Gery Wolfsjäger

Casmilda's Gewinn durch Verlust


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dominanten, typischen Lesbierin einzustufen. Sharna und Mel wussten jedoch genau, wie wichtig es war, äußeres Auftreten nicht unbedingt mit einer sexuellen Ausrichtung in einen Topf zu werfen.

      Nach ihrem vierten Glas Wodka Orange blickte Valetta mit einer Mischung aus Verzweiflung und Verwirrtheit zu ihren beiden Freundinnen hinüber. Scheinbar fehlt ihr der Mut für das Geständnis, das sie Casmy überbringen möchte, dachte Mel und streckte den Arm aus, um ihn Valy auf die Schulter zu legen. Da zupfte sie Sharna am Ärmel ihres knielangen Kleides, um ihr zu verstehen zu geben, Valetta nun bestenfalls in Ruhe zu lassen. Schließlich erinnerte sich Mel an eine Situation, in der sie Valetta tatsächlich ihren Arm um die Schulter gelegt hatte, um sie zu trösten. Die Reaktion ihres Gegenübers darauf zeigte sich in einem eisigen Blick, danach schob Valy Mel grob zur Seite und sagte kein Wort. Diese Erinnerung und die Wirkung des Alkohols motivierten Mel dazu, sich folgende Bemerkung zu erlauben: „Ich und Sharna wissen genau, dass du jetzt nicht angefasst und getröstet werden willst, obwohl es dir offensichtlich nicht gut geht. Wir wollen dich dazu auch nicht zwingen. Aber soweit ich von deinem Gespräch mitbekommen habe, ist diese Casmy ein sehr sensibler Mensch. Wenn eure Beziehung tatsächlich emotionale Tiefen erreichen sollte, möchte sie bestimmt körperliche, zärtliche Nähe mit dir erleben, hast du schon einmal darüber nachgedacht?“ Mit besserwisserischem Gesichtsausdruck lächelte sie Valetta an. Dieser fehlten die Worte.

      „Abgesehen davon“, fuhr nun Sharna fort „hat sie dich während eures Sexualaktes ebenfalls gestreichelt. Was ist also so schlimm daran, wenn du dich generell ein wenig mehr deiner Sanftheit hingibst, in platonischen wie auch in sexuellen Angelegenheiten? Ich glaube, tief in deinem Inneren wünschst du dir doch einen zärtlichen Umgang mit deinen Mitmenschen, nicht wahr? Oder hat Casmy noch niemals deine Tränen gesehen, um dich daraufhin zu trösten?“ Valetta verspürte Zorn in sich aufsteigen, als sie diese Worte vernahm. Sie erinnerte sich an die Situation, als sie Casmilda von ihrer Vergewaltigung erzählt hatte, und danach in ihrem Arm gelegen und sich ausgeweint hatte. Doch davon wussten Sharna und Mel nichts. Sie wussten auch nichts von der Vergewaltigung an sich. Dabei wollte sie es auch bleiben lassen.

      Valettas Augen vergrößerten sich, ihre Mundwinkel zuckten. „Was soll das?“, schrie sie hemmungslos in Mels Richtung. „Verschone mich gefälligst mit deinem Helfersyndrom. Wie du schon gesagt hast, Mel, man kann mich nicht zum Körperkontakt zwingen. Es geht euch übrigens beide nichts an, ob Casmy mich in den Armen hielt oder halten möchte, aus welchen Beweggründen auch immer. Falls ihr jedoch die Vermutung habt, es sei so, und deshalb eifersüchtig seid, weil ihr noch nie das Privileg hattet, mich körperlich zu trösten, so ist das euer Problem.“ Die drei erhaschten einige erschrockene Blicke der Kellner sowie der umliegenden Gäste. „Schon gut, schon gut“, erwiderte Sharna lässig und gefasst, weil sie mit solch einem Ausbruch gerechnet hatte, „sei es drum.“ Mit diesen Worten stießen sie an. Valy leerte ihr Glas erneut in einem Zug. Trotz ihrer Trunkenheit hatten die beiden Engländerinnen bemerkt, dass Valetta sich verraten hatte, als sie sagte, es ginge Sharna und Mel nichts an, ob Valys Kopf bereits auf Casmys Schulter geruht hatte. Wenigstens hatten sie jetzt eine ungefähre Gewissheit - Valetta hatte sich Casmilda gegenüber scheinbar bereits in großem Vertrauen geöffnet. Valys aggressive Abwehr bei diesem Thema sprach Bände. Somit vergaßen sie ihre Sorgen über die Harmonie der vermeintlichen Liebesbeziehung ihrer Freundin zu Casmy, die scheinbar an körperlichem und geistigem Vertrauen keine Mängel aufwies. Der restliche Abend verlief friedlich. Die drei Freundinnen tanzten vergnügt im Diskobereich und beschränkten sich auf Smalltalk und Witze.

      Nun saß Valetta in ihrer kleinen Wohnung, die ihr Selbst widerspiegelte : sie fühlte sich klein. Sie strich sich durch das blonde Haar. Es fühlte sich angenehm weich an, doch diesen Gedanken schob sie sofort wieder beiseite, sie wollte jetzt nichts Weiches oder Kuscheliges auf ihrer Haut spüren. Dieses kurze Ritual der Nervosität erinnerte sie nur an ihr schönes Abenteuer mit Casmilda, was ihr in der Seele wehtat.

      Was war zwischen ihr und Casmy geschehen?, fragte sie sich zum zigsten Mal. Weise Menschen sagten, man solle mit seinen Freunden keine sexuellen Gelüste austauschen, da diese Praktik die Freundschaft im Keim ersticke. Valetta konnte sich ungefähr denken, was dieser Ratschlag bezweckte. Der Sex stellte den Status zwischen den beiden platonisch Liebenden infrage. Sexuelle Erregung war keine Entschuldigung dafür, ihn dennoch auszuüben. Doch dieser Ratschlag half ihr nun auch nicht weiter. Ich hätte mich lieber selbst befriedigen sollen, anstatt mit meiner Freundin zu schlafen, dachte sie frustriert . Sie wusste allerdings zu Beginn nicht, wie intensiv dieser Akt von Vertraulichkeit und Intimität geprägt sein und ihre gierigen Gelüste in den Hintergrund drängen würde.

      Der Abend im Woman's Secret hatte ein Nachspiel. Valetta fühlte sich fiebrig. Sie konnte jedoch getrost der Arbeit fernbleiben, da sie in diesem und auch im vorigen Jahr keinen einzigen Tag gefehlt hatte, außer, sie war im Urlaub gewesen. An ihre Türe hatte Valy ein selbst gemachtes Schild gehängt, auf dem in großen Lettern „Bitte nicht stören!“ stand. Sie vermisste Casmilda zwar, an die das Schild indirekt gerichtet war, wollte aber erst wieder Kontakt mit ihr aufnehmen, wenn sie sich sicher war, welche Worte sie wählen würde, um ihr ihre Gefühle zu verdeutlichen. Sie stand auf und ging ins Bad. Ihr Spiegelbild zeigte ihr eine blasse, verzweifelte Frau. Sie fragte sich in diesem Moment, ob ihre blonden Haare sich wirklich mit ihrem inneren Befinden vereinbaren ließen. Sie hielt ihre Naturhaarfarbe für aufgesetzt und künstlich, auch, wenn sich dieser Gedanke teilweise wie ein Widerspruch anfühlte, da ihre Haarfarbe von Natur aus blond war. Doch ihre Einstellung ließ sich in ihrem Äußeren nicht mit blondem Haar vereinbaren, nicht mit heller euphorischer Stimmung oder reinem Gewissen, das sie mit dieser Nuance in Verbindung brachte. Ihr kam ein Geistesblitz, den sie schnell wieder verwarf. Sie schüttelte den Kopf, wollte das Badezimmer verlassen, als er sich erneut in ihr Bewusstsein bohrte. Sie hielt inne, den Rücken bereits zum Spiegel gewandt. Langsam drehte sie sich um und starrte in das klare Glas, ging ein paar Schritte vorwärts, bis ihre Nasenspitze die Platte berührte. Sie stellte sich die Frau im Spiegel mit pechschwarzen Haaren vor, die ihren Typ niemals optisch beleben, sondern eher verdecken würden. Damit hätte sie den Vorteil, ihre inneren Gefühle im Außen ausdrücken zu können. Sie würde sich selbst daran erinnern, dass ihre helle Natur von einem Schleier der Traurigkeit und des Zorns verdeckt wurde, und sich erst wieder erlauben, die Haare blond zu tragen, wenn diese Phase vorüber war. Valy zog ihren Kopf zurück und wiegte ihn zweifelnd hin und her, von links nach rechts, von rechts nach links. Ihr war bewusst, wie sehr dieser Plan mit einer Selbstbestrafung einherging, die ihr erst wieder Harmonie gestattete, wenn sie ihre Verzweiflung bezüglich der Vergewaltigung sowie die Aufruhr bezüglich der Beziehung zu Casmilda verarbeitet hatte. In ihrer emotionalen Verwirrung gefangen dachte sie nicht daran, wie schwierig es war, schwarz gefärbte Haare aufzuhellen, falls sie ihre Entscheidung bereuen sollte. Doch was würde ihr Chef zu ihrer Typveränderung sagen? Er liebte Valetta als die attraktive Blondine, die sie war, und mit deren Charme sie die Gäste in ihren Bann zog, wobei dieser Charme nicht nur mit inneren Werten zu tun hatte. Ohne sich diese Frage zu beantworten, zog sie ihre Schuhe an, schnappte ihre Handtasche und machte sich auf den Weg zur Drogerie Feistenberg, um sich eine schwarze Haarfarbe zu besorgen. Bei der Vorstellung, ihre Haare tatsächlich derart dunkel zu colorieren, überkam sie ein gewisser Selbsthass. Als sie sich jedoch an die Zeiten erinnerte, in denen sie sich körperliche Verletzungen zuführte, wenn sie sich selbst ablehnte, erschien ihr diese Variante als harmlos. Casmilda würde zwar schimpfen, weil diese Farben viele haarschädigende Metallsalze enthielten, Friseurfarben seien viel pflegender, sagte sie immer. Doch das war Valetta egal, als sie wenige Minuten später an der Kasse stand. Als sie das Geld aus ihrer kleinen Börse fischte, wurde ihr zum ersten Mal vollkommen bewusst, was sie vorhatte: sie wollte sich selbst verunstalten, weil sie keine blonde Unschuld mehr ausstrahlte. Sie hatte ihre platonische Beziehung zu Casmilda gefährdet. Das war der Hauptgrund für ihr Vorhaben. Diese selbstauferlegte Strafe sollte ihr eine Lehre sein: wer blond sein wollte, musste auch die innere Unschuld dafür aufweisen.

      Zuhause angekommen las sie sich die Gebrauchsanweisung durch. Davor hatte sie das hübsche Mädchen auf der Packung bemerkt: eine schlanke Gestalt, etwa 26 Jahre alt mit kantigen Wangen, schmalen Lippen und einem frechen Kurzhaarschnitt. Dieses Mädchen wirkte so freudig, so natürlich. Es ist egal, welche Haarfarbe ich trage, dachte sie, inspiriert durch das Bild auf der Verpackung, ich brauche innere Freude. Doch dieser Gedanke