ersetzt. Wer hier und in ähnlichen, scheinbar kontrastierenden Ausdrucksformen eine Ambivalenz, eine Spaltung des Bewußtseins, ein Doppelleben erblickt, kennt nicht die Einheit der Person, in der scheinbar Widerspruchsvolles nur aus dem Vergleich der Minus- und der Plussituation analysierend und den Zusammenhang verkennend entnommen wird. Wer sich die Kenntnis des unaufhörlichen Aufwärtströmens des seelischen Prozesses erworben hat, der weiß, daß die richtige Charakterisierung eines Seelenvorgangs durch ein Wort, einen Begriff unserer Sprache an deren Armut scheitern muß, weil es nicht möglich ist, unaufhörlich Strömendes als feste Form zu benennen.
Sehr häufig finden sich Phantasien über das Thema, das Kind anderer Eltern zu sein, was mit einiger Sicherheit auf Unzufriedenheit mit den eigenen Eltern hinweist. In Psychosen, schwächer in anderen Fällen, findet man diese Phantasie der Wirklichkeit aufoktroyiert als dauernde Anklage. Immer, wenn der Ehrgeiz eines Menschen die Wirklichkeit unerträglich findet, flüchtet er zu dem Zauber der Phantasie. Wir wollen aber nicht vergessen, daß dort, wo die Phantasie sich mit Gemeinschaftsgefühl richtig paart, die ganz große Leistung zu erwarten ist, denn die Phantasie mit ihrer Erweckung von verlangenden Gefühlen und Emotionen wirkt wie der erhöhte Gasdruck bei einer laufenden Maschine: die Leistung wird erhöht. Der Wert der Leistung der Phantasie hängt also in erster Linie davon ab, von wie viel Gemeinschaftsgefühl sie durchdrungen ist. Dies gilt ebenso für den einzelnen wie für die Masse. Haben wir es mit einem sicheren Fehlschlag zu tun, so dürfen wir eine ebenfalls fehlschlagende Phantasie erwarten. Der Lügner, der Hochstapler, der Prahler sind sprechende Beispiele. Auch der Narr. Die Phantasie ruht nie ganz, auch dort nicht, wo sie sich nicht zu Tagträumen verdichtet. Schon das Gerichtetsein nach einem Ziele der Überlegenheit erzwingt ein Phantasieren in die Zukunft, wie jedes Voraussehenwollen. Daß sie ein Training in der Richtung des Lebensstils ist, ob sie in der Wirklichkeit, in Tag- oder Nachtträumen auftritt oder Kunstwerke schafft, ist nicht zu übersehen. Sie führt zu einer Herausstellung der eigenen Persönlichkeit und ist auf diesem Wege einmal mehr, einmal weniger dem Common sense unterworfen. Auch der Träumer weiß oft, daß er träumt. Und der Schlafende, noch so sehr der Wirklichkeit entrückt, fällt selten aus dem Bette. Dabei ist wohl alles, dem sich die Phantasie zuwendet, Reichtum, Stärke, Heldentaten, große Werke, Unsterblichkeit usw. Hyperbel, Metapher, Gleichnis, Symbol. Man darf die aufputschende Kraft der Metapher nicht übersehen. Sie sind einmal, trotz des Unverstandes mancher meiner Gegner, phantasievolle Verkleidungen der Wirklichkeit, niemals mit ihr identisch. Ihr Wert ist unbestritten, wenn sie geeignet sind, unserem Leben eine zusätzliche Spannkraft zu verleihen, ihre Schädlichkeit muß enträtselt werden, wenn sie dazu dienen, durch die Anspornung unserer Gefühle den gemeinschaftswidrigen Geist in uns zu bestärken. In allen Fällen aber dienen sie dazu, den Gefühlston, der einem gegenwärtigen Problem gegenüber dem Lebensstil zukommt, hervorzurufen und zu verstärken, wenn der Common sense sich zu schwach dazu erweist oder mit der durch den Lebensstil verlangten Lösung des Problems in Widerspruch steht. Diese Tatsache wird uns auch zum Verständnis des Traumes verhelfen.
Um diesen zu verstehen, bedarf es einer Berücksichtigung des Schlafes, der ja die Stimmungslage darstellt, in der ein Traum möglich ist. Fraglos ist der Schlaf eine Schöpfung der Evolution, eine selbständige Regulierung, die natürlich mit körperlichen Zustandsänderungen verbunden ist und durch solche hervorgerufen wird. Wenn wir diese auch derzeit nur ahnen können (vielleicht hat Zondek durch seine Untersuchungen über die Hypophyse ein wenig Licht darauf geworfen), so dürfen wir sie als gemeinsam mit dem Schlafimpuls wirkend annehmen. Da der Schlaf offensichtlich der Ruhe und Erholung dient, so bringt er auch alle körperlichen und seelischen Tätigkeiten dem Ruhepunkt näher. Die Lebensform des menschlichen Individuums ist durch Wachen und Schlafen in besseren Einklang mit dem Wandel von Tag und Nacht gebracht. Was unter anderem den Schläfer vom Wachenden unterscheidet, ist seine konkrete Distanz von den Problemen des Tages.
Aber der Schlaf ist kein Bruder des Todes. Die Lebensform, das Bewegungsgesetz des Individuums wacht unausgesetzt. Der Schläfer bewegt sich, weicht unangenehmen Positionen im Bette aus, kann durch Licht und durch Lärm erweckt werden, nimmt Rücksicht auf ein daneben schlafendes Kind und trägt seine Freuden und Leiden des Tages mit sich. Der Mensch ist im Schlaf auf alle Probleme gerichtet, deren Lösung der Schlaf nicht stören soll. Unruhige Bewegungen des Säuglings erwecken die Mutter, der Morgen bringt die Ermunterung, beim Wollenden fast regelmäßig zur beabsichtigten Zeit. Die körperliche Haltung im Schlafe gibt oft, wie ich gezeigt habe, ein gutes Bild der seelischen Stellungnahme, ebenso wie im Wachen. Die Einheit des Seelenlebens bleibt auch im Schlafe gewahrt, so daß wir auch das Nachtwandeln oder gelegentlichen Selbstmord im Schlafe, Knirschen mit den Zähnen, Sprechen, Muskelspannungen wie krampfhaftes Ballen der Hände mit folgenden Paraesthesien als Teil des Ganzen betrachten müssen und zu Schlußfolgerungen verwenden können, die freilich von anderen Ausdrucksformen her weitere Bestätigung finden müssen. Auch Gefühle und Stimmungen werden im Schlafe wach, gelegentlich ohne Begleitung von Träumen.
Daß der Traum zu allermeist als ein visuelles Faktum erscheint, liegt an dem überragenden Gewicht unserer Sicherheit bezüglich sehbarer Tatsachen. Ich habe meinen Schülern immer gesagt: »Wenn Ihr über irgend einen Punkt in Eurer Untersuchung im unklaren seid, so verstopft Euch die Ohren und schaut Euch die Bewegung an.« Wahrscheinlich weiß jeder von dieser größeren Sicherheit, ohne es in klare Gedanken gebracht zu haben. Sollte der Traum diese größere Sicherheit suchen? Sollte er in größerer Distanz von den Aufgaben des Tages, auf sich allein angewiesen, bei völliger Intaktheit seiner vom Lebensstil gelenkten schöpferischen Kraft, freier von der Beschränkung durch die Gesetze gebende Wirklichkeit, seinen Lebensstil stärker zum Ausdruck bringen? Sollte er, seiner im Lebensstil verankerten Phantasie anheimgegeben, auf jenen Wegen zu finden sein, wo wir auch sonst die Phantasie zugunsten des Lebensstils ringen sehen, wenn ein vorliegendes Problem die Spannkraft des Individuums übersteigt? Wenn der Common sense, das Gemeinschaftsgefühl des Individuums nicht spricht, weil es nicht in genügender Stärke vorhanden ist?
Wir wollen jenen nicht folgen, die der Individualpsychologie durch Totschweigen und Einschleichung den Wind aus den Segeln nehmen wollen. Deshalb wollen wir hier an Freud erinnern, der zuerst den Versuch unternommen hat, eine wissenschaftliche Traumlehre auszugestalten. Dies ist ein bleibendes Verdienst, das niemand schmälern kann, ebensowenig wie gewisse Beobachtungen, die er als dem »Unbewußten« angehörig bezeichnet. Er scheint viel mehr gewußt zu haben, als er verstanden hat. Aber indem er sich zwang, alle seelischen Erscheinungen um die einzig herrschende Substanz, die er anerkennt, um die Sexuallibido zu gruppieren, mußte er fehlgehen, was noch dadurch verschlechtert wurde, daß er nur die bösen Triebe ins Auge faßte, die, wie ich gezeigt habe, aus dem Minderwertigkeitskomplex verwöhnter Kinder stammen, Kunstprodukte verfehlter Erziehung und verfehlter Eigenschöpfung des Kindes sind und niemals die seelische Struktur in ihrer wirklichen, evolutionären Ausgestaltung verstehen lassen können. Wenn daher, kurz gefaßt, dies die Anschauung über den Traum ist: »Wenn ein Mensch sich entschließen könnte, alle seine Träume, ohne Unterschied, ohne Rücksicht, mit Treue und Umständlichkeit und unter Hinzufügung eines Kommentars, der dasjenige umfaßte, was er etwa selbst nach Erinnerungen aus seinem Leben und seiner Lektüre an seinen Träumen erklären könnte, niederzuschreiben, so würde er der Menschheit ein großes Geschenk machen. Doch so, wie die Menschheit jetzt ist, wird das wohl keiner tun; im stillen und zur eigenen Beherzigung wäre es auch schon etwas wert« � sagt Freud? nein, Hebbel in seinen Erinnerungen �, so muß ich hinzufügen, daß es dabei in erster Linie darauf ankommt, ob das Schema, das er anwendet, einer wissenschaftlichen Kritik standhält. Dies war im psychoanalytischen Schema so wenig der Fall, daß Freud selbst, nach mannigfachen Änderungen seiner Trauminterpretation, nunmehr erklärt, daß er niemals behauptet habe, jeder Traum habe sexuellen Inhalt. Immerhin wieder ein Fortschritt.
Was aber Freud den »Zensor« nennt, ist nichts anderes als die größere Entfernung von der Wirklichkeit im Schlafe, ein beabsichtigtes Fernbleiben vom Gemeinschaftsgefühl, dessen Mangelhaftigkeit eine normale Lösung eines vorliegenden Problems verhindert, so daß das Individuum, wie in einem Schock anläßlich einer erwarteten Niederlage, einen anderen Weg zu einer leichteren Lösung sucht, zu dem ihm die Phantasie, im Banne des Lebensstils, abseits vom Common sense behilflich sein soll. Sucht man darin eine Wunscherfüllung, oder verzagend, einen Wunsch zu sterben, so findet man nicht mehr als einen Gemeinplatz, der nichts von der Struktur des Traumes aufklärt.