Gery Wolfsjäger

Casmilda's Gewinn durch Verlust


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jetzt meine Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, wobei er sich sicher vorstellen kann, wie ich momentan auf ihn zu sprechen bin. Soll Marco doch den Termin für mich übernehmen, spann sie ihre Gedanken erzürnt weiter und drückte wütend auf einem vermeintlichen Pickel auf ihrem Hals herum. Doch Marco würde zur selben Zeit laut Kalender mit dem Wickeln einer Volumenwelle beschäftigt sein, die anstrengende Frau Petschobitz, und Casmy musste die letzten 5 Haare der gnädigen Frau Windigbüst mit all ihrer magischen Friseusen-Zauberkraft in 15 Haare verwandeln. Somit musste sich Cornelia wohl ihrem Schicksal fügen. Sie trank ihren Kaffee aus und ging gemeinsam mit Casmilda zur U-Bahn.

      Diese fuhr wenige Minuten später gemächlich in der Station ein und sie wählten einen Platz in einem der hintersten Waggons. Auch Casmilda fiel es wie Cornelia schwer, sich gedanklich auf den bevorstehenden Arbeitstag einzulassen, da sie unentwegt an Valetta dachte. Stirnrunzelnd schob sie sich eine imaginäre Haarsträhne hinters Ohr. Dann beschloss sie, sich selbst ein wenig abzulenken. Immerhin hatten die beiden kein einziges Wort über ihr jeweiliges Empfinden ausgetauscht, wobei dieses Gespräch normalerweise ihr Morgenritual darstellte. Sie sprach ihre Freundin offen und ehrlich auf die Situation mit Daniel an, da sie lieber Conny helfen wollte, anstatt sich um ihre eigene Problematik mit Valy zu kümmern.

      „Wie stehst du momentan zu Daniel?“, fragte sie gedankenverloren, als Marco und Valetta abwechselnd in ihrem Kopf herumspukten.

      „Er ist ein Mistkerl, wenn du´s genau wissen willst,“ meinte Conny, wobei sie ihrer Stimme ein erzürntes Flüstern verlieh, und ihre Augen zu Schlitzen verzog. „Warum fragst du? Ich habe vorhin nicht sonderlich optimistisch reagiert, als du mich an den Termin erinnert hast. Das sagt doch alles, oder?“

      Casmilda nickte beschwichtigend. Conny verschränkte die Arme vor der Brust und starrte aus dem Fenster. Der Fahrtwind drang zu ihr herein und tat ihr gut. Sie schwiegen. Dennoch glaubte Casmilda, Conny helfen zu können. Anstatt jedoch Kritik zu üben, begann sie, sie ihr konkrete psychologische Fragen zu stellen, damit hatte ihr Gegenüber vielleicht die Möglichkeit, sich gedankliche Klarheit zu verschaffen.

      Casmilda räusperte sich, und wartete, bis Conny ihren Blick auf sie gerichtet hatte.

      „Wie intensiv war euer Sexualleben?“

      Eine naivere Frage war ihr leider nicht eingefallen. In 3 Wochen konnte sie wohl kein intensives Sexualleben gehabt haben, zumindest keines, das von großartigem Vertrauen begleitet wurde, ging es Casmilda durch den Kopf, sobald sie die Worte ausgesprochen hatte. Cornelia runzelte verständnislos die Stirn.

      „Wie bitte? Wie kommst du auf solch eine dumme Frage?“ Jetzt war Conny wirklich gereizt, stemmte empört die Hände in die Hüften.

      „ Okay, es gibt keine dummen Fragen“, fuhr sie fort, als sie hektisch mit einer Hand in der Luft herumfuchtelte, „ sondern nur dumme Antworten, dieses Sprichwort passt aber in diesem Fall nicht ganz, weil ich dir von dieser Sache bereits ausführlich berichtet habe. Es war sehr intensiver Sex, nur zur Erinnerung. Du solltest bitte in solch einer heiklen Situation keine Fragen stellen, deren Antworten du bereits kennst.“

      Mit diesen Worten schlug sie entschlossen die Beine übereinander und verschränkte erneut die Arme vor ihrer prallen Brust. Casmilda blieb ruhig und geduldig, beruhigte auch ihr schlechtes Gewissen, weil sie vergessen hatte, was Conny ihr anvertraut hatte. Ihre Überraschung über die Vorstellung, binnen 3 Wochen sei es möglich, ein intensives Sexualleben zu entwickeln, wenn man einander kaum kannte, verbarg sie. Ich sollte nicht überrascht sein, Conny empfindet Leidenschaft vielleicht sehr schnell und tatsächlich intensiv, egal, wie lange sie die Person kennt, dachte sie, sich selbst tadelnd. Dann wandte sie sich erneut an sie: „Natürlich, du hast Recht. Aber wie hast du dich gefühlt, als er dich angefasst hat?“

      Bei diesem Satz zuckte Cornelia mit dem rechten Augenlid. Casmilda schien ihre starre Haltung ein wenig gelockert zu haben, als Conny langsam ihre Arme öffnete und sie neben ihrem Körper auf dem Sitz platzierte.

      „ .Nun ja“, begann Conny, und kniff die Augen zusammen, weil sie die richtigen Worte suchte, „ ich fühlte mich bei ihm sehr geborgen und geliebt, als er mich berührte, wie von einem großen Bruder, den ich niemals hatte. Und den wollte ich doch immer haben, wenn du dich erinnern kannst, es war immer mein großer Traum als ich noch klein war. Mir ist schon klar, dass man mit seinen Geschwistern keinen Sex hat, aber sein gesamtes Wesen, unabhängig von der Sexualität, strahlte Geborgenheit und Schutz aus. Seine Umarmungen waren für mich bspw. sehr beschützend. Dennoch konnte ich auf dieser Grundlage unseren Sex hemmungslos genießen und auskosten. Wenn ich diesen Bruder gehabt hätte, wäre es mir sicher erspart geblieben, dass mich die Mädchen aus meiner Klasse immer hänselten und schikanierten, indem sie mir Schnecken in die Schultasche steckten oder mein Jausenbrot aus dem Fenster warfen. Ein Bruder wie Daniel hätte ihnen die Meinung gepfiffen und mich verteidigt!“

      Casmilda fühlte sich wie eine wissende Therapeutin. Diese Rolle gefiel ihr. Ihre Augen leuchtete vor Neugierde, als sie die nächste Frage stellte: „Warum hast du den Wunsch nach einem großen Bruder, oder warum hattest du ihn? Es hätte ja auch eine große Schwester sein können!“

      „Ja, das ist wahr, aber mit dieser hätte ich mich höchstwahrscheinlich immer gemessen. Ich sehe es ja bei meinen wenigen, ehemaligen Hauptschulfreundinnen. Sie haben sich immer mit ihren großen Schwestern verglichen. Aber um beim Thema zu bleiben: ich glaube, Daniel wird mich noch eine Weile auf Trab halten, es wird dauern, bis ich verkraftet habe, dass er mich verlassen hat.“

      Sie hatten noch drei Stationen vor sich, bevor sie aussteigen mussten. Casmy schaltete die innere Therapeutin ab und ersetzte sie durch eine mahnende, dominante Person. Sie entgegnete erhobenen Fingers: „Aber bedenke: lasse deine Wut nicht an den Kunden aus! Larcy hasst das, und das weißt du genau. Er ist ohnehin sehr tolerant zu dir, was deine Launen anbelangt.“

      Cornelia verdrehte genervt die Augen.

      „Schon gut, schon gut, ich werde mein Privatleben verdrängen, während ich eine tolle Schauspielerin abgebe, okay? Auch, wenn es mich innerlich auffrisst, ich werde meine Gedanken abschalten, sobald ich den Salon betrete, mich quasi nur noch auf die Arbeit konzentrieren. Bist du damit zufrieden?“

      Jetzt war es an Casmilda, die Stirn entnervt in Falten zu legen, weil Cornelia wieder einmal Kritik abwehrte und dies mit einem sarkastischen Ton auffällig werden ließ. Deshalb erteilte sie ihr noch einen Rat.

      „Bitte höre auf, dich selbst zu bemitleiden. Manchmal müssen wir Friseure eben gewisse Dinge ins Unterbewusstsein abschieben, die uns privat beeinflussen. Die Kunden können nichts dafür, dass du oder ich Probleme haben, sie wollen Wellness erleben. Wir arbeiten in einem entspannten Ambiente, mein Schatz! Ich meine es dir nicht böse!“ Casmildas Stimme und Augen nahmen nun einen weichen Charakter an.

      „Ich weiß!“, erwiderte Conny mit treuem Hundeblick und sie umarmten sich, als sie kurz danach die U – Bahn verließen, und im Laufschritt auf ihren Arbeitsplatz zusteuerten.

      Die Anwesenheitspflicht war für 9:45 festgelegt. Um 9:48 betraten die jungen Friseusen völlig außer Atem den Salon, woraufhin ihr Chef sie nur anlächelte und meinte: „.Guten Morgen. Trinkt noch einen Kaffee, aber beeilt euch, ihr seid ohnehin schon spät dran!“

      „Guten Morgen!“, riefen die beiden fröhlich aus, und zeigten eine verlegene Röte auf ihren Gesichtern. Der Sender Musiksüchti ließ fröhliche Lieder im Haarstudio erklingen. Das entspannte die beiden Friseusen ein bisschen. Sie hatten keine Lust mehr, Kaffee zu trinken. Normalerweise konsumierten sie ihn literweise, aber durch ihre momentan angespannte Stimmung fehlte ihnen der entsprechende Gusto. Sie verdrängten die Tatsache, um punkt halb 11 ihre ersten beiden anstrengenden Kunden Frau Tütteltet und Herrn Eisblöcke zu empfangen. Frau Tütteltet, Casmildas Kundin, trug immer ein sehr helles Blond, ohne Gelbstich, aber man durfte laut des vermeintlichen Wissens der Dame ihre Haare nicht blondieren, sondern nur färben, sonst würden sie zu sehr strapaziert. Casmy klatschte ihr regelmäßig Blondierung auf den Ansatz, ohne dass die hochnäsige Emanze darüber Bescheid wusste. Manchmal fragte sie sich, was sie von diesem Beruf halten sollte. Es war ja verständlich, dass jeder Mensch gut aussehen wollte, aber warum dachten die Menschen so selten an ihre innere