bb) Kriterium „Zuverlässige Bestimmbarkeit der Anschaffungs- oder Herstellungskosten“
(1) Bedeutung und Konkretisierung des Kriteriums
Bei einzelnen Anschaffungsgeschäften ist die zuverlässige Bewertbarkeit der Anschaffungs- oder Herstellungskosten gemäß IAS 38.26 „für gewöhnlich“ durch den Wert der hingegebenen Vermögenswerte (z.B. Zahlungsmittel) problemlos möglich. Im Fall des Erwerbs im Rahmen eines Unternehmenszusammenschlusses bestimmen sich die Anschaffungskosten eines immateriellen Vermögenswerts gemäß IAS 38.33 durch dessen beizulegenden Zeitwert im Erwerbszeitpunkt;252 dieser sei gemäß IAS 38.35 immer berechenbar, da bei Vorliegen der Identifizierbarkeitskriterien immer ausreichende Informationen zur zuverlässigen Bewertbarkeit zur Verfügung stünden. Damit sind bei Zugang immaterieller Vermögenswerte durch einen Unternehmenszusammenschluss beide allgemeinen Ansatzkriterien des IAS 38.21 stets typisierend erfüllt (IAS 38.33).
Gemäß IAS 38.40 reichen hypothetische Anschaffungskosten einer gedachten Transaktion zu regulären Marktbedingungen aus, die zudem gemäß IAS 38.41 durch „Verfahren der indirekten Schätzung“ ermittelt werden dürfen; dazu zählen, „soweit angemessen“, Bewertungen mithilfe von aktuellen marktorientierten Multiplikatoren sowie Bewertungsmodelle zum Barwert. Zwischen dieser denkbar schwachen Konkretisierung zuverlässiger Bewertbarkeit und dem Idealfall der Existenz eines aktuellen Angebotspreises auf einem aktiven Markt existiert eine Reihe von Möglichkeiten zuverlässiger Bewertbarkeit.
(2) Anwendung auf den Fall: Beurteilung der zuverlässigen Bestimmbarkeit der Anschaffungskosten des Domain-Namens
Im vorliegenden Fall sind die Anschaffungskosten des Domain-Namens durch das gezahlte Entgelt zuverlässig bestimmbar; das Kriterium ist mithin erfüllt.
3. Ergebnis nach IFRS
Im Ergebnis erfüllt der Domain-Name sowohl die Definition eines Vermögenswerts als auch die zusätzlichen Ansatzkriterien des IAS 38. Folglich handelt es sich um einen aktivierungspflichtigen Vermögenswert.
4. Fallergänzung: selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte
a) Konkretisierung der allgemeinen Ansatzkriterien für selbst geschaffene immaterielle Vermögenswerte
Die allgemeinen Kriterien für den Ansatz immaterieller Vermögenswerte – die Wahrscheinlichkeit des Zuflusses künftigen Nutzens sowie die verlässliche Bestimmbarkeit der Anschaffungs- und Herstellungskosten – werden für die Zugangsart „Selbsterstellung“ in IAS 38.51–38.64 konkretisiert. Während der Forschungsphase gelten die beiden allgemeinen Ansatzkriterien typisierend als nicht erfüllt; in diesem Zusammenhang anfallende Forschungskosten unterliegen gemäß IAS 38.54 stets einem Aktivierungsverbot und sind sofort aufwandswirksam zu erfassen.253 Die Entwicklungskosten selbst geschaffener immaterieller Vermögenswerte sind bei Erfüllung weiterer Kriterien, bspw. der Fähigkeit der verlässlichen Bewertbarkeit der dem immateriellen Vermögenswert zurechenbaren Ausgaben, zu aktivieren (IAS 38.57).254
IAS 38.63 bestimmt, dass „selbst geschaffene Markennamen, Drucktitel, Verlagsrechte, Kundenlisten sowie ihrem Wesen nach ähnliche Sachverhalte“ nicht als immaterielle Vermögenswerte angesetzt werden dürfen, da Ausgaben in diesen Fällen nicht von den Ausgaben für die Entwicklung des Unternehmens als Ganzes unterschieden werden können (IAS 38.64).
b) Anwendung auf die Fallergänzung: Prüfung der Ansatzkriterien sowie des Ansatzverbots bei selbst geschaffener Webseite
Die SIC Interpretation 32 „Immaterielle Vermögenswerte – Websitekosten“ konkretisiert für die Entwicklung von Internetseiten, wie die Forschungs- von der Entwicklungsphase abzugrenzen ist und unter welchen Umständen die Kriterien des IAS 38.57 zum Ansatz selbst erstellter immaterieller Vermögenswerte in der Entwicklungsphase erfüllt sind. Der nach IAS 38.57(d) erforderliche Nachweis der Generierung eines voraussichtlichen künftigen wirtschaftlichen Nutzens kann gemäß SIC 32.8 nur dann erbracht werden, wenn mit der Webseite durch die Möglichkeit der Aufgabe von Bestellungen bzw. – im Fall der Werbeagentur der Nachfrage von Dienstleistungen – „direkte Umsatzerlöse“ erwirtschaftet werden können. Wird die Webseite hingegen ausschließlich oder hauptsächlich zur reinen Bewerbung der Dienstleistungen genutzt, so fehlt es annahmegemäß an einem eindeutigen Nachweis des Zuflusses eines zukünftigen wirtschaftlichen Nutzens (SIC 32.8); die für die Erstellung anfallenden Kosten sind in diesem Fall unmittelbar als Aufwand zu erfassen.255
Darüber hinaus weist eine selbst erstellte Webseite keine Ähnlichkeit mit den unter das Ansatzverbot des IAS 38.63 fallenden Sachverhalten auf. Da über die selbst erstellte Webseite in der vorliegenden Fallergänzung auch Dienstleistungen nachgefragt werden können, handelt es sich bei der Webseite um einen anzusetzenden Vermögenswert, der bei Erfüllung der Kriterien in IAS 38.57 i.V.m. SIC 32.8 bereits während der Entwicklung anzusetzen ist.
III. Gesamtergebnis
1. Für eine Lösung des vorliegenden Falls nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung sind die zentralen Aktivierungsprinzipien des Vermögenswertprinzips sowie objektivierend des Greifbarkeitsprinzips und des Prinzips selbstständiger Bewertbarkeit zu prüfen.
2. Das Vermögenswertprinzip ist erfüllt. Durch die Präsenz im Internet kann die Werbeagentur ihre Dienstleistungen einer Vielzahl potenzieller Kunden anbieten; dies lässt zukünftige Einnahmenüberschüsse in Form von Mehrerlösen erwarten.
3. Das Greifbarkeitsprinzip in seiner Ausprägung als Übertragbarkeit mit dem gesamten Unternehmen ist ebenfalls erfüllt, weil der Domain-Name im Rahmen eines gesonderten Geschäfts übertragen wurde und die nur aus formalen Gründen zwischengeschaltete DENIC zum Abschluss eines Registrierungsvertrags mit der Werbeagentur verpflichtet ist. Es handelt sich gemäß BFH um einen abgeleiteten Erwerb, der die Übertragbarkeit im wirtschaftlichen Sinne belegt.
4. Auch das Prinzip der selbstständigen Bewertbarkeit ist bei dem einzeln erworbenen Domain-Namen durch das gezahlte Entgelt zweifelsfrei zu bejahen.
5. Nach IFRS sind für den Fall des Domain-Namens die Regelungen des IAS 38 zu beachten. Die Definition des Begriffs „Vermögenswert“ sowie die Festlegung von Ansatzkriterien für Vermögenswerte des Rahmenkonzepts sind formal nicht relevant; faktisch können sie jedoch zur Konkretisierung herangezogen werden.
6. Die Definition des Vermögenswerts gemäß IAS 38 ist im vorliegenden Fall als erfüllt anzusehen, da ein erwarteter künftiger wirtschaftlicher Nutzen aus einer Ressource vorliegt, der aufgrund von Ereignissen der Vergangenheit in der Verfügungsmacht des Unternehmens steht.
7. Auch die zusätzlichen Definitionsmerkmale des immateriellen Vermögenswerts gemäß IAS 38 sind erfüllt. Die Webseite ist vom Geschäfts- oder Firmenwert abgrenzbar, weil sie einzeln verkehrsfähig und somit separierbar ist und auch die exklusive Nutzung der Webseite durch den Registrierungsvertrag mit der DENIC rechtlich abgesichert ist (sog. Contractual-Legal-Kriterium).
8. Die objektivierenden Ansatzkriterien der Wahrscheinlichkeit des Nutzenzuflusses sowie der zuverlässigen Bestimmbarkeit der Anschaffungs- oder Herstellungskosten sind aufgrund des gesonderten Erwerbs des Domain-Namens im vorliegenden Fall typisierend erfüllt.
9. Als Gesamtergebnis handelt es sich bei dem Domain-Namen um einen Vermögensgegenstand i.S.d. Grundsätze ordnungsmäßiger Bilanzierung. Auch nach IFRS liegt ein aktivierungspflichtiger Vermögenswert vor.
10. Während nach Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung der Ansatz der selbsterstellten Webseite während der Entwicklung wahlrechtsweise möglich ist, sieht die Interpretation SIC 32 den Ansatz während der Herstellungsphase in diesem Fall verpflichtend vor.