Lieber Mann, was willst Du thun?
LORENZO, sich die Augen trocknend. Die grausame Pflicht meines Amtes erfüllen.
LINI. Du willst mir diese großen Ringe anlegen? – Sie sind zu schwer für meine kleinen Arme. –
LORENZO. Ich muß.
LINI. Laß es immer sein, denkst Du mich dadurch fester zu halten? – Ich muß ja doch hier bleiben.
AMELNI faßt LINI in ihre Arme. Ist denn alles Erbarmen hier todt? – Wenn Du Kinder hast, so schone seiner.
LINI. Vielleicht hast Du auch einen kleinen Sohn, wie ich bin, bedenk' einmal, wenn man ihn so binden wollte, würd' es Dir nicht wehe thun? – Laß mir immer die Arme frei, ich kann ja sonst nicht einmal meinen lieben Vogel dort füttern, und Du wirst doch nicht verlangen, daß er vor Hunger sterben soll? – Du siehst mich an. – Sieh mich freundlich an, und ich will Dich auch als einen guten Mann loben, ich will Dich den besten aller Spanier nennen. – Bist Du schon je so gebunden gewesen? – Gewiß nicht, denn sonst würdest Du meinen kleinen Händen diese Quaal nicht anthun wollen. –
LORENZO. Ich vermag es nicht. Er wirft die Ketten hin und geht ab.
Sechszehnte Scene
VORIGE ohne LORENZO.
LINI. Nun bin ich wieder froh, er geht.
AMELNI. O traure, daß er ging, mit ihm ging Dein Schutzgeist hinweg, denn sieh nur die Augen dieser Männer, die wie Gewitterwolken auf Dein Angesicht hängen. – Ich kann Dich nicht schützen. – Sie geht zurück, setzt sich auf ein Ruhebett, verhüllt ihr Gesicht und weint.
Einer von der Wache nimmt die Ketten auf, und geht damit auf LINI zu.
LINI. Du wirst mich doch nicht binden wollen? – Du siehst wirklich so aus. – Schämst Du Dich denn nicht? – Auf Suhlu ist der ein Bösewicht, der einem Kinde wehe thut. – Folge jenem Manne nach, – ich habe Dich nie gesehen, und Du könntest so grausam sein? – Wie starr er mich ansieht! als ob er mich nicht verstände! – Seht, ich weine, denn ich fürchte mich wirklich vor Euch, – bei Euch in Europa weint man wohl nicht, denn Ihr lacht über mich, – freilich spreche ich nur wie ein Kind. – Ihr seid lauter Grausamkeit, und Euer Betragen macht, daß ich wirklich zornig auf Euch werde! – Nun wohl! – Hier sind meine Arme! – Ich will nicht hinsehn, damit Ihr Euch nicht schämt, wenn ich Euch ansehe, – nun bindet mich, denn eben so leicht könnt' ich diese ehernen Ringe zum Mitleid bewegen, als Euch. – Er wendet sich hinweg und wird gefesselt, die Wache geht ab.
Siebzehnte Scene
AMELNI. LINI.
LINI. Ach Mutter! wie glücklich, daß sie Dich vergessen haben, ich will Deine Hände ansehen, und dabei die Last der meinigen vergessen.
AMELNI. O Lini! – Du bist ein fürchterlicher Anblick.
LINI. Ach Mutter! – Du mußt mir zuweilen etwas auf der Laute vorspielen, denn ich kann es nun nicht mehr. Er geht zu seinem Vogel. Sieh einmal, Freund, wie ich aussehe! – Du kannst nun froh sein, daß Du Deine Füße noch frei hast. – Du bist doch ein guter Vogel, ich glaube, Du würdest weinen, wenn es Dich Deine Eltern gelehrt hätten, so wie ich es von meiner Mutter gelernt habe.
Achtzehnte Scene
VORIGE. ALLA-MODDIN.
ALLA-MODDIN stellt sich stumm am Eingang des Gefängnisses, in seelenloser Betäubung mit seinen Ketten rasselnd.
AMELNI fährt bei diesem Geklirre auf, sieht ihn, und stürzt auf ihn zu. O mein Alla-Moddin!
ALLA-MODDIN gleichsam erwachend. Bin ich Alla-Moddin? – Unmöglich! – Er in Ketten? – O Amelni! Amelni!
LINI. Vater! Vater! – Leid' es nicht, daß ich so herumgehn muß.
ALLA-MODDIN wüthend. Auch Du? – O Barbaren! – Fluch! tausendfacher Fluch vom Himmel herab auf das Haupt der Bösewichter! – O Alonzo! – Sebastiano! Er schlägt wüthend mit den Ketten gegen die Mauer. O könnt' ich mit diesen Ketten diese Mauern verwunden, bis sie darniederstürzten?– O Wuth! Verzweiflung! – Warum machtet ihr meine Kraft nicht unsterblich? – So tief bin ich gefallen? – So tief Gattin und Sohn? – O Lini, Lini, würge Dich mit diesen Fesseln! stirb Unglücklicher! stirb! der Tod befreit von jedem Ungemach! stirb!
LINI. Mutter! – er läuft zu AMELNI, und verbirgt sich an ihren Busen. Mutter! – Hilf mir! – Sieh, wie die Augen meines Vaters glühen.– Was hab' ich gethan, daß mein Vater so sehr auf mich zürnt, der sonst immer so freundlich gegen mich war?
Neunzehnte Scene
VORIGE. SEBASTIANO.
SEBASTIANO stellt sich vor ALLA-MODDIN und betrachtet ihn aufmerksam.
ALLA-MODDIN mit kaltem Grimme. Willkommen! – Weide Dich an diesem Anblick.
SEBASTIANO ergrimmt vor sich murmelnd. Nein! Ihr sollt nicht siegen! – Eure Bemühung sei vergebens! – zu ALLA-MODDIN, dem er einen Becher hinhält. Trink!
LINI umfaßt ALLA-MODDIN. Vater, thu es ja nicht, dieser Mann könnte Dir etwas geben, das übel schmeckt und Dir nachher Schmerzen machte.
AMELNI tritt hinzu. Alla-Moddin! trink nicht, es ist Gift!
ALLA-MODDIN. Gift? – O nenn' es nicht so! Es ist ein Labetrunk, der mich schnell aus diesem Kerker in lichte Fluren entrücken wird, dann sind diese Ketten nicht mehr um meinen freien Arm geschlungen, dann wird jede Deiner Thränen reichlich bezahlt, alles was hinter uns liegt, ist dann ein schwarzer Traum, den die aufwachende Morgenröthe verscheuchte. Bitte diesen freundlichen Mann, er wird auch für Dich noch einige Tropfen haben.
SEBASTIANO. Trink!
ALLA-MODDIN ergreift den Becher. Die Götter Suhlu's winken mir mit freundlicher Geberde! Ich trinke Seligkeit aus diesem Becher.
Man hört aus der Ferne eine schallende Stimme »ALLA-MODDIN« rufen.
SEBASTIANO dringend. Trink, Verzagter!
STIMME. Wo ist er? Schließ eilig auf!
ALLA-MODDIN. War dies nicht des Fremden Stimme? – Ha! er kömmt! – Eine frohe Ahndung fliegt durch meinen Geist, ich trinke nicht! – Er wirft den Becher weg, und GUSMANN und der FREMDE treten herein.
Zwanzigste Scene
VORIGE. GUSMANN. DER FREMDE.
FREMDER. Alla-Moddin.
LINI eilt auf den Fremden zu. Ach, da bist Du ja, lieber fremder Mann, – hilf uns doch! –
FREMDER. Sebastiano! ich durchschaue Ihre Absicht, Alla-Moddin in Ketten? Und jetzt?– Sie wollten sich rächen, mit teuflischer Bosheit wollten Sie unsre Mühe vereiteln. – O glücklich, daß wir nicht zu spät gekommen sind!
SEBASTIANO. Wenigstens habe ich Ihnen keine Rechenschaft zu geben. – Er geht ab.
FREMDER. In Ketten? –