Pracht«, so hieß das.
So sei das nun mal bei den Katholiken, sagte Volker, die hätten eben den einen oder anderen Spleen, und Papa schrie: »Bring das verdammte Fahrrad runter!«
Am Frühstückstisch erschien Wiebke mit aufgemaltem Clownsgesicht und Pappnase. »Wetten, daß du die einzige bist, die so doof beschmiert zur Schule geht?« fragte ich sie, und da fing sie zu heulen an, und Volker sagte, daß ich ein Blödian sei.
Dabei hatte ich doch nur ’n kleinen Witz machen wollen. Mußte die denn jeden Mist so gräßlich ernstnehmen? Obwohl ich ihr mal ’n Eis ausgegeben hatte?
Mittags kochte Papa uns Milchnudeln, und im Viertelfinale des Europapokals der Pokalsieger unterlag Sturm Graz Eintracht Frankfurt mit 0:2.
Auch am Aschermittwoch kochte Papa wieder Milchnudeln, die allerdings anbrannten, und es war gut, daß um drei Uhr Renate kam, mit Olaf, um die Regie zu übernehmen. Beim Rühreizubereiten knabberte Olaf an Renates Ohrläppchen, und er faßte ihr unter die Bluse, aber das Bett mußte Renate ihm in einem anderen Zimmer beziehen als in ihrem eigenen alten.
In Birkelbach, sagte Renate, gebe es eine Telefonzelle, mit der stimme irgendwas nicht: »Da braucht man bloß den Hörer abzunehmen, und dann kann man telefonieren, ohne Geld einzuwerfen.« Da seien dann natürlich immer alle hingerannt. »Aber das ist Schnee von gestern! Jetzt freu ich mich, daß die Birkelbachzeit um ist. Ewig will ich ja auch nicht in Maidentracht rumlaufen und Fußböden scheuern und Baumkuchen grillen!« Die hätten noch nicht mal geschmeckt, die blöden Baumkuchen. Und dafür der ganze Aufwand! Ach ja, und ’ne Freundin von ihr, die habe sich da vor ’n paar Tagen aus dem Fenster stürzen wollen, aus Liebeskummer. Völlig aufgelöst sei die gewesen. Das heulende Elend.
Dann mußte Renate plötzlich noch ’ne Schnittchenplatte machen, weil Papa Besuch kriegte von zwei E-Stellen-Heinis, und obwohl Papa in seinem Arbeitszimmer zwei Sessel stehen hatte, für Besucher, pflanzte er sich mit den Leuten ins Wohnzimmer, so daß ich nicht im Fernsehen kucken konnte, wie sich Gladbach im Europapokal schlug. Ich mußte mit der Radioübertragung vorliebnehmen, oben in meinem Zimmer.
Den mit Netzer und Breitner angetretenen Madrilenen kloppte Gladbach in der ersten Halbzeit zwei Tore rein. Sekunden vor dem Halbzeitpfiff glückte den »Königlichen« der Anschlußtreffer und in der zweiten Halbzeit der Ausgleich. 2:2.
Das Spiel Benfica Lissabon – Bayern München endete 0:0.
In jeder großen Pause ging ich zuallererst zum Aushang der Vertretungspläne. Vielleicht hatte man ja mal Glück. Und siehe da, der Schlüter war erkrankt: Franz fiel aus, auch Erde war gestrichen, und die gesamte Klasse durfte nachhause!
Renate bereitete Pasta asciutta zu, mit Nudeln und Salat, und Olaf schälte Birnen für den Obstquarknachtisch.
»Warum rülpset und furzet ihr nicht? Hat es euch nicht geschmecket?«
Das hatte Luther mal gesagt, angeblich, zu seinen Tischgästen.
Nach dem Essen mußten Volker und ich Renate Töpfe spülen helfen, und Wiebke sollte den vollen Komposteimer nach draußen bringen. Das gab’s bei Mama nicht, daß die uns zum Küchendienst heranzog. Hinterrücks mischte sich auf einmal auch Papa noch ein: »Nicht mit der scharfen Schwammseite! Davon kriegt der Pott nur Kratzer!«
Konnte mir vielleicht mal endlich jemand erklären, wozu die scharfe Schwammseite gut war?
Im Training spielten wir gegen die D-Jugend und verloren mit 1:2. Blamabel! Mehrere Male hatte mich einer der Knirpse ausgedribbelt, und der zweite Treffer ging ganz allein auf mein Konto.
Hermanns Eltern hatten ihm erlaubt, nach der Schule auch mal bei uns zu bleiben, bis abends. Ich wollte Hermann auf dem Gepäckträger mitnehmen, aber das führte zu nichts. Da eierten wie nur rum wie zwei Irrenhäusler. Also schob ich mein Rad, und Hermann ging nebenher.
Zu seinem Erstaunen lagen an dem Tag zwei Postsendungen für mich bereit. Der eine Brief stammte von Tante Dagmar, mit einer Seite aus einem Katalog. Die Armbanduhr, die mir am besten gefalle, solle ich ankreuzen, schrieb Tante Dagmar, und ihr die Seite zurückschicken. Dann würde ich die Uhr meiner Wahl zur Konfirmation kriegen. Der andere Brief war mir von einer Firma zugesandt worden, die berufliche Fortbildungskurse anbot. Ich hatte da, nur um Post zu erhalten, Informationsmaterial bestellt. Zu was man sich so alles umschulen lassen könne: Dreher, Setzer, Stenograph …
Hermann war baff, denn er hatte noch nie in seinem Leben von irgendwem Post gekriegt. »Wie, wie, wie? Du kommst von der Schule nachhause, und da liegen zwei Briefe? Nur für dich?« Er schien das überhaupt nicht begreifen zu können, aber so sensationell war das ja nun auch wieder nicht, wenn man eine weit entfernt wohnende Patentante hatte, die einem was zur Konfirmation schenken wollte, und wenn man sich außerdem aus unstillbarer Gier nach Post um die Zusendung von Broschüren beworben hatte. Es gab Tage, da kriegte Papa weniger Post als ich.
»Ist nicht wahr«, sagte Hermann. »Ist nicht wahr!«
Beim Mittagessen, zu dem Papa nicht erschien, weil er wegen irgendwelcher Machenschaften auf der E-Stelle verhindert war, taten wir uns an den Überbleibseln der Pasta asciutta gütlich. Zum Nachtisch deckte Renate Nußcreme auf, und Hermann rief, als er seinen Teller ausgekratzt hatte: »Das war göttlich! Von Schweizer Küchenchefs empfohlen!«
Wir schmissen unsere Kohle zusammen, spazierten zu Comet und kauften uns Brötchen, zehn Stück für 79 Pfennig, und nachdem wir die Brötchen aufgefressen hatten, gab’s zum Tee auf der Terrasse noch Berliner. Für jeden zwei. Die hatte Olaf spendiert.
Hermann wunderte sich auch über die Menge unserer Kinderbücher: So viele habe er noch nie auf einem Haufen gesehen. Dabei waren das, wie ich fand, viel zu wenige. Die waren doch nur ’n Klacks. Ich hätte gern noch zehntausend mehr gehabt von der Sorte.
»Deiner Schwester kannst du von mir bestellen, daß sie dufte kocht«, sagte Hermann, als er abends in den Bus stieg.
Beim Kuchenbacken hatte Renate sich Eigelb auf die Bluse gekleckert und versuchte nun, das mit Gardinenweiß wieder rauszuwaschen. Eine Weile sah ich Renate dabei zu, und dann sagte sie: »Hast du nichts besseres zu tun, als anderen Leuten bei der Arbeit zuzukucken, du Kicheronkel vom Dienst? Mußt du nicht noch Hausaufgaben machen?« O doch, das mußte ich. In Englisch, in Deutsch und in Franz.
Une interview. Un reporter vous pose quelques questions. Lisez les questions et complétez-les.
Interviewt werden und dann noch die Fragen selber vervollständigen müssen, das war ja geradezu paradox.
Von den Uhren, die Tante Dagmar mir vorgeschlagen hatte, suchte ich mir eine wasserdichte und stoßfeste aus, mit Datumsanzeige und Leuchtziffern. Seit ich in Koblenz meine alte Armbanduhr im Hallenbad an der Mosel verbummelt hatte, war ich ohne Uhr ausgekommen.
Die ZVS schickte Renate einen Brief, in dem stand, daß sie einen Studienplatz in Bielefeld habe, für das Lehramt der Primarstufe, Fächer Mathematik und Deutsch. Nun fehlte bloß noch, daß auch Olaf einen Studienplatz in Bielefeld kriegte.
Den SV Eltern schlugen wir mit 3:0, und Uli Möller bollerte einen Karton mit Teilchen in die Kabine: »Männer! Bedient euch! Heute habt ihr Geschichte geschrieben, ihr Spastiker! Stolz könnt ihr sein!«
Leider aber hatte Gladbach in Bochum zwei Punkte verloren, und es fiel wieder dicker Schnee.
»Und Mama hockt bei den Hottentotten«, sagte Papa und verleibte sich ein Leberwurstbrot ein, im Wohnzimmer, wo um kurz nach elf ein Film mit James Stewart anfing, der einen vom Pech verfolgten Kopfgeldjäger spielte: Es gelang ihm zwar, einen Mörder zu schnappen, auf dessen Kopf fünftausend Dollar ausgesetzt waren, aber dann wurde James Stewart bei einer Schießerei mit Schwarzfußindianern verwundet, und als der Mörder bei einem Fluchtversuch draufgegangen war, konnte James Stewart aus Mitleid mit der Geliebten des Mörders nicht einmal die Prämie für dessen Leiche kassieren. Stattdessen schaufelte er ihm ein Grab.
»Und ewig singen die Wälder«, sagte Papa.
Als