null Rahek

Eine Reise ins Nichts


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Flur war leer und nur ihr schneller Atem durchschnitt die nächtliche Stille.

      „Ich liebe dich, Ramona!“, schnaufte Gustav.

      „Ich weiß!“, schnaufte Ramona zurück.

      Dann löste sie sich aus seiner Umarmung, wünschte eine gute Nacht und verschwand in ihrem Zimmer. Gustav blieb allein im Flur zurück, der nun noch stiller wirkte und kühle Leere ausstrahlte.

      Wie oft hatte er das schon erlebt! Ramona ließ sich niemals in seine Arme fallen, suchte nie von sich aus seine Nähe und würde niemals ihn liebkosen oder gar verführen. Ramona nicht.

      Als Gustav in seinem eigenen Zimmer ankam, schenkte er sich einen Whisky ein und hing mit seinen Gedanken an Ramona, deren Duft er noch deutlich verspürte. Sie war wirklich schön. Für ihn war sie die pure Verführung selbst. Ein Kunstwerk, das er als Kunstliebhaber begehrte. Und alles, was man begehrt, war am Ende auch schön. Sie hatte mit ihrer Ausstrahlung absolute Gewalt über Gustav und er konnte nichts dagegen tun. Er wusste, dass jenseits jeder Vernunft, eine schöne Frau auch immer Macht verkörperte. Demzufolge war Hässlichkeit auch die unausweichliche Demut, überlegte er. Sollte er nun demütig oder machtvoll sein? Gustav grübelte darüber nach, fand aber keine Antwort.

      Ramona blieb für ihn rätselhaft und verwirrend.

      Er fand sie begehrenswert, sie empfand gar keine Gefühle. Warum?

      Beide hatten eine kleine Stadtrundfahrt geplant und fuhren mit einem Kleinbus die Sehenswürdigkeiten der Stadt ab. Der lässige Touristenführer, der sie alle mit Vornamen ansprach, als wären sie gemeinsam in einem Sandkasten aufgewachsen, erklärte in blumigen Beschreibungen die wichtigsten Dinge. Gustav wusste über die meisten Sehenswürdigkeiten besser Bescheid und war gelangweilt. Am liebsten hätte er ein Buch herausgeholt und angefangen zu lesen, doch er wollte gegenüber Ramona nicht unhöflich sein und bemühte sich um Fassung.

      „Das stimmte so nicht, was unser Sandkastenfreund da erzählt. Michelangelo war doch kein Adoptivsohn der Medici, sondern nur ein begabter Bildhauerlehrling, der gefördert wurde. Und die Künstler mit ihren Lehrlingen wohnten teilweise im Haus der Medicis. Davon gab es vermutlich viele. Die Medici förderten zahlreiche Künstler und manche hatten eigene Gesellen, die noch im Kindesalter waren. Trotzdem wurde Michelangelo nicht adoptiert. Was für ein Idiot, dieser Touristenführer.“, bemerkte Gustav beiläufig.

      „Er gibt sich Mühe und so genau wollen es die Touristen auch nicht wissen.“, entgegnete Ramona, „Außerdem stören deine klugen Kommentare.“

      Gustav verzog missmutig seinen Mund und schwieg. Er hätte einfach sein Buch lesen sollen.

      Anschließend saßen sie in seinem Hotelzimmer und Ramona meinte, dass Gustav manchmal zu seinen Mitmenschen taktvoller sein sollte. Schließlich hatte auch der Touristenführer nur nett sein wollen.

      „Die Leute sollten sich gegenseitig ermutigen und nicht lächerlich machen. Es ist egal, ob andere Menschen dümmer sind.“, sagte sie.

      „Ich bin ein kühner und forscher Zeitgenosse ...“, widersprach er mit fester Stimme.

      „Ein grüner und morscher Mann mit Flosse?“, flunkerte sie.

      „Ein kühler und flotter Zweitmann! … Verdammt!“, rief er entnervt.

      „Flotter Zweitmann?“

      „Nein! Der erster Mann, der frisch und forsch sein kann!“

      Gustav fuchtelte wild mit seinen Armen vor ihr Gesicht.

      „Ach was?“

      Ramona vergnügte sich und ihre Zungenspitze schnellte kurz und flink hervor. Gustav erkannte, dass sie ihren Schabernack trieb.

      Entschlossen packte er ihre Schultern und schaute sie an.

      „Wirklich, mein Hasenpups. Ich bin ein furchtbar kühner und frischer Zeitgenosse.“

      „So frisch siehst du gar nicht mehr aus.“, grinste sie frech.

      „Ich meine: forsch!“

      „Aaah-ja!“

      Sie kicherte unverhohlen und er sackte ein wenig zusammen. Um wieder Zuversicht zu erlangen, zündete sich Gustav eine Zigarette an. Kühn schnippte er den Streichholz von sich und forsch inhalierte er den Qualm. Wie ein lässiger Privatdetektiv aus einem klassischen Schwarzweißfilm stolzierte Gustav vor Ramona hin und her. Sie grinste immer noch. Dann blieb er direkt vor ihr stehen

      „Na, Kleines! Alles frisch im Schritt?“, hauchte er mit rauchiger Stimme.

      Nun gackerte sie laut los. Gustav verzog keine Miene und pustete Ringe aus Zigarettenqualm durch die Luft. Effektvoll lösten sie sich in Dunst auf. Mit gespielter Gleichgültigkeit schaute er sie tadelnd an.

      „Nun, Kleines! Was kann ich für dich tun, bevor du vor Erregung in Ohnmacht fällst?“, brummte er selbstsicher.

      „Ich möchte Wein, du forscher, frischer Bursche!“, lachte sie.

      „Sage das nochmals schneller und dreimal hintereinander!“, grinste er.

      „

       Du froschers, fischers Burste ...

      “

      Zum Abendessen verbesserte sich seine Laune mit jedem Glas Rotwein.

      „Was machen wir heute Abend?“, fragte er mit spannendem Gesichtsausdruck, der alles Mögliche für den Abend erwartete.

      „Ich weiß nicht. Wollen wir etwas spielen?“

      „Flaschendrehen mit Kleiderpfand?“, rutschte ihm raus. Ramona wollte kein Risiko eingehen und blieb zugeknöpft.

      „Vielleicht Karten? Es war auch nur ein Vorschlag.“, meinte sie.

      „Also brauchen wir keine Flasche?“, fragte er enttäuscht.

      „Ich habe gerade ein gutes Buch und würde es weiter lesen.“

      „Darf ich dir dabei zusehen?“

      „Hast du kein eigenes Buch dabei?“

      „Bücher habe ich immer dabei. Ich dachte aber, dass wir etwas gemeinsam machen könnten.“, entgegnete er gelangweilt und seine Laune verschlechterte sich wieder.

      „Eigentlich bin ich heute viel zu müde und gehe doch lieber schlafen.“, sagte sie und gähnte dabei, um ihre Lustlosigkeit zu unterstreichen.

      Gustav hatte noch nie Verständnis dafür, wenn jemand zu müde war, um Sex zu haben. Das war eine lächerliche Ausrede. Niemand wäre dafür zu müde. Er wusste, dass Ramona wieder keine Lust empfand, dass sie jede Ausrede anführen würde, um es zu verhindern. Und hätte sie nicht ganz unerwartet die angebliche Müdigkeit, dann wären es Rückenschmerzen, Kopfweh oder ein dringendes Telefonat, wovon der Weltfrieden abhing.

      „Ich habe auch Kopfweh.“, erwiderte er schlecht gelaunt und bestellte einen neuen Krug Wein.

      Anschließend begleitete er Ramona zu ihrem Zimmer. Nach einem Küsschen zur guten Nacht und einem freundlichen Lächeln verschwand sie und sie sah wirklich müde aus.

      Gustav streifte um das Hotelviertel und wählte irgendeine Kneipe, um noch etwas zu trinken. Als er sich gemütlich an einem Tisch setzte und sein Bier trank, bemerkte er, dass er ausgerechnet eine Karaokebar gewählt hatte. Um ihn herum saßen ausschließlich Engländer im älteren Semester. Ein Mann mit kunterbuntem Hemd ging von Tisch zu Tisch und befragte die Gäste als Showman. Dann zielte er mit seinem Mikrophon auf Gustav und frage nach seiner Herkunft.

      „Ich komme aus einem kleinen Hotel, zwei Straßen entfernt.“, antwortete Gustav etwas launisch. Gelächter an den Nachbartischen.

      „Sagen Sie uns ein Land.“, entgegnete der Animateur und sah ihn auffordernd an. Sein Grinsen strahlte sehr geheimnisvoll.

      „Kaufland!“, erwiderte Gustav stur.

      „Kaufland?“