Gery Wolfsjäger

Casmilda's Gewinn durch Verlust


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nahm ein Kleenex aus der Box neben der Kaffeemaschine und beobachtete Larcy, als er den Laden verließ. Mit einem tiefen Seufzer atmete sie auf und setzte sich auf einen Stuhl. Pure Erleichterung strömte bei jedem Atemzug durch ihre Lungen, weil ihr die Peinlichkeit erspart blieb, ihrem dominanten Arbeitgeber ihre Schwäche zeigen zu müssen. Könnte ich doch nur ohne Männer glücklich werden, dachte sie still bei einem schwarzen Kaffee. Am liebsten hätte sie sich eine Zigarette genehmigt, aber so weit würde sie es nicht kommen lassen. Die Nacht im Dance for Chance war ihr eine Lehre, in der nächsten Zeit wenig bis gar nicht zu rauchen, da sie an diesem Abend beinahe zwei Packungen genossen hatte. Sie nippte an ihrem Kaffee, dann öffnete sie träge und mutlos den Kühlschrank, um aus dem Eisfach ein wenig Vanilleeis in ihr Heißgetränk zu geben. Gedankenverloren ertränkte sie die cremige Substanz im heißen Kaffee, so, wie sie ihr eigenes Dasein in Selbstmitleid suhlte. Sie starrte traurig in ihre Tasse, und ließ sich von dem beruhigenden Muster des weißen Vanilleschaums auf der braunen Unterlage ablenken. Ihre Fönfrisur sah nun noch zerzauster als in den Morgenstunden aus, sie konnte es förmlich spüren. Für den nächsten Tag nahm sie sich vor, sich mehr Mühe für ihr Styling zu geben, und eine gute Schauspielerin ohne professionelle Ausbildung zu verkörpern, wie Larcy so schön zu sagen pflegte.

      Sie stellte die Tasse ins Spülbecken und fasste den Gedanken, den Laden zu kehren, als sie plötzlich innehielt und ihre Arme fest um den Körper schlang. Die Augen geschlossen fragte sie sich, inwiefern Daniel seine Worte der Reue und Versöhnung ernst gemeint hatte. In ihrem Herzen entstand dabei ein Gefühl der Wertlosigkeit. Vielleicht konnte sie ihm gar nichts vorwerfen, was seine heutigen Sätze anbelangte, sondern musste sich eingestehen, seinen Worten keinen Glauben geschenkt zu haben, weil sie nicht davon überzeugt gewesen war, sie verdient zu haben. Der Gedanke vermittelte ihr einen ehrlichen, aufrichtigen Stich in ihrem Herzen. In solchen Zeiten des traurigen Daseins dachte Conny oft einfach nur an ihr Bett. Sie wollte darin liegen und schlafen, am liebsten gleich den lieben, langen Tag. Doch was hätte das für einen Sinn? Selbstmitleid hatte die trügerische Eigenschaft, die Gefühle des Menschen in Sphären zu bringen, die er selbst nur noch schwer einschätzen konnte. Der Verstand wurde dabei ausgeschaltet, andererseits hörte sie nicht auf die innere Stimme des Herzens, die ihr riet, positiv zu denken und zu fühlen. Das einzige, was sie als selbst definiertes Opfer in diesem Moment wahrnahm, war die von ihr persönlich einsuggerierte Haltung, machtlos zu sein. Hatte Daniel, der zurückhaltende Junge mit dem kühlen Blick doch ein Herz? War sie nur zu hart zu ihm gewesen? Sie kannte die Antwort nicht.

      In meinem Bett kann ich diesen fordernden Fragen entfliehen, deren Antworten ich nicht kenne, dachte sie still bei sich, als sie den Besen aus der hintersten Ecke des Salons holte, und durch den Laden schwang. Bei einem alkoholischen Rausch könnte ich ebenfalls vergessen, fügte sie noch gedanklich hinzu, aber sie nahm sich vor, dieses sinnlose Ritual doch lieber bleiben zu lassen. Plötzlich hielt sie inne und betrachtete Casmildas überzeugtes Lächeln, als sie ihrer zufrieden wirkenden Kundin den Rückspiegel zeigte. Conny drückte den Stiel des Besens, sodass die Knöchel weiß hervortraten und biss wütend die Zähne zusammen. „Manche Frauen haben doch einfach alles, nicht wahr?“, sprach der Neid zu ihr.

      Casmilda und Marco verabschiedeten sich höflich von ihren letzten Kunden und halfen Ihnen beim Anziehen. Wenige Sekunden später waren sie verschwunden. Beinahe gleichzeitig stießen die beiden einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, da ihnen die Ruhe nach dem Sturm gut tat. Sie lachten einander kurz an, während Conny einen Haufen Haare in den Mülleimer neben dem Waschbecken warf und nun hilfesuchend neben ihm stand. Sie fühlte sich wie ein Kind, das nach Aufmerksamkeit rief, als Casmy ihren Blick auffing und ihr mitfühlend von der Kasse aus zublinzelte. Marco ging in den Mitarbeiterraum, um seine Tasche zu holen. Conny konnte ihr inneres Kleinod nur schwer unter Kontrolle bringen. Casmilda kam auf sie zu und nahm sie in die Arme. Sie weinte still vor sich hin. Conny hinterließ auf Casmildas Top eine Pfütze aus Tränen. Nach wenigen Minuten hob sie ihren Kopf von Casmildas Schulter, wobei jene sie fest an den Unterarmen hielt und ihr tief in die Augen blickte. Aus dem toten Winkel erhaschte Conny einen Blick auf Marco, der gerade seine Farbschüsseln auswusch. Neutral und konzentriert wirkend vermittelte er nicht den Eindruck, sich in die Angelegenheit zwischen Casmy und Conny einmischen zu wollen. Sie drehte ihren Kopf kurz in seine Richtung und fand Gefallen an seinen beschützend wirkenden Muskeln, wie sie sich im leichten Strudel des Wassers hin - und herwiegten. Ich hätte ihn jetzt gerne an meiner Seite, dachte sie bei sich und schüttelte dann den Kopf.

      „Ist alles in Ordnung?“, fragte Casmilda besorgt.

      Sie behielt ihr inneres Versprechen bei, Conny nicht zu tadeln, weil sie Daniel so abwertend behandelt hatte, wollte ihr aber dennoch den Trost und das Gehör geben, das sie brauchte. Conny wandte sich wieder ihrer Freundin zu.

      „Ja, danke, es geht mir einigermaßen gut“.

      Sie wusste nicht, ob diese Aussage der Wahrheit entsprach, wollte aber nicht weiter über ihren emotionalen Zustand sprechen. Die Stylistinnen vereinbarten mit Marco eine entsprechende Einteilung, was die Nacharbeiten angelangte, und er nickte mit einem kollegialen Lächeln auf den Lippen.

      Conny ließ das Wasser in den Putzeimer laufen, den sie aus dem Mitarbeiterraum geholt hatte. Marco und Casmilda lehnten wenige Meter von ihr entfernt lässig am Tresen. „Dein Top gefällt mir gut, es betont deine schmalen Hüften!“, durchbrach Marcos motivierte Stimme die Abendruhe. Langsam wandte Cornelia den Kopf in Casmildas Richtung, und ließ anschließend den Blick zu deren Hüften hinabgleiten. Casmy streifte kurz mit ihren ellenlangen Fingern über besagte Körperpartie. „Marco, du bist und bleibst ein Charmeur“, erwiderte Casmilda und entblößte bei einem breiten Lächeln ihre wunderschönen Perlenreihen perfekt gepflegter Zähne.

      „Haben die gnädigen Anwesenden die Muße, ihr Tête á Tête zu verschieben und sich zu erniedrigen, mir behilflich zu sein?“

      Cornelias Stimme überraschte sie selbst. Doch auch Casmy und Marco gaben mit weit aufgerissenen Augen zu verstehen, wie aufrüttelnd die Lautstärke und wütende Emotion ihres Organs durch den Raum hallte. Sie nickten stumm, während Conny ein verlegenes „Bitte“ hinzufügte, als ihr Gesicht die Farbe einer Tomate annahm. Marco half Cornelia, während Casmilda die Kassenabrechnung durchführte. Wenige Minuten später war die Arbeit getan. Marco schnappte seine Tasche und nahm nach einem kurzen Abschied Reißaus.

      Casmilda bedachte Cornelia mit einem strengen Blick, die Arme vor der Brust verschränkt, als sie bei der Eingangstür auf sie wartete.

      „Ich weiß, meine Launen passen wieder einmal so gar nicht in dein optimistisches Weltbild“, rief Conny ihr aus dem Mitarbeiterraum zu, während sie ihre Handtasche einräumte, „doch um ehrlich zu sein, möchte ich heute nicht über unsere unterschiedlichen Ansichten sprechen. Du brauchst nicht auf mich zu warten.“ Casmilda verzog verständnislos das Gesicht. „Nun gut, dann sehen wir uns morgen, ich wünsch' dir einen schönen Abend.“

      „Danke, gleichfalls“, erwiderte Conny geistesabwesend. Casmilda machte auf dem Absatz kehrt, verließ den Laden und ging zur U-Bahn. Conny blieb noch eine Weile im Aufenthaltsraum sitzen. Nein, ich werde mich nicht vor dir entblößen, Casmy, dachte sie bei sich, während sie sich nervös am Hinterkopf kratzte, der Stress mit Daniel wühlte meine Gefühle bereits zur Genüge auf, von meinem Neid dir gegenüber will ich schon gar nichts wissen.

      Entschlossen stand sie mit hektischen Bewegungen auf, schwang ihre Handtasche über die rechte Schulter und ging ihres Weges.

      Kapitel 5 Frau liebt Frau

      An einem kalten Apriltag stand Valetta vor ihrem Fenster und beobachtete den Regen. Die dicken Tropfen fielen laut hörbar auf die Straßen, die Dächer, schienen sogar ihr Herz zu berühren. Das Radio gab Musik von sich, die einen klar unterstreichenden Hintergrund zum Wetter und ihrer emotionalen Lage darstellte.

      Sie hatte an diesem Dienstag ihren freien Tag und war am gestrigen Abend in einer Lesben- Diskothek namens Women’s Secret gewesen, und erst um vier Uhr morgens mit dem Taxi nachhause gefahren .Sie dachte an Casmy, während sie ihre Aufmerksamkeit nicht vom Regen abwenden konnte . Und sie musste sich eingestehen, dass ihr gemeinsames