Gery Wolfsjäger

Casmilda's Gewinn durch Verlust


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Während seiner wohl bedachten Worte hatte er zwischenzeitlich die Augen seiner Ex-Freundin im Spiegel vor ihm gesucht, doch es war vergebene Liebesmüh'. Cornelia musste sich ein Lachen verkneifen, als sie diese Sätze des ihres Erachtens nach aufgesetzten Selbstmitleides vernahm. So viel Anstand und Stolz wollte sie nun besitzen, sich nicht von diesem Möchtegern-Casanova einwickeln zu lassen. Sie schwang ihre Schere mit adretten Bewegungen, tänzelte dabei locker um Daniel herum, ohne jedoch auf seine Bitte zu reagieren. Diese kokettierte sie nur mit einem angespannten Lächeln der Herablassung. Sie empfand es als dreist und respektlos von ihm zu glauben, ein romantisches Abendessen könne sie eventuell umstimmen, um mit ihm einen Neuanfang zu wagen. Conny interessierte sich in ihrem momentanen Zorn nicht für die Beweggründe des Schlussstriches ihres Exfreundes, insofern man ihn als jenen bezeichnen konnte, binnen der kurzen Zeit ihres Beisammenseins. Daniel fuhr fort, deutete an, wie sehr er ihre kurze gemeinsame Bindung genossen habe, wie sehr er seine Entscheidung bereue, verschwendete jedoch in Wirklichkeit seine Zeit. Nach wenigen Minuten gab er auf, ließ die Schultern hängen, und fragte sich, was Cornelia für Unfug auf seinem Haupt verrichtete. Er zuckte kurz mit dem rechten Augenlid, zeigte jedoch ansonsten keinerlei Reaktion. Sie schnitt ihm am Oberkopf drei Zentimeter ab, missachtete die starke Rundung seines Kopfes und setzte ihm einen optischen Ballon auf. An den Seiten raspelte sie seine Haare kurz ab. Casmy wollte sich dieses Desaster nicht länger ansehen. Nachdem ihre Kundin an der Kassa bezahlt hatte, ging sie schnurstracks zu ihrer Kollegin, beugte sich zu ihr hinunter und flüsterte: „Was machst du da? Soll Daniel etwa Antiwerbung für unseren Salon verbreiten? “ Doch Cornelia tat, als hätte sie nichts gehört. Der junge Bäcker hatte mittlerweile die Augen geschlossen, weil er dieses Desaster nicht länger mit ansehen wollte, somit entging ihm auch Casmys Anwesenheit. Diese ärgerte sich über die typische Arroganz ihrer besten Freundin und machte eine Kaffeepause.Binnen zehn Minuten hatte Conny ihr „Meisterwerk“ zu Ende gebracht. Schnelligkeit war zwar in der Friseurbranche ein wichtiges Thema, aber man sollte auch auf die Wünsche des Kunden eingehen, und sich eine gewisse Zeit für ihn nehmen, erst recht in einem snobistischen Salon. Im „Normalfall“ tat Cornelia das ja auch.

      Kapitel 4 Schmerz kommt bitte in den privaten Müll!

      Dieser Haarschnitt ließ den jungen Bäcker missraten aussehen, zwar war er sauber erarbeitet worden, ließ aber sein rundes Gesicht trotz körperlich schlanker Statur viel zu stark zur Geltung kommen. Ein rundes Gesicht, eine runde Kopfform und ein Haarstyle, der die Rundung betonte – diese Kombination entstellte sein Äußeres definitiv. Gekünstelt stolz zeigte die Friseuse ihrem Kunden den hässlichen Schnitt im Handspiegel. Daniel blickte traurig in die glasklare Fläche.

      „Geht es dir jetzt besser?“

      Langsam aber sicher erstarb Connys hämisches Grinsen, und ihre straff gespannten Lippen sanken nach unten. Sie ließ den Spiegel sinken, lauter Motive, die ihre Besinnung andeuteten. Cornelia schwieg. Auf diese Frage fiel ihr momentan keine Antwort ein. In Daniels Augen lag eine interessante Mischung aus Verzweiflung, Unsicherheit, und Suche nach Halt, den Cornelia ihm nicht geben wollte.

      „Ich wollte dir nicht weh tun!“ sprudelte es aus ihm heraus, lauter als er die Absicht danach hegte. Er schien den Tränen nahe zu sein. Conny behielt ihr Schweigen weiterhin bei, ihr arroganter Blick war jedoch einer klaren Unsicherheit gewichen, als sie mit verdattertem Blick seinen traurigen Augen zu entkommen versuchte. Endlich meinte sie, ihre letzte Energie der Künstlichkeit aufwendend: „Wie gefallen dir deine Haare?“, um abzulenken.

      „Das ist mir einerlei, ich sehe aus wie eine Niete, aber du hattest wohl allen Grund, mich zu verunstalten. Ich verstehe das!“ Zwar wusste er, dass diese Aussage nicht ganz der Wahrheit entsprach, denn derartig grob und zynisch wurde er noch nie behandelt, weder in einem Friseursalon noch in anderen Institutionen der sozialen Dienstleistung, aber er erhoffte sich von diesen Worten, Conny doch noch weichklopfen zu können. Zumindest riss sie nun erstaunt die Augen auf. Mit diesem Satz hatte sie jetzt am wenigsten gerechnet. Warum auch? Sie konnte selbst kaum begreifen, warum sie Daniel so sehr hasste, doch er schien Verständnis für ihre haltlos gesteuerten Emotionen zu haben. Wenn sie nicht so stur gewesen wäre, hätte sie ihn um eine Erklärung gebeten. Sie hatte ihn als einen sensiblen Menschen eingeschätzt, aber dass er in derart hohem Maße gefühlvoll sein konnte, überraschte sie nun doch. Sie starrten sich eine Weile im großen Spiegel an. Schließlich schloss Cornelia kurz die Augen, schüttelte den Kopf, um sich von ihrem Bild seiner verständnisvollen und einfühlsamen Seite zu verabschieden, öffnete sie wieder und sagte mit zitternder Stimme: „Es ist aus zwischen uns, ein für alle Mal, außerdem bin ich nicht bindungsfähig! Casmilda kann das bestätigen, nicht wahr?“ Sie neigte ihr Haupt in Richtung Mitarbeiterraum, doch Casmy schüttelte nur den Kopf. Sie nahm sich vor, über dieses Thema mit Conny nicht mehr zu sprechen, sie würde ihres Erachtens nach schon eines Tages auf die Nase fallen und lernen.

      „Es ist irrelevant, was deine Freundin darüber denkt“, kommentierte Daniel plötzlich in saloppem Ton, als er sich samt seines Friseurstuhls mit einer schnellen Körperbewegung in Richtung des Gesichtes seiner Friseurin drehte, um ihr tief in die Augen zu schauen, die sie ihm aufgrund eines überraschten Reflexes zuwandte, dabei kaum merklich erschrak und kurz zusammenzuckte.

      „Wenn du es sagst, wird es schon so sein,“ fuhr er unbeirrt fort, „ doch eine Bindung geschieht von selbst, in dir. Wenn du meinst, du bist nicht bindungsfähig, bin ich wohl auch nicht derjenige, für den du diese Unfähigkeit aufgeben wirst. Ich kann und will dich zu nichts zwingen.“

      Diese Worte kamen ihm kälter über die Lippen, als er es geplant hatte. Dann stand er raschen Mutes auf, legte das Geld auf den Bedienungsplatz und ging. Auf provokante Art schloss er bewusst langsam und leise die Türe hinter ihm, als er bemerkte, wie Cornelia ihm offenen Mundes mit großen Augen hinterherstarrte. Sie rang um Fassung, wischte sich eine Träne hinfort. Anschließend ging sie flotten Schrittes in den Mitarbeiterraum, setzte sich auf einen Stuhl, und gab sich, den Kopf in ihre flachen Hände gelegt, den darauffolgenden Tränen hin. Sie fühlte sich alleine und im Stich gelassen, und wusste, dass niemand sie trösten würde, da hierfür die Zeit fehlte. Casmilda hatte ihre kurze Verschnaufpause bereits beendet. Um 19 Uhr hatte Die fliegende Schere eigentlich schon geschlossen, aber langjährige Stammkunden, so wie sie an diesem Abend erschienen, wurden noch bedient.

      Conny blickte auf ihre Armbanduhr, dessen Schutzhülle die Tränen abperlen ließ. Die Uhr zeigte fünf nach sieben. Sie wusch sich das Gesicht im Spülbecken des Aufenthaltsraumes und begann, das schmutzige Kaffeegeschirr abzuwaschen, während Marco und Casmilda den letzten Kunden dieses Tages ihre Haare verschönerten. Wenige Minuten später kam Larcy mit seinem Hund zurück. Natürlich hatte er Connys Tränen des Öfteren gesehen, wie sie in dicken Tropfen die Wangen herunterkullerten, er rechnete ihr jedoch hoch an, dass sie sich zumindest weitgehend dahin kontrollieren konnte, nicht vor den Kunden zu weinen, da ihr dementsprechende Traurigkeiten nicht zum ersten Mal zum Verhängnis wurden (von Connys Malheur bezüglich Daniel wusste er Gott sei Dank nichts).

      Es war aber weder seine Aufgabe, noch stand es in seiner Macht, sie zu trösten. Hätte er das nur einmal getan, würde sie vielleicht ständig erwarten, seelischen Beistand zu erhalten. Er betrachtete seine Angestellte mit einem mitfühlenden Blick, von dem er wusste, dass er sie niemals erreichen konnte, weil er ihn hinter einer kühlen Fassade verbarg. Das tat ihm ab und zu auch sehr leid, weil er als Chef gegenüber seinen Stylistinnen, die er seit der Lehrzeit an begleitete und ihnen mit Rat und Tat zur Seite stand, ein gewisses väterliches Gefühl entwickelt hatte. Dennoch ermahnte er sich jedes Mal, speziell Cornelia nicht auf ihre Emotionen anzusprechen, wenn sie bahnbrechend ausarteten. Falls die beiden, wie es laut seiner Ahnung heute den gesamten Tag lang der Fall gewesen war, ihr Privatleben mit in den Salon nahmen und ihre Schwierigkeiten damit hatten, sich innerlich abzugrenzen, war es gerade für ihn als Vorbild wichtig, private Themen oder Gefühlsausbrüche nicht zu besprechen. Und dennoch wusste er um die Wichtigkeit einer eventuell bald folgenden Debatte Bescheid, wenn solche schier offensichtlichen Vermischungen von Berufsleben und jenem außerhalb des Salons auftraten. Schon zu Anbeginn ihrer Lehrzeit hatte er seinen Mädchen beigebracht, wie wichtig es sei, dass ein Friseur die Gabe des Schauspieltalents besaß. Natürlich waren sie keine ausgebildeten Schauspieler, sie mussten es nur schaffen,