Gery Wolfsjäger

Casmilda's Gewinn durch Verlust


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bedacht war.

      Conny und Casmy lenkten sich noch ein wenig mit dem Reinigen der Kaffeemaschine von ihren privaten Sorgen ab. Gott sei Dank war Marco seit 10 Uhr mit Frau Leuchtbeller beschäftigt, somit blieb es Casmilda erspart, ständig in seine wunderschönen Augen zu blicken, was sie vermutlich noch mehr aus dem Konzept gebracht hätte. Sie hatten sich bei der morgendlichen Begrüßung nur kurz zugenickt.

      Schließlich war die halbe Stunde vorüber, die Kaffeemaschine glänzte, sodass man beinahe Schutzbrillen brauchte, um nicht im Augenbereich von der Strahlung geschädigt zu werden.

      Als hätten sie sich miteinander verabredet, betraten Frau Tüttenleut und Herr Eisblicker gleichzeitig den Laden. Die elegante Dame ließ sich von Casmilda aus ihrem modischen Frühlingsmantel helfen und nahm in der hintersten Ecke des Salons Platz, immerhin könnte sonst jemand sehen, dass ihre Haare gefärbt wurden, und das müsse ein Geheimnis bleiben, hatte sie Casmilda hoch erhobenen Fingers gewarnt.

      Wenige Minuten später befand sich Casmy in einem emotionsgeladenen Gespräch mit ihrer Kundin, wobei die junge Friseuse die Fassung wahrte und die heftigen Emotionen von ihrem Gegenüber ausgingen.

      „Bedenken Sie bitte, dass nur der Nachwuchs eingestrichen werden darf, sonst brechen mir wieder meine Haare ab, so wie beim letzten Mal!“, erwähnte Frau Tüttenleut, als sie an ihrem schwarzen Kaffee nippte. Dabei fuchtelte sie aufgeregt mit ihrem rechten Arm durch die Gegend und gackerte wie ein Huhn.

      Wenn sie nur einen Moment lang verstehen würde, dass ihre Haare brechen, weil sie billige Produkte für die vermeintliche Pflege benützt, dachte Casmy. Die Dame prahlte regelmäßig mit ihren Finanzen, gehörte aber zu der bereits erwähnten Sorte von geizigen Kunden, die sich ein gutes Shampoo sowie eine reichhaltige Haarkur für den Hausgebrauch nicht leisten wollten. Herr Eisblicker war wieder einmal sehr gut gelaunt. Er schnauzte Conny an, dass sie ihm letztes Mal am Oberkopf die Haare zu kurz geschnitten hätte, und jetzt sähe man seine große Nase noch viel deutlicher aus dem Gesicht hervorragen.

      „Wie wäre es mit einer Schönheitsoperation?“, hätte Cornelia am liebsten erwidert, doch sie erinnerte sich an die Worte ihrer Freundin, die besagten, wie wichtig es sei, Privatleben und Beruf zu trennen. Also hielt sie ihren Mund und tat, was sie tun konnte. Sie nahm sich vor, die Haare am Oberkopf gar nicht zu schneiden, obwohl sie wusste, dass der gnädige Herr sich das nächste Mal darüber beklagen würde, wie unmöglich lange dieser Bereich doch sei, da die Frisur an diesem Punkt keinen Stand hätte.

      Und dennoch, der Ehrlichkeit halber musste sie sich selbst eingestehen, dass Herr Eisblicker mit diesem Kurzhaarschnitt aussah, als würde ihm gerade eine Kartoffel oberhalb des Mundes herauswachsen.

      Marcos Kunden, diejenigen, die er sich innerhalb der kurzen Zeit, die er im Salon beschäftigt war, durch Weiterempfehlungen geangelt hatte, waren dagegen sehr locker und freundlich. Sie fragten ihn, wie es ihm bei der Arbeit erginge, wie es um sein Liebesleben bestellt sei, usw.. Eine junge Dame meinte sogar, sie verstünde gar nicht, wie so ein hübscher junger Mann sein Dasein als Single fristen würde, woraufhin er aufs Dunkelste errötete. Ein wenig neidisch hatten Conny und Casmy sich die Gespräche zwischen Marco und seinen Kunden angehört. Was hat dieser Mensch nur an sich?, fragten sie sich, obwohl sie die Antwort genau kannten. Die Frauen lagen ihm zu Füßen, und die Männer empfanden ihn als Kumpel. Sein Charme, sowie sein Aussehen begeisterten das weibliche Geschlecht des Klientelles. Die Herren mochten sein sichtbar eitles Styling, in dem sie sich selbst spiegelten, oder mit dem sie sich verglichen. Casmilda und Conny beruhigten sich des Öfteren mit dem Gedanken, Marco habe seinen Erfolg einzig und allein seinem Geschlecht zu verdanken. Trotzdem wussten sie über den Vorwand dieses Gedankens Bescheid, der einzig und alleine darauf abzielte, ihren persönlichen Neid zu verdrängen.

      Gegen Mittag herrschte ein reges Treiben im Geschäft. Die Kundschaften forderten von ihren Stylisten Höchstleistungen, was ihre Friseurkunst anbelangte, verhielten sich an diesem Tag wieder einmal ganz besonders heikel, und kommandierten das Personal herum. Der Vormittag schien nur die „Ruhe vor dem Sturm“ gewesen zu sein. Die unausgeschlafene Conny wurde von den Kunden beinahe regelrecht schikaniert, was auch mit ihrem Mangel an Konzentration zu tun hatte. Casmilda dagegen spürte ihren fehlenden Schlaf der letzten Nacht kaum. Um 11:30 spielte es im Radio einen Song, der Cornelia an Daniel erinnerte. Zu diesem Lied hatten sie bei ihrem zweiten Treffen getanzt. Ein verträumtes Lächeln zierte ihre Lippen und sie schmolz dahin, als ihre Kundin, Frau Mutschmay, rief: „Vorsicht, nur die Spitzen schneiden, Sie junges, törichtes Ding!“

      „Ähm, Verzeihung Frau Mutschmay, ja, nur die Spitzen, kein bisschen mehr!“ Conny gestand sich ein, beinahe ein wenig zu viel als „ein Bisschen“ abgeschnitten zu haben, zumindest war sie ziemlich knapp davor gewesen, es zu tun.

      Sexuell orientierte Gedanken waren in diesem Moment überhaupt nicht angebracht, doch Marco starrte Casmy unentwegt an, sooft er das nur konnte, während er seinem Kunden, Herrn Langkrämser, blonde Strähnen ins Haar strich.

      „Vorsicht, nicht zu breit, Sie Träumer!“, meckerte dieser, „wenn die Strähnen zu breit sind, könnte jemand die künstliche Nachhilfe bemerken.“

      Herr Langkrämser war immer schlecht gelaunt, einer der wenigen Kunden, die auf Marcos charmante Art nicht reagierten. Er war auch einer der wenigen, dem Marcos weibliche Gesten auf die Nerven gingen, aber er wollte trotzdem bereits zum zweiten Mal von ihm bedient werden, weil er sehr gut beraten, schneiden und färben konnte. Manch anstrengender Besucher des Salons jammerte natürlich nur, um seinen Frust loszulassen.

      „Nein, mein Teuerster, ganz bestimmt nicht, versprochen!“, meinte der junge Stylist mit einer balett-ähnlichen Handbewegung dazu schweifend, worauf Casmilda wie erstarrt in die andere Richtung schaute. Ist mein Herzallerliebster nun doch homo – oder bisexuell?, fragte sie sich.

      Eine gewisse Neugierde ergriff von ihrer Konzentration Besitz. Doch blitzschnell besann sie sich eines Besseren und lenkte ihre Gedanken wieder auf die Arbeit. Frau Tüttenleut hielt ausnahmsweise ihren Mund, weil sie sich am Waschbecken entspannte, während Casmy ihr eine wohltuende Kopfmassage genehmigte. Sie dachte wieder an ihren Sex mit Valetta. War sie selbst lesbisch? War das wichtig? Wenn sie das Cornelia erzählen würde, was würde diese davon halten? Casmy blickte kurz zu ihr hinüber.

      Diese schien sich vollkommen auf den Kopf ihrer Kundin zu konzentrieren, als Frau Semmelbrack rief: „Wenn Sie sich bitte ein wenig mit meiner Dauerwelle beeilen würden, ich habe nicht den ganzen Tag für diesen Salonbesuch reserviert!“ Conny nickte nur lächelnd und verständnisvoll. Sie hatte sich so sehr beeilt, die Frisur von Frau Mutschmay fertigzustellen, da diese ebenfalls nicht unbedingt viel Zeit für ihren Salonbesuch mitgebracht hatte, und nun folgte schon wieder eine Ohrfeige.

      Casmilda schweifte in Gedanken. Sie war die einzige, die sich Träumerei zu diesem Zeitpunkt erlauben durfte, da Frau Tüttenleut gerade eine Handmassage erhielt, während ihre Haarpflegepackung einwirkte. Ihre Kollegen war alle beschäftigt. „Reiß dich zusammen, Casmy,“ führte sie einen inneren Monolog, während sie die Hände ihrer Dame knetete, sodass diese mit offenem Munde dahindösend beinahe zu schnarchen begann, „es ist in diesem Moment nicht relevant, ob Marco sich zu Männern hingezogen fühlt oder inwiefern Valettas sexuelles Interesse das deinige vielleicht verändern wird“. Die jungen Stylistinnen arbeiteten in einem Haarstudio erster Klasse und dachten an ihre privaten Problemchen. Es grenzte an ein Wunder, dass noch keine von den anwesenden Kunden verschnitten, verfärbt, oder „verwickelt“ war.

      Casmilda beendete die Massage, legte die Hand der Kundin zurück auf deren Schoß und merkte erst jetzt, dass diese richtiggehend eingenickt war. Sie lag entspannt auf dem Handtuch, das ihren Hals auf dem Waschbecken stützte. Casmy nutzte die kurze, von ihr selbst so definierte Verschnaufpause und ging schnell nach draußen vor den Laden, um sich eine Zigarette zu genehmigen, wobei sie die Packung und das Feuerzeug immer in der untersten Lade ihres Arbeitswagens verstaut hatte. Sie zog hastig an ihrem Glimmstängel, und warf zwischenzeitlich einen Blick in Frau Tüttenleuts Richtung. Zwei Minuten später musste sie ausdämpfen, weil ihre Kundin nach ihr rief und mit bösen Blicken und starr ausgestrecktem Finger auf ihre Armbanduhr deutete. Casmilda steckte sich schnell ein Pfefferminzbonbon in den Mund und betrat wieder den Laden. Larcy warf