Christoph Klesse

Rückspiegelungen Episode 1 - Vom Verlieren der Liebe


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mitgehört, sofort erkannt, dass keine Gefahr bestand, und sagte halb scherzhaft: „So, so die junge Dame braucht eine Mund-zu-Mund-Beatmung. Da bist du bei mir an der richtigen Stelle. Das braucht einen ausgebildeten Fachmann“. Evelyn schüttelte peinlich berührt den Kopf. „Na, ich bin dir wohl zu alt. Du möchtest Mund-zu-Mund-Kontakt wohl lieber mit deinem jungen Freund?“ Und zu mir gewandt: „Weißt du denn, wie man das richtig macht?“ Ich schüttelte den Kopf. „Kennt sich sonst jemand in der Technik aus?“ fragte der Bademeister in die Runde. Niemand meldete sich. „Also dann machen wir jetzt eine kleine Übung. Ich erkläre, was zu tun ist“, und an mich gerichtet: „und du mein Junge passt gut auf und führst es mit Hilfe deiner reizenden Freundin vor.“ Der Bademeister erklärte, was zu beachten und zu tun war, und ich stülpte auf sein Geheiß meinen Mund über den von Evelyn, die peinlich berührt stillhielt. Der Bademeister war‘s zufrieden. Die Zuschauer applaudierten und eine ältere Dame bot an, sich zu weiterem Üben zur Verfügung zu stellen, ein Angebot, das ich höflich dankend ablehnte, woraufhin die Dame sich mit einem angedeuteten Kuss auf meine Wange begnügte. Als die Zuschauergruppe sich aufgelöst hatte, nahm der Bademeister uns unter vier Augen ins Gebet und forderte uns auf, uns künftig unauffälliger zu verhalten, sonst drohe Strandverbot.

       Die Berührung unserer Münder hatte Evelyn und mir gefallen trotz der eher peinlichen Umstände. Fürs erste folgten wir aber den mahnenden Worten von Bademeister und meinem Vater.

       Wir schwammen, tauchten gelegentlich im flachen Wasser, unterhielten uns im Wasser stehend und machten gemeinsam Schularbeiten. Bald fing Evelyn aber an, sich zu langweilen, und sie schlug vor, die Mund-zu-Mund-Beatmung weiter zu üben, wobei sie das Beatmen übernehmen wollte und zwar unter Wasser. Wir warteten eine günstige Gelegenheit mit wenig Badebetrieb ab, tauchten gemeinsam unter, und weil es mit dem Beatmen unter Wasser nicht so recht klappen wollte, drückten wir einfach unsere geschlossenen Lippen aufeinander.

       Als wir uns unbeobachtet fühlten, nur ein kleiner Junge spielte am Strand, probierten wir das Küssen auch flüchtig über Wasser. Der kleine Junge hatte es aber bemerkt und rief uns zu: „Ihr habt euch geküsst. Ich habe es genau gesehen. Das ist verboten. Das sage ich meiner Mama.“ Evelyn fuhr ihn an: „Gar nichts ist hier verboten. Lass uns gefälligst in Ruhe und kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten.“ „Es ist aber doch verboten, und ich hab’s die ganze Zeit gesehen. Ihr macht dauernd böse Sachen“, beharrte der Junge. Evelyn versuchte, ihn ein bisschen einzuschüchtern, um ihn zur Ruhe zu bringen, er bekäme Ärger, wenn er nicht den Mund hielte, aber daraufhin fing der Kleine an zu plärren, was umgehend seine Mutter auf den Plan rief. Ihr gegenüber behauptete er unter Tränen, Evelyn und ich wollten ihm wehtun, und wir würden schmutzige Sachen machen. Die Frau schenkte ihrem Sprössling mehr Glauben als uns und holte den Bademeister. Der beruhigte die Frau erst einmal, die daraufhin mit ihrem Bübchen abzog, dann nahm er aber doch Evelyn und mich ins Gebet und ließ sich von uns schildern, was sich genau abgespielt hatte. Dann befand er: „Ich glaube euch, dass ihr anständige Kinder seid, und nichts Böses getan habt. Aber ihr seid jetzt zum wiederholten Male aufgefallen und habt den Strandfrieden gestört. In den nächsten Wochen möchte ich euch nicht am Strand sehen.“ Als er die Enttäuschung auf unseren Gesichtern sah, fügte er versöhnlich hinzu: „Diesmal sage ich euern Eltern noch nichts. Spielt meinetwegen hinten auf der Wiese, und wenn ihr dort nichts anstellt, dürft ihr in ein paar Wochen wieder an den Strand.“ Und bei diesem Entscheid blieb es.

       Die von Büschen und Bäumen umgebene große Wiese hinter den Umkleidekabinen diente in erster Linie dem Fußballspielen. Zur Ausstattung gehörten auch ein großer Sandkasten, eine in die Jahre gekommene Anlage zum Kugelstoßen samt rostiger Eisenkugel und zwei Federballnetze. Evelyn fand das Gelände todlangweilig. Wir spielten Federball, oder sie schaute mir beim Kugelstoßen zu. Aus Protest spielte sie demonstrativ im Sandkasten. Einmal trafen wir am Sandkasten auf das vierjährige Mädchen, das mich als ihren Bräutigam ansah, samt kleinem Bruder. Die Kleine versuchte, eine Sandburg zu bauen, deren Türme ihr Bruder umgehend zerstörte. Ich versuchte, den Jungen davon abzuhalten, und lenkte ihn dadurch ab, dass ich ihn mit einem leeren Eimer zum Wasserholen schickte. Er dürfe damit den Burggraben befüllen. Derweil forderte das Mädchen mich auf, ihr beim Burgenbau zu helfen. Sie hatte eine genaue Vorstellung davon, wie die Burg aussehen sollte, und gab mir –ich spielte aus Spaß mit- präzise Anweisungen. Evelyn, die danebenstand, schaute zunehmend verärgert. Schließlich zog sie mich vom Sandkasten weg und hielt mir empört vor: „Es ist ja nicht zu fassen, wie du dich von dieser frechen kleinen Göre herumkommandieren lässt. Das ist unmöglich!“

       Evelyn schmollte ein paar Tage, dann ließ sie sich aber durch ein neues Spiel, das ganz ihrem Geschmack und Temperament entsprach, versöhnen. Wir spielten jetzt Räuber und Gendarm, wobei Evelyn sich in den Büschen versteckte, und ich sie finden und fangen musste. Sie war flink und gar nicht leicht einzufangen. Wenn ich sie gepackt hatte, strampelte sie, bis ich sie in den Arm nahm und leicht auf den Mund küsste.

       Auch in den Büschen blieb unser Treiben nicht unentdeckt. Diesmal kam uns eine sechsköpfige Bande von Jungen auf die Spur. Der Anführer, etwa so alt wie ich, stämmig gebaut, aber deutlich kleiner als ich, stellte sich vor mir auf und erklärte. „Wir haben euch beobachtet. Ihr küsst euch heimlich und macht wahrscheinlich noch andere verbotene Sachen. Wir wollen mitspielen und sie“, und damit deutete er auf Evelyn, “auch küssen, sonst melden wir euch dem Bademeister“. Ich lehnte das ab und stellte mich auf einen Kampf ein. Die anderen waren zwar zu sechst, aber mit Ausnahme des Anführers alle jünger als ich. Der Jüngste, ein Bruder des Anführers, war gerade einmal fünf Jahre alt, wie er auf Befragen einräumte, und zählte schon mal nicht, und die anderen Bandenmitglieder schauten ebenfalls nicht begeistert drein. Ich erklärte den Jungen, dass sie doch nicht ernsthaft ein älteres Mädchen küssen wollten, das sie nur auslachen würde. Mädchen seien doch sowieso doof. Richtige Jungen würden nichts mit ihnen zu tun haben wollen, es sei denn sie wären selber halbe Mädchen. Bei mir sei das schon etwas Anderes, ich sei ja bereits dreizehn, womit ich mich drei Jahre älter machte. Das nahmen sie mir ab, denn für mein Alter war ich ziemlich groß gewachsen. Außerdem sei dieses Mädchen nun mal schon meine Freundin, und ich passe auf sie auf. „Wenn euer Anführer sie küssen will, dann soll er es ruhig mal versuchen. Aber für euch ist es besser, wenn ihr euch da raushaltet.“ Der Anführer forderte seinen Trupp auf, mich festzuhalten, damit er sich mit Evelyn befassen könne, die ihn aber geradewegs auslachte: „Da musst du mich erst einmal kriegen, und ich kann viel schneller rennen als du!“ Keiner der Knaben traute sich, mir gegenüber den ersten Schritt zu machen. Schließlich verweigerten sie ihrem Anführer offen die Gefolgschaft und zogen murrend ab. Der zweitälteste sagte noch zum Anführer: „Lass den Quatsch und komm lieber mit.“ Dieser richtete sich noch einmal an die grinsende Evelyn: „Du brauchst gar nicht zu lachen. Ich kriege dich noch, wenn du mal alleine bist“. Dann machte auch er sich aus dem Staub. In ihrer üblichen Selbstüberschätzung nahm Evelyn die Bedrohung durch die Bande nicht ernst und verweigerte sich meiner Bitte, sich künftig nicht ohne mich in diesem unübersichtlichen Gelände aufzuhalten. Ich war meinerseits durchaus besorgt und verfiel nach einiger Überlegung darauf, die Bande zu spalten. Ich passte den Zweitältesten, der eigentlich ein ganz vernünftiger Kerl war, alleine ab und beredete ihn, mit mir zusammenzuarbeiten, was der ganzen Gruppe Ärger ersparen würde. Schokolade und ein Teil meines Taschengeldes überzeugten ihn. Er versprach mir, mich über die Pläne seines Anführers fortlaufend zu informieren, und daran hielt er sich auch.

       In diesen Tagen wurde im Schwimmverein Aushang angebracht, der vor einem Exhibitionisten im Regenmantel warnte, der in der Nähe, möglicherweise sogar auf dem Gelände des Schwimmvereins selber, sein Unwesen trieb und Frauen und Mädchen erschreckte. Ich ließ mir von meinem Vater erklären, was ein Exhibitionist war, und gab meine Erkenntnisse gleich an Evelyn weiter. Die Warnung war ein starkes Argument dafür, sich nicht in den Büschen herumzutreiben. Evelyn war jedoch nicht überzeugt. „Ich wüsste gar nicht, wovor ich erschrecken sollte, wenn der Mann seinen Mantel aufmacht“. „Vor seinem Ding natürlich!“ „Aber ich weiß doch gar nicht, wie so ein Ding aussieht. Du musst mir deins zeigen, damit ich vorbereitet bin.“ Dazu war ich nicht bereit. Stattdessen empfahl ich ihr, sich Abbildungen anzuschauen, die in Lexika oder Kunstbildbänden leicht zu finden seien. „Das ist nicht dasselbe“, maulte Evelyn, hatte aber gleich eine noch