Gery Wolfsjäger

Casmilda's Gewinn durch Verlust


Скачать книгу

trotz ihres verdatterten Innenlebens erkannte sie Valetta.

      „Hallo, Valy!“, stammelte sie mit einem abgehobenen Lächeln.

      Valy unterließ es zu antworten und stand schweigend da. Mit langsamen Schritten bewegte sie sich auf das Waschbecken zu und wusch sich die Hände. Sie versuchte, ihre Erschütterung zu verbergen. Wie hatte sie sich nur mit diesem Menschen auf eine Beziehung einlassen können? Tatjana war aggressiv, anhänglich und lebte immer in ihrer eigenen Welt, die sie mithilfe diverser Drogen wie Ecstasy oder Speed betreten konnte. Trotz des Deliriums, in dem sie sich auch an diesem Tag bewegte, bemerkte sie die kühle Ignoranz ihrer Ex-Freundin und schlang wie zum Trotz ihre Arme um deren Körper. Dann begann sie zu schluchzen. Valetta stieß sie von sich, weil sie von ihrer Gestalt und ihrem Gestank angewidert war. Mit einem heftigen Knall landete Tati der Länge nach auf den hellblauen Fliesen. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht.

      Valetta drehte sich erschrocken zu ihr um und riss die Augen auf. „Entschuldige, das wollte ich nicht!“, versuchte sie sie schließlich zu beschwichtigen. Eine kleine Welle des Mitgefühls durchströmte ihr Bewusstsein. Valy kniete sich auf den Boden und versuchte vorsichtig, die Hände ihrer Ex-Freundin aus ihrem Gesicht zu wenden, während diese ihren Kummer still und leise ertrug.

      Kurz bevor Valettas Hand Tatjanas Schutzbarriere berühren konnte, holte Tatti in Sekundenschnelle aus und wollte ihr einen heftigen Schlag auf die Nase verpassen.

      Valettas Reflexe ließen sie jedoch in diesem Moment nicht im Stich, also wich sie geschickt aus, während Tatjanas Schlag unbeholfen in der Luft landete. Valy stand auf und blickte das Häuflein Elend am Boden mit herablassender Miene an, während sie die Arme vor der Brust verschränkt hatte, eine Rechenschaft abwartend.

      „Du hast mich verlassen, genau wie alle anderen auch“, hauchte Tatjana dumpf.

      „Niemand liebt mich“, stieß sie anschließend mit wütender Stimme hervor, die der Ausgeburt der Hölle gleich klang. Auf welchen Trip sie sich wohl diesmal begeben hatte?, fragte sich Valetta ungerührt.

      „Denke einmal darüber nach, warum du immer und immer wieder verlassen wirst!“, entgegnete sie kühl , ohne mit der Wimper zu zucken. Sie bemühte sich, Haltung zu wahren und verließ langsamen Schrittes den Vorraum des WCs. Ihr innerer Schockzustand drang nicht nach außen, sie war eine perfekte Schauspielerin. Dennoch wühlte sie die Tatsache auf, vor wenigen Minuten Casmilda in überzeugenden Tönen von lesbischen Beziehungen erzählt zu haben, und kurze Zeit später mit der Wahrheit einer verrückten, homosexuellen Frau konfrontiert zu werden, mit der sie früher ihre Gefühle geteilt hatte.

      Sie atmete tief durch setzte sich wieder zu Casmy an den Tisch. Sie wollte diesen Vorfall einfach verdrängen und biss gedankenverloren in ihren Burger. Casmilda verspeiste genüsslich ihr Dessert, und bemerkte Valys Miene nicht. Wenige Minuten später wurde die Toilettentür gewaltsam aufgerissen, sodass alle Gäste ihre Aufmerksamkeit auf den Knall richteten, den sie hinterlassen hatte. Tatjana rannte schnurstracks nach draußen, nachdem sie Valy im Innenbereich des Restaurants nicht gefunden hatte.

      „Valetta, du Schlampe! Wo bist du?“, schrie sie.

      Sie gab der Eingangstür einen kräftigen Schubs und beschleunigte ihre Schritte, als sie Valetta draußen erblickte. An ihrem Tisch angekommen sagte sie beinahe seelenruhig: „Ist das deine Neue, du Flittchen?“ Ihr zynisches Lächeln trieb Valetta zur Weißglut, doch sie spielte ihre Rolle weiterhin gut, während sich in ihrem Inneren Aggressionen aufstauten, die sie nur schwer zu bändigen vermochte. Dennoch reagierte sie lässig, als sie erwiderte: „Geh' nachhause, Tatti, lass' uns zufrieden, oder ich rufe die Polizei und erzähle den Bullen von deinem köstlichen Cocktail.“

      Casmilda war der Appetit vergangen. Sie wartete ungeduldig auf eine Analyse der Situation, während sie nervös an ihren Fingernägeln herumkaute.

      „Wir sehen uns wieder!“, brachte Tatjana aufgebracht hervor, „spätestens, wenn du dich wieder einsam fühlst.“ Mit diesen letzten Worten machte sie auf dem Absatz kehrt und marschierte in Richtung U-Bahn. Casmilda starrte ihr hinterher, verwundert über den wackligen Gang, den diese für sie eigenartige Emanze benützte, um sich fortzubewegen. Sie legte die Stirn in Falten.

      „Wer ist diese niveaulose Person? Daniels Auftritt war dagegen harmlos!“, empörte sich Casmilda, ohne ihren Blick von Tatti abzuwenden. Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder Valetta entgegenbrachte, da sie registrierte, keine Antwort von ihr erhalten zu haben, bemerkte sie die Tränen in deren Augen. Von Betroffenheit ergriffen richtete Casmy ihre Augenbrauen nach unten.

      „Komm, wir gehen irgendwohin, wo wir ungestört miteinander reden können,“ versuchte sie, ihre Freundin zu beschwichtigen.

      Sie packten ihre Sachen und suchten sich ein gemütliches Plätzchen auf einer Straßenbank, weit weg von all den neugierigen Schaulustigen, die sie bei Junk Food Mood beobachtet hatten, als Tatti ihre Worte zum Besten gegeben hatte. Casmilda wusste, dass Valetta in solch schwachen Momenten nicht in den Arm genommen werden wollte, also ließ sie sie in ihrer verschlossenen Haltung verharren. Wenige Minuten später ließ Valy ihren Tränen freien Lauf, während Casmilda ihre Neugierde nun vollkommen durch ein Gefühl der Empathie ersetzt hatte. Sie drückte ihr ein Taschentuch in die Hand. Nachdem sich Valy geschnäuzt hatte, atmete sie tief durch, biss wütend die Zähne zusammen und ließ wieder locker, um den Mund zu öffnen und Casmilda aufzuklären. In ihrem Bewusstsein wurde eine Erinnerung wachgerufen, die sie trotz aller Verdrängung in diesem Moment der Verwirrtheit und Zerrissenheit klar und deutlich aufrüttelte.

      Langsam drehte sie ihr tränenbenetztes Gesicht Casmilda zu, die den Wink des Blickes verstand, ihre volle Aufmerksamkeit nun auf das Folgende zu konzentrieren.

      Und dann erzählte Valy ihrer Freundin eine entsetzliche Wahrheit : „Ich war zwanzig, als es geschah. Der Typ drückte mich in der Toilette gegen die Wand, es war zwei Uhr morgens, in einer Diskothek in Vorarlberg. Er wollte in mich eindringen, hatte bereits seine Hose und Unterhose heruntergezogen.“ Bei dieser Erinnerung zuckte sie zusammen, sprach aber mit brüchiger Stimme weiter. „, Ich sagte ihm, er solle sich zum Teufel scheren und mich in Ruhe lassen, doch es schien ihm eine gewisse Genugtuung zu verleihen, dass ich unter meiner aggressiv gestimmten Aussage eine höllische Angst verstecken wollte, die ihm wohl nicht ganz entging.“ Nach einer kurzen Atempause fuhr sie unbeirrt fort, so als hätte sich das Ereignis erst vor kurzer Zeit zugetragen. „Mit lüsternem Lächeln gab er mir zu verstehen, ich solle mich fügen, denn es könnte mich sowieso keine Menschenseele hören, falls ich schrie, denn die Leute in der unmittelbaren Umgebung seien derart zugedröhnt, dass sie meine Laute als alles andere deuten würden, als das, was sie in Wahrheit wären. Dennoch schrie ich natürlich aus tiefer Kehle, als er mich mit einer Hand festhielt und mit der anderen meinen Hosenknopf öffnete. Gewaltsam zerriss er meinen Slip, während die Zahl meiner Herzschläge sich verdoppelte.“

      Valetta verzog ihr Gesicht zu einem Ausdruck des Ekels und Zorns, als sie die Nase rümpfte und die Augenbrauen mit aller Kraft nach unten presste, um ihren Hass gegenüber ihrem Vergewaltiger auszudrücken.

      „Ich werde niemals das pulsierende Zucken seines Penis vergessen, dessen Erregung des Trägers sich sichtlich steigerte, als er merkte, wie ängstlich und klein ich mich fühlte, als mir die Tränen die Wangen hinunterliefen und meine Aggression diesen Emotionen wich, oder sein widerwärtiges Lächeln, als er mit heftigen Bewegungen sein Geschäft verrichtete . Ich wich seinem Blick aus, so gut ich konnte, doch während er mit der einen Hand meine Taille fixierte, drückte er mein Gesicht mit der anderen in das Blickfeld seiner niederträchtig wirkenden Visage. Dieser Akt der Grausamkeit schien ewig anzudauern. Ich weiß nicht, wie lange er seine gewalttätigen Stöße gegen meinen Willen einsetzte. Ich weiß aber, dass er mich einfach auf dem kalten Fliesenboden liegen gelassen, nachdem er seinen Samen auf meinem Rock verteilt hatte, und mich anspuckte. Dann ging er.“ Valy sagte nichts mehr. Ihre leisen Tränen, die sich in große Sturzbäche der puren Verzweiflung auszudrücken schienen, sprachen Bände. Das laute Treiben der hektischen Menschen auf der Straße ging an den beiden jungen Frauen spurlos vorüber. Casmilda hatte ihrer Freundin gebannt zugehört, und wusste nicht, ob sie sie aufgrund dieser körperlich und seelisch grausamen Erfahrung in