Recht der Sonderabgaben
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Die Sonderabgabe wirft zwei zusammenhängende Fragen auf: Wie ist sie in das verfassungsrechtliche Abgabensystem einzuordnen? Insbesondere: Handelt es sich um eine Auffangkategorie für anderweitig nicht qualifizierbare Abgaben oder um einen fest umrissenen eigenständigen Abgabentypus? Und: Wie ist sie zu rechtfertigen, was sind ihre Grenzen, vor allem im Hinblick auf die durch Sonderabgaben gefährdeten Prinzipien der Steuerstaatlichkeit, des Haushaltsverfassungsrechts, der bundesstaatlichen Finanzverfassung und der Belastungsgleichheit der Bürger[531]?
I. Begriff, Entstehung und Typen von Sonderabgaben
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Sonderabgaben stellen eine prätorische Rechtsschöpfung des Bundesverfassungsgerichts dar. In Anknüpfung an Vorarbeiten von Peter Selmer[532], Reinhard Mußgnug[533] und Karl Heinrich Friauf[534] arbeitet das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur Ausbildungsplatzförderungsabgabe[535] eine Begrifflichkeit heraus, die bis in die jüngsten Entscheidungen zu vergleichbaren Problemen fortwirkt[536]. Charakteristika der Sonderabgaben liegen namentlich darin, dass sie einem von der Allgemeinheit der Steuerzahler gesonderten Personenkreis auferlegt werden und in einen Fonds fließen, mithin in aller Regel haushaltsflüchtig sind.
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Sonderabgaben lassen sich als eigenständiger, verfassungsrechtlicher Abgabentyp einordnen. Sie sind nicht lediglich Auffangbecken für finanzverfassungsrechtlich anderweitig nicht qualifizierbare Abgaben[537]. Dies stellt das Bundesverfassungsgericht in der (ersten) Entscheidung zum Absatzfondsgesetz[538] klar. Die Sonderabgabe ist idealtypisch von anderen Abgabenarten abgrenzbar, auch wenn die finanzverfassungsrechtliche Qualifizierung von Abgaben in der Rechtsanwendung oft Schwierigkeiten bereitet. Mangels staatlicher Gegenleistung handelt es sich jedenfalls nicht um eine Vorzugslast. Von der Steuer unterscheidet sich die Sonderabgabe dadurch, dass ihr Belastungsgrund nicht das Leistungsfähigkeitsprinzip, sondern die Gruppenverantwortlichkeit für einen speziellen Finanzierungszweck ist. Weiterhin sind die Elemente der Zweckbindung und Fondsverwaltung der Steuer fremd[539]. Im Gegensatz zu den Sozialversicherungsbeiträgen handelt es sich nicht um eine Abgabe mit spezifischem Bezug zur Sachmaterie „Sozialversicherung“ im Sinne von Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG.
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Das Bundesverfassungsgericht unterscheidet zwischen Sonderabgaben mit Finanzierungszweck, bei denen die Finanzierungsfunktion Haupt- oder Nebenzweck sein kann, und sog. Ausgleichsabgaben eigener Art, welche keinen Finanzierungszweck verfolgen[540]. Innerhalb der Sonderabgaben unterscheidet das Gericht zwischen Ausgleichs-Finanzierungsabgaben als „Sonderabgaben im engeren Sinn“ und Ausgleichsabgaben ohne Finanzierungszweck, also Sonderabgaben mit Lenkungsfunktion[541]. Hierbei wird man mit Rainer Wernsmann differenzieren müssen: Die Tatsache allein, dass überhaupt ein Abgabenaufkommen erzielt wird, führt nicht zu einer Finanzierungssonderabgabe, denn die Verhaltenslenkung ist praktisch immer mit einem Abgabenaufkommen zumindest in der Anfangsphase verbunden (dies gälte selbst für die sog. Erdrosselungssteuern). Derartige Abgaben ließen sich am ehesten mit Bußgeldern und Geldstrafen sowie Säumniszuschlägen vergleichen, deren Funktion ebenfalls nicht in der Einnahmeerzielung, sondern in der Sanktionierung unerwünschten Verhaltens liegt. Sollen demgegenüber neben etwaigen Lenkungszwecken auch zweckgebundene Einnahmen, etwa zur Speisung eines Fonds, erzielt werden, handelt es sich um Finanzierungssonderabgaben[542]. Die Rechtfertigungsanforderungen sind je nach Sonderabgaben-Typus unterschiedlich streng[543].
1. Entwicklung der Sonderabgabenrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
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Mehr noch als andere Bereiche des Finanzverfassungsrechts ist das Recht der Sonderabgaben durch eine breite Kasuistik des Bundesverfassungsgerichts geprägt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung die speziellen Rechtfertigungsgründe der Sonderabgabe fortschreitend herausgearbeitet und verfeinert[544].
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Leitentscheidung ist diejenige zur Ausbildungsplatzförderungsabgabe von 1980[545]. Dort wurden vor dem Hintergrund der besonderen Rechtfertigungsbedürftigkeit nichtsteuerlicher Abgaben[546] drei kumulativ erforderliche Voraussetzungen postuliert, um eine Sonderabgabe ausnahmsweise von Verfassungs wegen für zulässig zu erklären:
– | Eine in der Wirklichkeit und/oder in der Rechtsordnung vorfindliche und abgrenzbare homogene soziale Gruppe muss vorliegen, damit sie rechtmäßig mit einer solchen Abgabe belastet werden kann. |
– | Eine spezifische Sachnähe/Beziehung zwischen dieser Gruppe und dem zu finanzierenden Zweck ist erforderlich: „Die mit der Abgabe belastete Gruppe muss dem mit der Abgabenerhebung verfolgten Zweck evident näher stehen als jede andere Gruppe oder die Allgemeinheit der Steuerzahler. Aus dieser Sachnähe muss eine besondere Gruppenverantwortung für die Erfüllung der mit der außersteuerlichen Abgabe zu finanzierenden Aufgabe entspringen.“ |
– | Das Abgabenaufkommen muss gruppennützig verwendet werden, um eine sachgerechte Verknüpfung zwischen Belastung und Begünstigung herzustellen. |
Bei der gruppennützigen Verwendung handelt es sich nicht nur um eine einfache haushaltsrechtliche Zweckbindung, vielmehr führt diese zur Haushaltsflüchtigkeit, also der fehlenden Erfassung des Aufkommens aus den Sonderabgaben im Haushaltsplan.
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In der Entscheidung zur Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe[547] werden diese Kriterien für Sonderabgaben, die nicht primär Finanzierungszwecken dienen, sondern Antriebs- und Ausgleichsfunktion besitzen, modifiziert: Durch die Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe sollen Arbeitgeber angehalten werden, Schwerbehinderte einzustellen (Antriebsfunktion), und die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die dieser Verpflichtung genügen, und denjenigen, die sie nicht erfüllen, ausgeglichen werden (Ausgleichsfunktion der Abgabe).
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Eine Konsolidierung der bisherigen Rechtsprechung findet sich in der Kohlepfennig-Entscheidung:[548] Die Allgemeinheit der Stromverbraucher treffe keine besondere Finanzierungsverantwortung für die Aufgabe der Förderung des Steinkohleeinsatzes zur Stromerzeugung. Die bloße Nachfrage von Haushalten und Industrie nach dem gleichen Wirtschaftsgut forme die Verbraucher nicht zu einer „homogenen Gruppe“ mit Finanzierungsverantwortung für diese Aufgabe. Der Kreis der Stromverbraucher sei nahezu konturenlos und gehe in der Allgemeinheit der Steuerzahler auf: „Das Interesse an einer Stromversorgung ist heute so allgemein wie das Interesse am täglichen Brot. Die Befriedigung eines solchen Interesses ist eine Gemeinschaftsaufgabe des Parlaments, das Finanzierungsinstrument die Gemeinlast der Steuer.“ Durch den Feuerwehrabgabenbeschluss[549] wurden die bisher entwickelten Grundsätze auch auf landesrechtlich geregelte Sonderabgaben übertragen.
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Ein neues Erfordernis an die Zulässigkeit von Sonderabgaben stellt die Altenpflegeumlage-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Gestalt einer besonderen Dokumentationspflicht auf[550]. Um einer substanziellen Schwächung des Grundsatzes der Vollständigkeit des Haushaltsplans durch die zunehmende Zahl haushaltsflüchtiger Sonderabgaben entgegenzuwirken, sind diese in ihrem vollständigen Bestand in einer dem Haushaltsplan beigefügten Anlage zu dokumentieren. Diese Dokumentationspflicht rückt die Sonderabgabe jedoch auch weiter in den „Bereich des beinahe Normalen und Regelmäßigen“[551] und schwächt dadurch