Gery Wolfsjäger

Casmilda's Gewinn durch Verlust


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auch ihre Stirn wurde feucht. Casmy setzte sich auf. Um halb 2 Uhr morgens fing sie an, ihre gedanklichen Verwirrungen in ihrem Tagebuch aufzuschreiben. Die Frage, ob es denn für sie selbst in Ordnung sei, eine lesbische Neigung zu empfinden, bzw. auszuleben, oder aus Überzeugung homosexuell zu sein war an erster Stelle. Einige Minuten später jedoch legte sie das Buch zur Seite und zündete sich eine Zigarette an. Die Fragen blieben weiterhin unbeantwortet. Der Rauch tat ihrer Lunge nicht sonderlich gut, sie hustete, weil sie vor lauter Aufregung ziemlich stark inhaliert hatte, aber der Geschmack des Glimmstängels und die beruhigende Wirkung des Nikotins waren in diesem Moment Balsam für ihre Seele, auch, wenn er das Problem unverändert ließ. Und da, mit einem Male, schoss ihr ein quälendes Faktum durch den Kopf, das sich auch in ihrem Herzen skrupellos auszubreiten begann: sie hatte mit einer ihrer besten Freundinnen den Beischlaf ausgeübt. Sex und Freundschaft ließen sich unmöglich vereinbaren. Welchen Level hatten die beiden nun in ihrem Beisammensein erreicht? Casmy musste an Valettas Worte denken, bevor letztere die Wohnung verlassen hatte: „Ich habe schon öfters mit Heterofrauen Sex gehabt , falsche Hoffnungen kannst du dir abschminken!“, oder so ähnlich.

      Casmilda war aber nicht irgendeine Heterofrau, sie war eine Seelenkumpanin von Valy. Die sexuelle Lust, die sie empfunden hatten, einfach so auszuleben, war dumm. Sex sollte man nur dann haben, wenn man einen Menschen wirklich liebte. Sie liebte Valetta platonisch, aber wollte mit ihr keine feste Beziehung eingehen. Doch wann war eine Beziehung als „fest“ zu bezeichnen? Eine seelische Bindung waren sie schon lange, vor diesem gemeinsamen Sexerlebnis eingegangen. Als die junge Friseuse früher spontanen Sex genossen hatte , so war es mit Männern, die sie einen langen Abend lang kannte, und dann nie wieder anrief. Nach dem Geschlechtsakt hatte sie sich immer ausgelaugt gefühlt, bis sie einsah, dass Sex und Liebe zwei Paar Dinge waren, die man zwar miteinander vereinbaren konnte, aber nur wenn das Vertrauen der Liebe im seelischen Bereich ihr Anwesen zeigte. Deshalb war es in ihren Augen achtsamer, auf Nummer Sicher zu gehen und nur mit Männern zu schlafen, die auch ihr Herz berührten. Bei Valetta und Casmilda war natürlich ein gewisses Vertrauen über die Jahre hinweg aufgebaut worden, weil sie einander lange kannten, also war es an und für sich kein Problem, sich auch sexuell auszutauschen. Aber teilen wahre Freunde wirklich alles miteinander, sogar das körperliche Empfinden?, fragte sich Casmilda und runzelte müde die Stirn. „Es wird schon alles gut gehen“, gähnte sie laut in die stille Nacht hinein. Sie legte sich in der Embryostellung in ihr kuscheliges Bett und verschränkte ihre Arme vor der Brust. Mit dem Mantra, alles würde gut gehen, wollte sie sich beruhigen, das sie sich leise mit geschlossenen Augen einsuggerierte, als sie ein zweifelnder Gedanke, den sie bereits kannte, bei ihrem Abendritual störte: sollte sich dieses Ereignis nun wiederholen, oder konnten die beiden so tun, als wäre es nie passiert? Die Variante der sturen Ignoranz war für Casmy die perfekte Wahl, sich endlich in ihren wohlverdienten Schlaf fallen zu lassen, zumindest glaubte sie das. Doch die zweifelnden Gedanken ließen nicht nach. Selbstvorwürfe kamen hinzu, und die Angst davor, Valetta zu verlieren, weil Casmy vielleicht dazu beigetragen hatte, ihre Freundschaft aufgrund der sexuellen Neugierde zu gefährden. Sie konnte nicht einschlafen. Sich pure, sexuelle Lust einzugestehen war ihr ein weiteres schamhaftes Gräuel, auch bei Männern. Sie wälzte sich im Bett hin und her, wischte sich mit dem Laken den Schweiß von der Stirn, der sich aufgrund ihres inneren Stressfaktors gebildet hatte, weil sie körperlich zu müde war, um aufzustehen und ein Stück Küchentuch zu holen. Ihr Geist jedoch war hellwach. Als die junge Dame das nächste Mal auf die Uhr blickte, war es bereits 4 Uhr morgens, um halb neun läutete der Wecker. Es gab 2 Dinge in ihrem Leben, die sehr lange dauerten, ohne dass sie es registrierte: stundenlanges Vorspiel mit Rauchpausen, wohlgemerkt mit Männern, da der lesbische Sex für sie eine vollkommen neue Erfahrung darstellte, und Schlaflosigkeit, wobei ihr deren zeitraubende Kraft erst in dieser Nacht bewusst wurde.

      Kapitel 3 Normaler Friseusen - Alltag

      Sie traf sich am nächsten Tag mit Cornelia, um einen Kaffee zu trinken, bevor sie zur Arbeit gingen. Sie hatte diesen nach ihrer beinahe schlaflosen Nacht bitter nötig. Schnell war sie unter die Dusche gesprungen und hatte sich angezogen. Die Uhr zeigte 9:00, um 10:00 würden sie ihren Dienst antreten, damit beginnen, nette, lästige hübsche, hässliche, meckernde und anspruchsvolle, sowie anspruchslose Kunden zu bedienen, wobei letztere im 1. Bezirk sehr selten verkehrten. Immerhin besuchten diesen Stadtteil Wiens für ihren Haarstyle nur Leute, die auch die finanziellen Mittel besaßen, um sich dort aufzuhalten: Ein Haarschnitt mit Waschen und Föhnen kostete bei Die fliegende Schere mit allem Drum und Dran 65 Euro für langes Haar, 40 für kurzes und 50 für mittellange Frisuren. Die Gestaltung des Hauptes war für jeden, und besonders für die anspruchsvollen Kunden dieses Salons ein wichtiges Muss, um ihre Persönlichkeit auszudrücken, sei es um weiße Haare zu kaschieren, kahle Stellen zu verdecken, mehr Fülle ins Haar zu zaubern oder die richtige Pflege- und Typberatung zu erhalten.

      Oft war es Casmy und Conny durchaus bewusst, wie sinnlos eine reichhaltige Pflegekur oder ein feuchtigkeitsspendendes Shampoo sein konnten, wenn jene Produkte nur im Salon am Kunden angewandt wurden, denn zuhause würden die meisten von ihnen irgendwelche billigen Marken verwenden, von denen die Werbung im Fernsehen versprach, was sie nicht halten konnte. An dieser Stelle spürten sie den Geiz ihrer Besucher, weil sie sich schließlich doch nicht mehr leisten wollten, als sie unbedingt brauchten. Aber Friseure mussten natürlich finanziell tragbar sein, somit ließen die beiden keine Möglichkeit aus, um verschiedenste Dienstleistungen und Produkte zu verkaufen, das gab ihnen nebenbei noch eine große Menge Selbstvertrauen, sofern der Verkauf glückte.

      Der Kaffee schmeckte Casmilda nicht, billiges Zeug aus dem Automaten. Eine Brühe aus frisch gemahlenen Bohnen ohne Milch wäre ihr nun sehr angenehm gewesen. Sie saßen unten in der Eingangshalle und starrten jeder für sich gedankenverloren in ihre Plastikbecher. Conny hatte Ringe unter den Augen.

      Ihre Fönfrisur saß sehr schlecht. Diese war auch einigermaßen hektisch erstellt worden: die Haare wurden lange vorgetrocknet, bis sie beinahe zu fliegen begannen, dann die Bürsten ungenau im Haar angebracht, wobei dieses stellenweise noch Feuchtigkeit aufwies, um dann eine Viertelstunde lang mit letztendlichem Erfolg zu versuchen, die Mähne aus den Stylinghelfern zu befreien. Ein wenig Haarspray sollte den Look vervollkommnen. Mit dieser missglückten Tortur sah sie nicht sonderlich professionell aus, aber es kümmerte sie nicht. Die ganze Nacht hatte sie an Daniel gedacht. Ihn machte sie auch für das heutige Desaster auf ihrem Kopf verantwortlich. Würde er nicht mit immenser Deutlichkeit in ihrem Kopf herumspuken , hätte sie sich beim Föhnen besser konzentrieren können. Ansonsten saß die Aufmachung ihres Hauptes immer perfekt und glänzend. Doch eines hatte sie von ihm gelernt: eine zwischenmenschliche Beziehung der Liebe konnte zwar zeitlich kurz sein, doch geistig gleichzeitig ewig dauern – letzteres da Conny beschloss, an Kleinigkeiten krampfhaft festzuhalten. Doch wie lange soll ich ihm noch hinterhertrauern?, fragte sie sich traurig, und nippte an ihrem billigen Instantkaffee. All ihre anderen Beziehungen hatten auch nur kurzweilig gehalten, und sie hatte sich schnell von ihrem Kummer erholt, aber Daniel hatte eine besonders sensible natürliche Art an sich, die sie immer noch begeisterte, obwohl sie sich dies in ihrer Ablehnung gegen ihn kaum eingestehen wollte.

      Geistesabwesend meinte Casmilda: „ Ach ja, dein Ex-Freund hat einen Termin bei dir, heute Abend. Das hat er mir bei JFM erzählt.“

      „Davon hast du mir bereits vor 5 Minuten berichtet. Diese unangenehme Tatsache hatte ich erfolgreich verdrängt. Vielen Dank für die Erinnerung, du aufweckende Glocke!“, schnippte Cornelia und zog entnervt eine Augenbraue hoch. Casmilda zuckte gleichgültig mit den Achseln. Sie zog sich in ihre eigene Welt zurück.

      Conny schwelgte wiederum in ihren Gedanken, als Casmy sie aufforderte zu gehen, sie müssten sich startklar machen, und sie sollten pünktlich sein. Cornelia bewunderte die Strenge ihrer Freundin, doch sie wollte noch ein bisschen träumen, also dachte sie an die letzte Nacht. Sie hatte sich mit ihrem Dildo befriedigt, mit hektischen Bewegungen, die aus ihrer Verzweiflung rührten, um sich von ihrem Liebeskummer abzulenken. Doch es war eben etwas anderes als Daniel’s angenehmer, mit Blut gefüllter, steifer Penis. Dieser überstieg die Qualität eines billigen Imitats aus Gummi oder Latex, er bestand aus purem Fleisch, und strotzte nur so vor Potenz. Sie hatte an ihre gemeinsamen sexuellen Erlebnisse gedacht, als sie den Dildo verwendete. Und an jenem