Rafael di Giorgio

Das Miami Syndikat


Скачать книгу

das etwa Dankbarkeit? Nein, ist es nicht! Man nimmt mich nicht ernst. Sie glauben, es wäre ein Spiel. Gut, dass ich so wachsam bin. Ich entschliesse mich die Augen zu öffnen (metaphorisch, versteht sich) und aufzupassen, was sich in der Gegend so abspielt. Ich sage ja zur Verantwortung, ja zur Wachsamkeit, ja zur… auf jeden Fall werde ich mehr aufpassen. Ich nehme meine Aufgabe ernst und fahre uns schnell und sicher nach Hause während ich mehrmals prüfe, ob uns jemand verfolgt. Scheinbar nicht. Endlich… Ich fahre den Van in die Garage und mache das Garagentor zu. Kein Auto fährt vorbei, nicht mit Scheinwerfern, nicht mit ohne Scheinwerfern, nicht mit Beifahrer mit Waffe, nicht mit Beifahrer ohne Waffe.

      30 Minuten später bin ich mir langsam sicher, dass wir sicher sind und gehe in Richtung Schlafbereich, Liebesnest, Altar der Lüste, Kampffeld, Siegerpodest… Ich höre Töne der Lust; meine Geliebte wird sich mit kuscheln zufrieden geben müssen. Ich fühle mich so heldenhaft, dass ich mich nicht entspannen kann. Auf dem Rücken liegend, spüre ich wie mein Ego etwas wächst. Es geht mir besser. Dann immer besser. Dann gut. Schatten verschleiern meine Augen, Lichter werden blasser, Geräusche leiser. Die Dunkelheit gewinnt endlich den Kampf, meine Augen werden kleiner und müder. Ich versinke in den Schlaf und träume, dass die Welt gut ist und alle Frauen mich wollen. Mehr noch als sie James Bond in seinen Filmen wollen. Drei Schwestern schwimmen nackt im Pool und erzählen mir, dass die Preisrichter sich umgebracht haben, weil sie nicht wussten wen von ihnen sie als Miss World wählen sollten. “Du kannst uns entweder alle auf einmal lieben oder einzeln! Wir werden geduldig warten…” “Ich will euch alle, ja, alle, gleichzeitig!“ Ich nähere mich den Geschöpfen Gottes als ich ein Schulterklopfen wahrnehme. Sie sagten mir, sie hätten Geduld und jetzt wollen sie sich vordrängen. “Was? Was?”

      «Aufstehen! Komm schon, steh auf!» Wie aufstehen? Was soll das? Ich will mich mit den Schnecken hinlegen und jetzt soll ich aufstehen. So kann ich nicht arbeiten. Ich habe hier einen Ruf zu verteidigen. Das geht nicht!

      «Komm schon, es kann nicht so schwer sein. Du schläfst bestimmt schon 14 Stunden. Es ist schon zehn Uhr am Morgen!» sagt jemand die blond und nicht nackt ist, nicht im Pool schwimmt und keine zwei Schwestern hat. Und auch nicht das mit mir machen will, was die Schwestern mit mir vorhatten. Zumindest jetzt nicht, glaube ich. Oder es sieht nicht danach aus. Oder es sieht danach aus und ich merke es nicht. Fuck, ist das Leben hart zu mir!

      «Zehn Uhr am Morgen? An welchem Tag? Was sind das für mathematische Berechnungen, die du machst? Wie kommst du auf 14 Stunden?» frage ich, denn ich halte zwei Sachen für gefährlich: Halbwissen und Unwahrheiten. Ich bin verzweifelt und sie lacht.

      Die Sonne scheint wieder unverschämt; die Wärme umhüllt mich wie ein Handschuh. Das Licht ist so hell und so klar, dass ich nie wieder die Augen schliessen will. Ich krieche die Treppe hinunter und sehe sie alle am Tisch sitzen, Kaffe trinkend, irgendetwas essend, redend und ohne besonders dankbare Blicke für mich. Sie bemerken meine Anwesenheit nur nebenbei. Joenas Augen sagen mir wortlos, dass sie explosiv war. Die Nacht!

      Kein Problem, ich brauche keine Dankbarkeitstänze und mir gewidmete Lieder. Das ist Sache der Kommunisten. Ich erinnere mich an meiner Kindheit. Man steckte zweitausend Schüler in ein Stadion, die Polizei sperrte die Ausgänge und man tanzte thematisch: fegen, bauen, putzen, Bauchschmerzen. Nach einer Woche hatten sie die Verfilmung des Tanzes im Kasten und der Präsident freute sich über so viel Aufmerksamkeit. Dann irgendwann organisierten dunkle Mächte so genannte Revolutionen, erschossen ihn, den kommunistischen, bösen Präsidenten und fingen mit dem Kapitalismus an. Es war genau so eine verdammte Scheisse wie der Kommunismus, nur dass sich die Politiker jetzt nicht mehr verstecken mussten, wenn sie Steuergelder klauten und verpulverten oder sich kaufen liessen. Es gab keine Kriminelle mehr, wenn man die richtigen Gesetze erfand. Korruption wurde zur Norm! Und das nannte man dann Freiheit. Man gab den Menschen das Gefühl sie wären frei, nachdem man ihnen die Intelligenz geraubt und sie materiell versklavt hatte. Wie? Mit Talkshows und Fastfood von morgens bis abends. Also, keine Dankbarkeitstänze… denn das führt zu nichts Gutem. “Niemand ist hoffnungsloser versklavt, als derjenige der fälschlich glaubt, frei zu sein.” (5)

      Nach meiner Zusammenfassung der Geschichte in meinem wirren Kopf, mache ich von meiner Stimme Gebrauch.

      «Was haben wir heute vor?» frage ich nachdem mein Körpers heute morgen noch zu nichts Aufregendem gebraucht wurde. Und weil ich die Frage in der ersten Person Plural gestellt habe, glauben sie wir wären uns einig was die Antwort betrifft und sie könnten für uns alle reden.

      «Wir wollen die Gegend erkunden, die Sonne geniessen, schwimmen, entspannen, nachdenken.» sagen sie. Ich bin nicht gut drauf. Das wird kein guter Tag! Ich habe in den letzten Stunden nicht genug körperliche Liebe erfahren und jetzt bin ich frustriert. Die Schwestern habe ich verpasst. Die Zeit vergeht und ich nehme sie nicht wahr. Plötzlich befinden wir uns im Auto und fahren davon. Ich am Lenkrad. Mit einem gläsernen Blick. Ohne die Augen oder den Hals zu bewegen. Wie ein Roboter. Meine Blicke, die genauso unbewegt wie meine Augen sind, müssten Bände sprechen, denn die drei fragen mich nichts mehr. Und so vergehen Minuten und ich lebe in einer Parallelwelt, die kalt, grausam und traurig ist. Umgeben von Frauen, die einfach nur Freunde sein wollen. Das ist wie ein Gefängnis der Gedanken. Ohne Mauern zum Wahnsinn. Dieser Tag kann nur besser werden. Denn ich bin ganz unten auf der Gefühlsskala angekommen.

      Wir fahren die Route 1 entlang. Wollen uns Key West anschauen, im grünen, klaren Wasser baden und etwas Scharfes essen. Vielleicht in einem der vielen chinesischen oder thailändischen Strassenlokalen. Wir fahren auf einen Parkplatz und ich gebe Joe eine telepathische Liste mit unserer Bestellung. Er steigt aus dem Van und richtet seine Schritte zum Lokal. Ich schaue ihm nach und versuche herauszubekommen ob er weggeht oder kommt. Manche Menschen laufen aber auch komisch.

      Da fällt mir etwas auf. In dem Land aus dem ich komme, schaut man Menschen nicht so an wie diese zwei hier uns anschauen. So, als ob wir unseren letzen Atemzug atmen. Wäre ich gut gelaunt, würde ich nicht verpassen ihnen ihre blöden Fressen zu polieren. Aber ich bin schlecht gelaunt, also schaue ich einfach weg und mache auf beleidigt. Aggression ist natürlich keine Lösung aber sie wäre ein Mittel zum Zweck, um ihnen eine Lektion zu verpassen, damit sie anfangen nachzudenken. Damit sie ihre Gesichtsausdrücke im Spiegel bewerten und üben die Menschen endlich nicht arrogant und aggressiv sondern freundlich und offen anzuschauen. Und weil wir in unserer Kindheit gelernt haben, dass manchmal auch ein gezielter Faustschlag reicht, denke ich dieses “Fresse-polieren” könnte eine tiefe, philosophische Bedeutung annehmen, die ihr Leben zum Positiven ändert. Überrascht von so viel Gedanken-Schwachsinn, schreie ich:

      «Joe, was ist los? Musst du die Ente selbst umbringen und ihr die Federn rupfen? Komm schon!»

      «Habt Geduld, ich bin gleich wieder da!» antwortet er ohne dass wir ihn sehen. Sekunden danach kommt er mit zwei Schachteln in der Hand. Obwohl wir aber vier Personen sind! Nur unsere Frauen, so wie jede Frau in der Welt, würden nie eine ganze Portion selbst bestellen, denn das würde dick machen. Sie haben ja auch “keinen grossen Hunger”, sie wollen nur von uns kosten. Und dieses Kosten bedeutet, wir teilen mit ihnen. Am Ende sind wir Männer schlecht gelaunt, weil wir immer noch hungrig sind. Und sie haben eigentlich indirekt erreicht, dass wir nicht zuviel essen und irgendwann mit einem riesigen Bauch und in einem befleckten Unterhemd auf der Couch landen, mit einer Flasche Bier in der einen Hand und der Fernbedienung in der anderen. Und diese Aufopferung bringt ihnen dann Zellulitis, weil wir ja darauf bestanden haben, dass sie von uns kosten. Damit sie bestätigen, welch exzellenten, feinen, exquisiten Geschmack wir haben. Was eigentlich Schwachsinn ist, denn wir haben sie als Freundinnen inmitten all der Anderen ausgewählt. Also, ist unser Geschmack exquisit! Quod erat demonstrandum! Ich sollte meine “positive Energie” nicht mehr mit Gedanken verschwenden, die den Tag nicht besser machen.

      Joe steigt ins Auto und reicht uns die Schachteln. Sie riechen sehr... na ja, speziell. Wir fahren weiter und in dem geschlossenen Raum des Vans wird dieser Geruch von frittierter Ente, Kokosnuss-Sauce, gekochtem Reis, Bambus, Curry und altem Frittieröl noch intensiver. Bald erreichen wir einen Strand, der nur für die Götter gedacht ist. Wir brechen das Gesetz Gottes, indem wir ihn betreten und es ist uns egal. Das ist keinesfalls eine blasphemische Bemerkung. Wenn sie aber als solche verstanden wird, werde ich mich am Tag des jüngsten Gerichts verantworten müssen! Es sei denn ich konvertiere