null Rahek

Eine Reise ins Nichts


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der kunterbunte Hemdträger.

      „Ich hoffe nicht.“

      Allgemeines Murmeln im Saal. Gustav hatte keine Lust auf Frageantwortspiele. Die anderen Gäste schauten finster zu seinem Tisch hinüber. Unbeeindruckt blieb der bunte Hemdträger an seiner Seite.

      „Was möchten Sie singen?“, fragte der Animateur hartnäckig weiter.

      „Ich möchte hier nur in aller Ruhe mein Bier trinken. Aber Sie können mir auch etwas vorsingen, danke.“

      „Irgend ein Titel. Machen Sie uns die Freude!“

      „Na gut! Die Leute sollen was Französisches singen!“, brüllte Gustav ins Mikrofon. Alle Briten erstarrten und warfen hasserfüllte Blicke zu ihm. Er wollte ja auch nur ein Bier in aller Ruhe genießen.

      Tumult. Gläser fielen zu Boden, Frauen kreischten und starke Briten warfen den Deutschen, der so gut englisch sprach, hinaus.

      Gustav stand wieder auf der Straße, allein und er durfte nicht einmal sein Bier austrinken. Um die Ecke rauschte ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene vorbei. Irgendwie taten Gustav die Florentiner Polizisten leid, da sie so spät noch in eine Kneipe gerufen wurden.

      Verdammte Engländer!

      In bester Laune ging er zu Bett.

      Am nächsten Tag gingen Ramona und Gustav gemeinsam durch die Stadt. Hin und wieder besuchten sie einige Läden, ohne etwas zu kaufen. Es war pure Neugier, als sie einen schäbigen und doch sehr antiquarischen Buchladen betraten.

      „Hier haben die sogar deutsche Bücher und manche sehen ziemlich alt aus.“, bemerkte Gustav, der Bücher über alles liebte.

      Ramona wollte hingegen lieber einen anderen Laden aufsuchen und so verabredeten sie sich für eine Stunde später in einem nahen Restaurant.

      Gustav sah auf seine Uhr, um die Zeit nicht zu vergessen. Oft verlor er sich in solchen Bibliotheken.

      Er fand einige Bücher, die uralt und eindeutig in deutscher Sprache geschrieben waren. Manchmal musste er richtig wühlen, um an bestimmte Bücher zu kommen. Dem Inhaber störte es scheinbar nicht und wahrscheinlich war es üblich hier zu kramen. Ein Buch fesselte besonders seine Aufmerksamkeit.

      „

       Chronik der Weltgeschichte

      “, stand auf dem abgegriffenen Einband.

      Interessiert blätterte Gustav in den Seiten. Dazwischen lagen einige handgeschriebene Zettel. Irgendwer hatte sie in die Buchseiten gesteckt.

      Die ersten Blätter waren einfache Rechnungen und Steuerlisten deutscher Klöster. Sie sahen sehr alt aus. Doch ein Pergament war dabei, was anders war. Gustav war hypnotisiert von dem Inhalt.

      Eine in Hamburg 1699 verfasste Handschrift schilderte einen bemerkenswerten Hirschabschuss. Es geschah im Jahre 1696, als der Brandenburgische Kurfürst

       Friedrich III.

      in einem Wald nahe dem märkischen Dorf Briesen diesen Hirsch erlegte. Das Tier hatte 66 Enden am Geweih und galt als kapitalstes Tier aller Zeiten. Gustav las die historische Schrift und bebte vor Aufregung.

      Er kannte diese Geschichte und in Briesen verbrachte er einen Teil seiner unbekümmerten Kindheit. In dem unscheinbaren Dorf lebte damals seine Urgroßmutter und dort waren seine Eltern und er regelmäßig als Feriengäste. Und jetzt entdeckte er hier in Florenz eine alte Weltchronik und eine historische Originalhandschrift über den legendären „

       Briesener 66-Ender“

      .

      Gustav hatte sein ganzes Leben lang großartige Bücher gesammelt und besaß inzwischen eine eigene kleine Bibliothek. Doch dieses Buch, mit den losen Handschriften im Inneren, war ein richtiger Schatz, eine echte Rarität. Er klappte das schwere Buch zu und achtete darauf, dass die interessanten Pergamente im Buchinneren versteckt blieben.

      Der alte Ladenbesitzer warf nur kurz einen Blick auf den Einband und sagte gelangweilt:

      „Ist ziemlich alt. 40 Euro!“

      Gustav bezahlte sofort und verließ glückselig und sehr aufgeregt die staubige Buchhandlung. Er hatte ein prächtiges Geschäft gemacht.

      Vermutlich hatte der Händler wenig Interesse an deutschsprachigen Büchern und war schlichtweg ahnungslos über den tatsächlichen Wert.

      Er sah nicht den seltsamen Blick des alten Buchverkäufers, dessen blasse Gestalt durch das Fenster schimmerte.

      Ramona saß schon im Restaurant und schlürfte einen Espresso.

      „Hast du was gefunden?“, fragte sie erstaunt, als Gustav das schwere Buch auf den Tisch legte. Wie ein aufgedrehtes Kind am Weihnachtsabend erzählte er seine Geschichte über die alten Handschriften zwischen den Buchseiten. Dabei streichelte er voller Hingabe seine „

       Chronik der Weltgeschichte

      “.

      Ramona lächelte milde, denn auch sie mochte Bücher.

      „Du bist närrisch! Wahrscheinlich sind es nur Handnotizen eines kundigen Lesers der Weltgeschichte. Achtlos im Buch liegengelassen. Vielleicht sind sie gar nicht alt und einfach nur unbedeutend und wertlos?“, sagte sie, nahm vorsichtig das Buch und öffnete es.

      Gustav sah ihr gespannt zu und flüsterte:

      „Zwischen den Seiten 388 und 389!“

      Kurz darauf zog Ramona die Handschrift hervor und betrachtete das handgeschriebene Blatt aufmerksam. Sollte es wirklich aus dem Jahr 1699 sein, dann wäre es ungewöhnlich gut erhalten. Keine Einrisse, kaum Verschmutzungen und keine Spuren von Säureflecken.

      Sie teilte Gustav ihre Beobachtungen mit und hoffte gleichzeitig, dass er keine allzu große Enttäuschung erlebte.

      „Du hat Recht, mein kleiner Hasenpups. Aber vielleicht liegt die Handschrift schon Jahrhunderte in diesen Seiten. Damit wäre es vor Licht und Zerfall geschützt. Säurefraß war erst im 19. Jahrhundert ein Problem, da in der Papierherstellung Chemikalien benutzt wurden. Ursprünglich wurde Papier nur aus Holz hergestellt, ohne Chlor und dem ganzen Zeug. Aber die Tinte fraß sich in das Papier und war früher schwarz und nicht blau. Der Text wurde mit einem Gemisch aus Ruß und Öl geschrieben und ist sehr alt.

      Und die Schrift stammt ebenfalls aus dem 17. Jahrhundert, so wie die Schreibweise.“, erklärte er aufgeregt.

      Beide schauten auf das alte Dokument.

      „Sieh! Das Wort Kurfürst wurde statt mit einem „

       K

      “ noch mit „

       C

      “ geschrieben, ein „

       ie

      “ gab es noch nicht und wurde nur als „

       i

      “, das „

       t

      “ meist als „

       th

      “ geschrieben…“

      Ramona lauschte aufmerksam.

      „Und noch ein wichtiges Detail. Der alte Kurfürst krönte sich selber 1701 zum ersten Preußenkönig. Danach nannte er sich nur noch

       Friedrich I.

      und so wurde er auch immer rückblickend genannt. Unsere Handschrift berichtet jedoch vom Kurfürsten

       Friedrich III.

      und wurde vor 1701 verfasst!“

      Ramona nickte schweigend.

      „Nun