Die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den Sonderabgaben zeigt uneinheitliche Tendenzen. Zum einen kann die Tendenz beobachtet werden, die zuvor, insbesondere in der Kohlepfennig-Entscheidung, sehr strikt gehandhabten Zulässigkeitskriterien der Sonderabgabe Stück für Stück aufzuweichen. Diese Entwicklung tritt am deutlichsten bezüglich der gruppennützigen Verwendung der durch Sonderabgaben erzielten Einnahmen und der mit dieser untrennbar zusammenhängenden besonderen Finanzierungsverantwortung der Pflichtigen zu Tage:[554] Im Klärschlamm-Beschluss hat das Bundesverfassungsgericht eine „generelle Verbesserung der Bedingungen für eine landbauliche Verwertung“, eine „mittelbare Verwendung des Abgabenaufkommens im Interesse der Abgabepflichtigen“ bereits für ausreichend erachtet[555]. Dem durch das Bundesverfassungsgericht festgestellten „Fortschreiten der Sonderabgabengesetzgebung in Bund und Ländern“[556] wirkt das Gericht durch eine solche Aufweichung ihrer Zulässigkeitskriterien weniger entgegen, als diese noch zu befördern[557]. Demgegenüber werden in anderen, neueren Entscheidungen die Zulässigkeitsanforderungen an verfassungsgemäße Sonderabgaben unverändert streng angewandt. Wenn der Schein nicht trügt, zeichnet sich in der Judikatur im Wege einer Differenzierung eine größere Konsistenz ab. Während die Entscheidung zum „Klärschlamm-Entschädigungsfonds“[558] – wie gezeigt – sehr großzügig vorgeht, versuchen die neueren Entscheidungen, sofern sie Finanzierungssonderabgaben (Sonderabgaben im eigentlichen Sinne) betreffen, die in der Rechtsprechung überkommenen Kriterien mehr oder weniger streng anzuwenden[559]. Diese Differenzierung wird v.a. damit gerechtfertigt, dass beim „Klärschlamm-Entschädigungsfonds“ der Gesetzgeber „sich der Abgabe zur Verfolgung eines Sachzwecks bedient, der über die bloße Mittelbeschaffung hinausgeht“, er „gestaltend auf den geregelten Sachbereich Einfluss genommen“ habe[560]. Insofern spricht der Zweite Senat von einem Instrument des „Umwelthaftungsrecht[s]“[561] bzw. von einer „versicherungsnahen Lösung“[562].
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Nur vereinzelt ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insgesamt und kategorial in Frage gestellt worden[563]. Es wird zu Recht kritisiert, dass die entscheidende Frage, ob es die Sonderabgabe „überhaupt als eigenständige Finanzierungsform geben darf“, nicht mehr gestellt, sondern alleine durch grundgesetzferne Zulässigkeitskriterien halbherzig den gröbsten Auswüchsen begegnet werde[564]. Zentraler Angriffspunkt gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist darüber hinaus, dass das Gericht die Tatbestandsmerkmale der Sonderabgabe zugleich als deren Zulässigkeitsvoraussetzung sehe[565]. Gerade die neuere, teilweise aufweichende Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Sonderabgaben verdeutlicht erneut deren grundsätzliche Problematik: Bei einer großzügigen Handhabung der richterrechtlich entwickelten Kriterien geht die spezifische Schutzfunktion für den belasteten Bürger, nur durch in der Verfassung vorgezeichnete Abgaben verfassungsrechtlich eingehegt belastet zu werden, verloren. Das haushaltsverfassungsrechtlich nachvollziehbare, erhöhter Transparenz dienende Anliegen der haushaltsmäßigen Dokumentation bringt in einem unlösbaren Zielkonflikt – ungewollt – zugleich eine problematische „Normalisierung“ und Gewöhnung an diesen abgabenrechtlichen Fremdkörper. Die Gefahr der Entwicklung einer „apokryphen Finanzverfassung“ (Peter Selmer) gewinnt erneut an Aktualität. Trotz dieser gewichtigen grundsätzlichen Bedenken ist bei realistischer Betrachtungsweise vom Fortbestand der skizzierten Judikatur auszugehen.
a) Homogenität der Gruppe der Abgabenpflichtigen
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Nach der Leitentscheidung zur Ausbildungsplatzförderungsabgabe ist eine Gruppe homogen, wenn sie durch eine gemeinsame, in der gesellschaftlichen Wirklichkeit oder in der Rechtsordnung vorgegebene Interessenlage oder durch besondere gemeinsame Gegebenheiten von der Allgemeinheit und anderen Gruppen abgrenzbar ist[566].
Wegen des Ausnahmecharakters der Sonderabgabe stellt das Bundesverfassungsgericht an diese Grundentscheidung hohe Anforderungen. Durch die Bejahung oder Verneinung der Homogenität der Gruppe der Abgabenbelasteten ist zumeist schon die Vorentscheidung über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Sonderabgabe getroffen. Dies folgt in formeller Hinsicht aus dem Gebot der Dreifach-Kongruenz: Die Gruppe der Abgabepflichtigen muss grundsätzlich identisch mit der Gruppe der Zweckverantwortlichen und der Gruppe der potenziell Begünstigten sein. Aus diesem Gebot folgt, dass diejenigen Anforderungen, die an eine der drei Gruppen zu stellen sind, unterschiedslos auch die beiden anderen Gruppen betreffen und daher – bildlich gesprochen – vor die Klammer zu ziehen sind. Zu diesen Anforderungen zählt in materieller Hinsicht die Homogenität der Gruppe. Die Kriterien der spezifischen Finanzierungsverantwortung der Gruppe sowie der gruppennützigen Verwendung des Abgabenaufkommens stehen und fallen mit dem Vorhandensein einer homogenen Gruppe der Abgabepflichtigen[567].
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Ob eine Gruppe homogen ist, entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf den mit der Sonderabgabe verfolgten Zweck[568]. Jedes Gruppenmitglied muss das Merkmal einer besonderen Nähe zu dem mit der Abgabe verfolgten Zweck aufweisen. Dass die Gruppenmitglieder daneben gegebenenfalls sonstige Interessengegensätze haben oder im Konkurrenzverhältnis zueinander stehen, ist für die Gruppenhomogenität unschädlich[569]. Dieser enge Verantwortungszusammenhang von einander prinzipiell gleichgeordneten Akteuren verlangt, dass jeder einzelne Akteur bei typisierender Betrachtung
– | die Gefahr, der die Sonderabgabe begegnen will, entweder aktiv mitverursacht hat oder |
– | dieser Gefahr in spezifischer Weise passiv ausgesetzt ist. |
Dabei besteht zwischen beiden Anknüpfungspunkten kein generelles Exklusivverhältnis. Vielmehr ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei, die Gruppe nach Maßgabe eines gemeinsamen Merkmals so zu definieren, dass sie nebeneinander aus Gefährdern und Gefährdeten besteht. Allerdings enthält die bundesstaatliche Finanzverfassung für den Fall, dass der Gesetzgeber die Erstreckung der Sonderabgabe auf Akteure der zweiten Kategorie in Betracht zieht, weitergehende Begrenzungen. Sie ergeben sich aus dem verfassungsrechtlichen Erfordernis einer klaren Trennung zwischen Sonderabgabe und Steuer[570].
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Geht man von der politischen Grundidee einer Erstreckung der Sonderabgabe auf beide Akteursgruppen aus, muss der Gesetzgeber beide Gruppen zunächst „auf den Begriff bringen“, d.h. sie am Maßstab eines gemeinsamen Merkmals identifizieren. Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Homogenität der Gruppe der Abgabepflichtigen sind neben wirtschaftlich-faktischen Kriterien und den normativen Vorprägungen, die sich aus anderweitigen Regelwerken ergeben, Wertungen heranzuziehen, die der Gesetzgeber selbst bei der Einführung und Ausgestaltung der Sonderabgabe vorgenommen hat. Dem Gesetzgeber ist es jedoch verwehrt, beliebig Gruppen nach Gesichtspunkten, die nicht in der Rechts- oder Sozialordnung materiell vorgegeben sind, normativ zu bilden[571].
Ob im Rahmen eines zukunftsgerichteten Mitteleinsatzes eine Mehrzahl von Abgabepflichtigen als homogene Gruppe i.S.d. Sonderabgabenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anzusehen ist, bedarf grundsätzlich einer Prognose, die dem Gesetzgeber obliegt. Wegen des Ausnahmecharakters nichtsteuerlicher Abgaben und insbesondere der Sonderabgabe und ihres besonderen Rechtfertigungsbedarfs sind an diese Prognose hohe Anforderungen zu stellen. Soweit der Gesetzgeber sich entschließt, einer Sonderabgabe außer präventiven Funktionen auch eine Finanzierungsfunktion für einen bereits in der Vergangenheit entstandenen Aufwand zuzuweisen, muss er die zukunftsgerichtete Prognose durch eine vergangenheitsgerichtete Betrachtung, die in die Nähe einer Einzelbeweiserhebung rückt, ersetzen[572].
Die Homogenität der Gruppe kann auch aus Normen, die bereits vor Schaffung der Sonderabgabe prägend sind, erwachsen. Das BVerfG hat in einer jüngeren Entscheidung