einem die anderen dann nicht so kritisch zuhören konnten.
In den Sechs-Uhr-Nachrichten kam die Meldung, daß die ARD das Spiel Real Madrid gegen Bayern München ab 20.15 Uhr live übertragen werde. Na klasse. Und um 20.03 Uhr würde Mama eintreffen. Blieben fürs Zukucken also gerade mal zwei oder drei Minuten.
Um fünf vor acht fuhr Papa zum Bahnhof. Vielleicht hatte der Zug ja Verspätung. Weitere anderthalb Stunden ohne Mama hätte ich schon noch ausgehalten.
Real trat ohne den verletzten Breitner an und ging in der achten Minute in Führung, und gerade in dem Moment kam Mama ins Haus rein. Wiebke hüpfte ihr freudeschreiend entgegen und wurde umhalst und abgebusselt, und Renate stellte eine Platte mit überbackenen Toastscheiben auf den Eßtisch. Sogenannte Hawaiitoasts, turmhoch mit Ananasringen, Schmelzkäse und Schinken belegt. Offenbar ’ne Spezialität aus Birkelbach.
Weißwein sollte es dazu geben, doch der Korkenzieher war perdü. Die ganze Küche hatte Renate ergebnislos abgegrast. Papa brachte ihn dann aus dem Keller rauf, und Wiebke und ich kriegten zum Abendbrot, wie immer, Kaba eingeschenkt.
Mama war braun geworden, und beim Essen legte sie los: Den Nachthimmel über Afrika, den müsse man schon selbst gesehen haben, sonst würde man’s nicht glauben. Ganz anders als hier, tausendmal prunkvoller! Beim Hinflug, von Zürich nach Windhuk, sei das Fenster leider von der Rückenlehne des Sitzes davor fast vollständig verdeckt gewesen. Und die Einrichtung der Farm sei man ja ziemlich primitiv, statt Heizungen nur große Feuerstellen.
Und nachts kein Strom, weil der Motor dafür zu laut gewesen wäre: »Man mußte ja hören können, ob sich ein Auto nähert, in dem dann möglicherweise Terroristen sitzen!« Zweitausend Ziegen und Schafe, und manchmal würden welche von Geparden gerissen. Und dann die Pavianherden! Und sechs Meter hohe Termitenhügel! »Auch auf Schlangen haben wir in der Wildnis immer achten müssen, und im Gebirge haben wir versteinerte Dinosaurierfußspuren gesehen …« Es gebe da auch einen Doppelberg, der den sinnigen Namen Omatako trage, auf deutsch: der Po. (Die eine Pobacke allerdings mit Furunkel.) Und in Transvaal die Granitmassive und die Eukalyptuswälder, unvergeßlich! In Tzaneen habe es leider fast dauernd geregnet. Als Start- und Landebahn für die Flugzeuge habe nur eine rubbelige Graspiste existiert, mit freilaufenden Hühnern drauf.
Renate holte die Nachtischportion aus dem Kühlschrank, die sie für Mama aufgehoben hatte. Apfelsinencreme.
Daß Mama auf demselben Flugzeugplatz gesessen haben könnte wie Gerd Müller, interessierte sie nicht die Bohne: »Glaubst du etwa, daß ich mich dadurch geadelt fühle?«
Dann packte sie ihre Mitbringsel aus: Scherenschnitte und Pötte und einen gelben Wandbehang mit aufgemalten Kudus. Der sollte überm Wohnzimmersofa angenagelt werden. Ich erhielt ein Musikinstrument: ein Holzbrettchen mit Metallstangen, die unterschiedliche Töne von sich gaben, wenn man sie nach dem Runterdrücken wieder hochschnicken ließ. Pling, plong, plung, plöng, pläng. Ein sogenanntes Ovamboklavier.
Als die Versammlung sich aufgelöst hatte, rief Renate Olaf an und fing sich einen Anschiß von Papa ein, wegen der Telefonkosten, und dann rief Tante Dagmar an: Ob wir ein altes Tonband haben wollten. Das habe ihre Nachbarin ihr geschenkt, fürs Katzenhüten, aber sie habe im Funkhaus schon genug mit Tonbändern zu tun. Sie könne es den Moorbachs mitgeben, wenn die uns Anfang April besuchten.
Wenigstens den Schluß von dem Spiel durfte ich noch kucken. In der 43. Minute hatte Gerd Müller ausgeglichen, zum 1:1, und das war auch der Endstand. Am Ende der ersten Halbzeit waren spanische Fans aufs Spielfeld gestürmt und hatten da den wilden Mann markiert.
Ganz spät kamen noch Ausschnitte aus der Partie HSV – FC Brügge, die 1:1 ausgegangen war. Eintracht Frankfurt hatte Westham United mit 2:1 besiegt, aber davon wurde nichts gezeigt, weil die Funktionäre der Eintracht das aus irgendwelchen Gründen nicht gestattet hatten. Weiß der Deubel, was da hinter den Kulissen vorgefallen war zwischen der UEFA, den Fernsehheinis und den Vereinsoberen. Die hatten doch ’n Loch im Kopp.
Von einem Großeinkauf in der Stadt brachten Mama und Renate tonnenweise Utensilien für Renates Studentenküche mit: Kochtöpfe in vier verschiedenen Größen, Kaffeekanne, Teekanne, Bratpfanne, Tauchsieder, Schneebesen, Zuckerdose, Schälchen, Schüsseln, Frühstücksbrettchen, Tassen, Becher, Gläser, Dosenöffner, Eierpieker, Eierbecher, Eßbesteck und zwei pompöse Salatgabeln.
Anhand des Kassenbons wollte Papa die Einzelpostenkosten überprüfen, aber der Bon war weg. Erst nach einer halben Stunde Suche fand Renate den zerknüddelten Zettel im Peugeot unterm Beifahrersitz, aber statt sich darüber zu freuen, geriet Papa in Weißglut über den Wucherpreis für die Bratpfanne und den Aberglauben, daß ein überteuerter Schneebesen zum Inventar einer Studentenküche gehöre, und beim Abendbrot, als ich vorm Fernseher auf dem Bauch lag und mich mit dem einen Fuß am andern kratzte, schrie Papa mich von hinten an: »Nimm die Flunken runter!«
Als ob ich die absichtlich ins Bild gehalten hätte.
Mama und Renate schritten sodann zum Frühjahrsputz: Ärmel aufkrempeln, Schränke von der Wand abrücken, Ecken ausfegen, Deckenlampen entstauben, Teppiche einrollen und untendrunter saugen, Gardinen abnehmen und waschen, tote Fliegen aus den Fensterzwischenräumen aufsammeln, Spinnweben beseitigen, Küchenschubladen ausräumen und auswischen und was Mama sonst noch so alles einfiel. Waschbecken schrubben zum Beispiel. Nur wozu? Da lief doch ständig Seifenwasser durch, so daß die sich von alleine säuberten.
Man kam sich vor wie auf ’ner Großbaustelle. Dauernd war einem die Trittleiter im Weg, überall standen schmutzwasserschwappende Putzeimer rum, und im Flur stank’s nach Sagrotan oder wie das hieß.
Still und emsig schaffen sie
stets das Gute, Böses nie.
»Und wenn du nicht willst, daß ich nachher dein Zimmer auf den Kopp stelle, dann machst du da jetzt selber sauber«, sagte Mama. »Aber schleunigst!«
Um halb zwölf marschierte sie zum Friseur, und Renate kochte Nasi Goreng, also Reis mit Scheiß.
Samstagmittag kamen Moorbachs angetöffelt. Renate hatte zum Nachtisch zwei Riesenschüsseln Bananenquarkspeise zusammengerührt und mußte nach dem Kaffeetrinken die Küche aufräumen, während Mama mit Tante Luise, Onkel Immo und deren Trabanten die Innenstadt besichtigen ging. Was es da wohl zu bewundern gab außer Ampeln, Schuhgeschäften und Zebrastreifen?
Das Tonband von Tante Dagmar hatte Volker sich unter den Nagel gerissen. Von mir aus! Was hätte ich schon anfangen sollen mit diesem zentnerschweren Ungetüm aus der Nachkriegszeit?
Nach dem Teetrinken fuhren Mama und Papa mit Tante Luise und Onkel Immo nach Jever, um da am Sonntag Opas achtzigsten Geburtstag zu feiern, und die Ableger der Moorbachs ließen sie uns hier: Hedda, Corinna und Bodo. Mit denen war nicht viel anzufangen. Pennen durften sie zu dritt in Mamas und Papas Ehebett.
Statt sich Werner Höfers Internationalen Frühschoppen anzutun, saß Renate beim Kartoffelschälen lieber in der Küche und hörte Radio.
I hear the drizzle of the rain,
Like a memory it falls …
Wiebke war mit den Moorbachmonstern zu ihrer Busenfreundin Carola abgezogen.
Am Nachmittag telefonierte Renate wieder lange mit Olaf. Sonntags waren die Ferngespräche ja billiger als unter der Woche, aber was Renate da verquasselt hatte …
Wir würden’s erleben.
Zu Opa Jevers Geburtstagsfeier sei sogar der Bürgermeister als Gratulant erschienen, erzählte Mama, und der Chor der Stadtkirche habe auf der Treppe in der Mühlenstraße ein Ständchen dargebracht. Und es sei doch schön, daß alle fünf Töchter Zeit gefunden hätten, sich aus diesem Anlaß wieder einmal zu Füßen des Familienoberhaupts zu versammeln. Selbst Therese aus England! Viel zu selten komme das vor. »Und beim Festmahl im Haus der Getreuen, da hat Vati sich nicht lumpen lassen! Was da alles aufgefahren worden ist, mein lieber Scholli! Und ihr, wie seid ihr hier zurechtgekommen?«
Papa