nicht weiter zu verfolgen und nickte auf Marys Frage geflissentlich mit dem Kopf. „Wenn Sie es verantworten können, dass ich Ihretwegen mein heutiges Blind-Date verpasse, dann ist es ok!“

      Und schon war McDorman an der Tür. Als ihm geöffnet wurde, kam er atemlos herein und übergab seiner Chefin die Laptoptasche und die geforderte Pizza. Der junge Mann stand, immer noch fast in der Türe, unsicher da und schaute mit einem hochroten Gesicht und einem leicht irre wirkenden Lächeln auf Goldman, dann wieder auf Mary, die seine Blicke bemerkte.

      „Was ist noch, Peter?“ fragte sie schroff. „Hast Du Deinen Kollegen im Kamerawagen auch schon eine Pizza gebracht?“

      McDorman begann aufrichtig zu lächeln: „Die fressen nur Menschenfleisch!“ Und so stand er weiter da, wie angewurzelt, und machte keine Anzeichen das zu verändern.

      „Dann gehe zu ihnen, und opfere Dich“ befahl Mary noch schroffer.

      „Man würde Dich wegen Beihilfe …“ versuchte ihr Assistent als letzten Versuch.

      „McDorman! Raus!“ Jetzt hatte sich Mary verständlich genug gemacht. Der junge Mann drehte sich fast ruckartig zur Türe, und schon war er mit einem Satz wieder draußen.

      Sam und Mary aßen ein wenig und schauten dabei, bewusst Langeweile vortäuschend, mal hierhin, dann mal dorthin. Sie schenkten sich ein kurzes Lächeln und Sam verschluckte sich zweimal hintereinander, was ihm sehr peinlich war und ihm die Röte ins Gesicht trieb. Mary Thompson zog nun einen Vertrag aus ihrer Tasche, den Sie zuvor im Büro optimistischer Weise vorbereitet hatte. Sie trug schnell die Daten von Sam ein, und dann reichte Sie ihm das Dokument.

      „Sie sind Banker“, sagte sie dabei fast beiläufig, „Verträge werden nichts Neues für Sie sein. Aber wenn Sie Fragen haben ….“

      Sam begann zu lesen. Er merkte gleich, dass dieses Dokument darauf abzielte, ihn mit Haut und Haaren zu schlucken. Er dachte aber auch, dass es sich ja, wie von seinem Gegenüber angekündigt, um einen Exklusivvertrag handelte und sah deswegen keinen Grund, sich etwa nicht entsprechend fest zu binden.

      „Ein Feld ist nicht ausgefüllt …“ Sam zeigte auf die Stelle in dem Dokument, wo eine längere Linie aus Punkten den Platz freihielt, der für die Honorarsumme vorgesehen war. Er nahm noch ein Pizzastück, biss einen Happen ab, kaute genüsslich und schaute Mary Thompson geradewegs ins Gesicht.

      „Das können wir gerne gleich jetzt besprechen.“ Mary machte ein Gesicht, dass sie besonders professionell erscheinen lassen sollte.

      „Dann besprechen Sie mal …“ Sam machte das Spiel um den Coolsten im Raum gerne mit.

      „Sie haben keine Vorstellung …?“ Mary versuchte es auf diesem Wege.

      „Wenn ich mich recht erinnere, dann haben SIE sich doch als Profi vorgestellt. Zudem wollten Sie mich ja auch zum meinem Schutz und Wohl in allen Sachen an die Hand nehmen.“ Sam grinste sie breit an. „Was würden Sie an meiner Stelle für eine Zahl nennen?“

      „Das hängt ganz davon ab, ob Sie bereit sind, bestimmten Empfehlungen meinerseits zu folgen, die – sagen wir einmal – signifikantere Veränderungen von Ihnen abverlangen.“ Mary wusste, was sie meinte.

      „Die da wären …?“ Sams Spannung wuchs.

      „Sam, ich will Ihnen reinen Wein einschenken, und Sie müssen mich ernst nehmen, ich mache wirklich keine Späßchen mit Ihnen.“ Fuhr Mary mit weiterhin ernster Miene fort. „Sie müssen sofort Ihren Job kündigen, gleich morgen …“

      „Was!?“ Sam glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. „Meinen Job kündigen? Wozu in aller Welt ist das nötig?“ rief er ehrlich erbost.

      „Das hat viele Gründe. Und zwar gute!“ begann Mary zu erklären. „Was glauben Sie wohl wird passieren, wenn Ihre Geschichte, diese unglaublichen Ereignisse, über den Sender gehen, Reportagen über Sie rauf und runter gesendet werden? Was wird das bei den Menschen im Land bewirken? Nicht bei allen, das ist klar. Aber bei ganz vielen.“ Mary machte eine kleine Pause bevor so weitermachte. „Sam, alle werden in Ihnen einen Menschen sehen, der übersinnliche Kräfte besitzt. Man wird Sie dafür nicht nur bewundern. Man wird Jagd auf Sie machen. Man wird versuchen, ein Stückchen Ihrer Kräfte, Ihres Glück, was auch immer, für sich zu ergattern. Durch Handauflegen, durch eine Berührung, durch irgendetwas, was Ihnen gehört oder durch Ihre Hand gegangen ist. Fetischjäger, Verrückte, Menschen, die an Außerirdische glauben und vielleicht überzeugt sind, dass auch Sie ein solcher sind. Es wird aber auch Neider geben. Oder Menschen, die irre sind und versuchen werden, der Welt zu beweisen, dass Sam Goldman ein stinknormaler sterblicher Mensch ist. Es könnte kranke Gehirne geben, die sich mit einem Attentat auf Sie in die Geschichtsbücher bringen wollen. Und was weiß Gott noch mehr. Das ist es, was Sie nicht weiter `normal´ arbeiten lassen wird. Oder wollen Sie, dass täglich ein paar hundert komische Typen zu Ihnen in die Bank kommen und Sie belagern? Wollen Sie jeden Ihrer Schritte nur noch mit zwei Bodyguards machen? Sam, Sie müssen alles kappen, was Sie öffentlich zugänglich mach. Das jedenfalls für eine längere Zeit – damit müssen Sie sich abfinden. Das ist der Preis.“

      Sam fand das alles ziemlich krank. Er holte tief Atem und schaute zum Fenster. „Dann wäre es das Beste für mich, wenn ich erst gar nicht in der Öffentlichkeit auftrete und alles so lasse, wie es ist, Ihren Vertrag nicht unterzeichne, keine Interviews gebe und mich irgendwie durch diese ganze beschissene Sache durchmogle. Das werde ich dann wohl auch noch hinkriegen.“

      „Aber Sam, begreifen Sie denn nicht, “ Mary lehnte sich über den Tisch und ergriff seine Hände, „dass es hierfür schon längst zu spät ist? Peter hat heute Recherchen angestellt, über Sie! In kürzester Zeit hatten wir eine ganze Reihe von Geschichten und Ereignissen über Sie zusammengetragen. Das werden andere doch auch schaffen. Erinnern Sie sich: die Sache mit der Eisenbahn zum Beispiel? Das Lawinenunglück. Oder was im Country-Club so über Sie berichtet wird? Und das ist nur die Spitze des Eisberges. Aber schon das reicht aus, dass die Leute da draußen durchdrehen. Sie SIND bereits ein Phänomen. Sie KÖNNEN deshalb nicht mehr aus der Sache herauskommen. Es ist zu spät. Der Absturz in Durban und die heutige Geschichte in Ihrer Bank – das sind Tatsachen, die Sie unmittelbar zum Mythos gemacht haben. Sie merken davon nur noch nichts, denn der Tsunami braucht noch ein wenig Zeit bis hierher. Sicher ist nur: Er kommt. Und Sie sind dem ohne mich, ohne uns als Team, schutzlos ausgeliefert. Sie haben gar keine wirkliche Wahl mehr. Sie sollten mir vertrauen und machen, was ich Ihnen empfehle.“

      Sam begann die Dimension seiner Geschichte erfasst zu haben. Es war bitter. Es kam schnell, unvorbereitet und hart. Aber dieses hübsche Köpfchen, ihm gegenüber sitzend, hatte die Situation messerscharf beschrieben. Und war es nicht sogar eine einmalige Gelegenheit den Alltagstrott verlassen zu können? Sicher, es drängte ihn bisher nichts zu einem derartigen Gedanken. Dazu war er – wie Zeit seines bisherigen Lebens – einfach zu zufrieden. Aber diese bildhübsche Journalistin vor ihm, die es so gut verstand, ihm zwischen den Zeilen auch ein neues, interessantes Leben zu prophezeien, lockte auf eine magische Weise mit Reizen, die ihm bisher nicht wichtig erschienen waren. Und warum nicht? Was hatte er denn bisher von seinem Glück gehabt? Er hatte es angenommen und mit einer Selbstverständlichkeit abgetan, als wäre es das tägliche Frühstücksei. Sein Glück jetzt auch einmal für sich zu verwerten, eine Summe in diesen Vertrag setzen zu können, hatte auf Samuel Goldman plötzlich eine magnetische Anziehungskraft. Ein Geschäft konnte er machen, ohne Wareneinsatz, ohne Kapital, ohne ein echtes Risiko. Er brauchte sich nur einen kleinen Schubs zu geben, anstatt sich wie Odysseus am eigenen Mast anzubinden, um den Sirenengesängen nicht zu erliegen.

      Doch er wollte zunächst noch etwas mehr wissen. „Erst kündigen, dann sicher auch gleich aus meinem Haus ausziehen … hat Ihr Sender auch so etwas wie ein Zeugenschutzprogramm parat? Denn wenn ich Sie richtig verstehe, dann heißt es für mich, schnellstmöglich unterzutauchen, am besten mit neuer Identität