Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Möller trainierte mit uns die Ballannahme mit Brust. Didi beherrschte diese Technik perfekt, aber mir sprang der Ball von der Brust immer woandershin, als ich ihn haben wollte, und ich war heilfroh, als wir zum Üben von Einwürfen übergingen.

      Statt am VW schraubte Papa wieder am Moped herum. Gabel, Reifen, Schläuche, Felgen, Speichen und Benzinhahn.

      Auf seinem Geburtstagstisch fand Volker, als er 17 wurde, einen Bademantel, einen Wandkalender, Geld und einen Gutschein für die Victoria vor, an der Papa noch dies und das flicken mußte.

      Abends gab’s Käsefondue. Nach den Bestimmungen, die man aus »Asterix bei den Schweizern« kannte, hätte jeder Gast, der seinen aufgespießten Käseschnitz zum soundsovielten Mal im Topf verloren hatte, ersäuft werden müssen, aber wenn wir nach diesen Regeln verfahren wären, hätte keiner von uns den Abend überlebt.

      In der großen Pause erzählte Hermann Gerdes mir einen Witz: Ein Cowboy kommt in den Saloon und kriegt einen Dollar dafür angeboten, daß er einen Schluck aus dem randvollen Spucknapf nimmt. Der Cowboy, arm, wie er ist, fackelt nicht lange, setzt den Spucknapf an und schlürft ihn – gluckedigluck – aus, und zwar bis auf den Grund. »Du hättest doch nur einen einzigen Schluck nehmen müssen«, sagt der Typ, der dem Cowboy den Dollar versprochen hat, und der Cowboy wischt sich mit dem Ärmel die Lippen ab und erwidert: »Weiß ich ja, aber das hat irgendwie alles so zusammengehangen …«

      Michael Gerlachs nächster Brief begann mit einem Haufen fauler Ausreden.

       An den GMS, d.n.s.s.i.w.e.d.!

       ’tschuldigung, daß mein Brief so spät kommt, aber ich mußte erst einmal einen Weltklasse-Damezug austüfteln: D6 auf C5.

       Außerdem wollte ich abwarten, ob noch irgendwas Spektakuläres vorfällt, das ich Dir schreiben könnte. Doch es ist leider nichts vorgefallen. Überhaupt nichts. Ich bin bloß am Fernsehen und am Pauken. Mehr gibt’s ja auch nicht zu tun. Genau wie bei Dir: Die Umgebung ist stinklangweilig geworden. Zu allem Unglück ist hier auch noch das Wetter Scheiße. Dauernd Nebel oder Regen.

       Morgens komme ich gar nicht mehr aus dem Bett raus. Es kommt mir dann vor, als sei ich eben erst reingegangen. Und das ist gar nicht so abwegig. Schließlich gehe ich in den letzten Tagen immer erst um 11, 12 Uhr ins Bett, wegen den Hausaufgaben. Morgens bin ich wie gerädert. Alles dreht sich, und ich gäbe viel darum, die ganze Woche im Bett liegenbleiben zu dürfen. Ach, wie waren die Ferien doch schön!

       Weißt Du, was mir beim Austüfteln des Damezugs aufgefallen ist? Wenn in jedem Brief ein Zug steht, dann dauert’s ja Ewigkeiten, bis einer gewinnt. Und wenn man soviel Zeit zum Überlegen hat, dann kommen auch keine Flüchtigkeitsfehler vor. Da passiert’s dann, daß nachher keiner mehr einen Zug machen kann, weil man sich gegenseitig eingeschlossen hat. Und wenn wir am Ende jeder nur noch eine Dame haben, wird’s langweilig. Aber warum nicht. Hauptsache, man hat was zu tun.

       Jetzt muß ich ins Bett.

       Dein Michael

       P.S.: Das da oben heißt »Glückspilz-Martin-Sender-der-nicht-so-schlau-ist-wie-er denkt«.

       P.S. 2: Mein Vater ist arbeitslos.

      »Arbeitslos und sechs Kinder, ach du lieber Gott«, sagte Mama, als ich ihr davon erzählt hatte. »Die armen Eltern!«

      Den Hamsterkäfig mußte Wiebke jetzt abends immer ins Badezimmer stellen, weil ihr Schlaf nach Mamas Meinung unter dem nächtlichen Hamstergeraschel litt.

      Mein nächster Damezug war klar: C1 auf D2. Höhö. Und da verließen sie ihn!

      In Konfi sollten wir uns einen Partner aussuchen und uns dann abwechselnd an der Hand herumführen, wobei der Herumgeführte die Augen verbunden haben sollte. Dafür hatte Pastor Böker extra Tücher angeschleppt.

      Das darf doch wohl nicht wahr sein, dachte ich, aber dann mußte auch ich mitwirken bei dem Ringelpiez. An der Hand herumgeführt werden von ’ner Siebtkläßlerin. Taps, taps. In Grund und Boden schämte ich mich dabei.

      Was uns beim Geführtwerden durch den Kopf gegangen sei, fragte der Böker hinterher, und ein Mädchen namens Waltraud sagte: »Für mich hat das unheimlich viel mit gegenseitigem Vertrauen zu tun gehabt.«

      Kunststück! Wenn sie die Treppe runtergekugelt wäre, hätte sie ’ne andere Meinung vertreten.

      So wie auf unsere Nächsten dürften wir auch auf Gott vertrauen, sagte der Böker, und dann mußten wir noch einen Kanon singen. Cantate Domino.

      Im ersten Rückrundenspiel schlug Gladbach Hannover 96 mit 2:0. Als gebürtiger Hannoveraner hätte ich ja eigentlich niedergedrückt sein müssen, aber ich hatte mich nun mal für Gladbach entschieden. Und ein gutes Näschen gehabt bei der Wahl meines Lieblingsvereins. Mit dem Wuppertaler SV oder Eintracht Braunschweig wäre ich schlechter gefahren.

      Als wir gegen Apeldorn antraten, umdribbelte mich der Rechtsaußen, den ich decken sollte, rannte mir davon und trickste auch unseren Torwart aus und schob die Pille ganz gemütlich zum 1:0 ins Gehäuse. Dann schoß er auch noch das 2:0 und das 3:0, und in der zweiten Halbzeit machte ich schlapp. Apeldorn gewann mit 8:0, und an fast allen Toren war ich schuld, direkt oder indirekt.

      Soviel zum Thema Nationalmannschaft und Martin Schlosser, der davon träumte, in den Kreis ihrer Aspiranten aufzusteigen.

      Sollte ich mich denn so tief in mir getäuscht haben?

      Am Sonntagabend statteten Lohmanns uns einen Besuch ab. Herr Lohmann erzählte, daß er seiner genäschigen Sekretärin neulich eine Schachtel Pralinen geschenkt und vorher bei einer davon die Nougatfüllung mittels einer Spritze durch scharfen Löwensenf ergänzt habe. Wie eine Rakete sei das Fräulein hochgegangen, sagte Herr Lohmann, und nun müsse er dieses mißtrauische alte Mädchen vorsichtig wieder anfüttern, bis zur nächsten Überraschungsoffensive.

      Michael schrieb mir, daß er trotz Erkältung zur Schule gegangen sei.

       Wenn Du gerade beim Essen bist, dann lies bitte nicht weiter, und wenn doch, dann auf eigene Verantwortung: Ich gehe also brav von der Christuskirche zum Max-von-Laue, als ich plötzlich niesen muß. Kein Grund zur Aufregung … ich halte mir lediglich die Hand vors Maul, wie sich’s gehört … und batsch, da habe ich mindestens zwei Liter schleimige, grüne Rotze im Gesicht und auf den Händen hängen. Igitt! Zum Glück hatte das keiner gesehen. Bis ich den Salat weggewischt hatte, waren drei Tempotaschentücher hinüber. Das war, wie sich später zeigte, sehr verhängnisvoll. In der Schule lief meine Nase nämlich unaufhörlich weiter, und ich mußte sie mit immer demselben Taschentuch putzen. Das Ergebnis: Mein Riechkolben ist wundgerieben und brennt wie Zunder.

      Um den Damezug hatte Michael sich herumgemogelt und seinem Schreiben stattdessen mehrere Bilder raffinierter Süßspeisen beigefügt.

       P.S. Hoffentlich ärgern Dich die beigelegten Freßkalenderbilder etwas. Ich mußte dafür nämlich fast den ganzen März und den halben Juni opfern. Bon appetit! Hähä! (Oder gibt’s das etwa jeden Tag bei Euch??)

      Natürlich nicht. Bei uns gab’s meistens auch nichts Bombastischeres als Vanille- oder Schokoladenpudding zum Nachtisch.

      Mit der ganzen Klasse mußten wir ein Kraftwerk oder Umspannwerk besichtigen oder was das darstellen sollte. Mit ’nem Bus bis dahin, wobei sich niemand neben mich setzte, und dann alle Mann rein in den Bunker. Treppe rauf und Treppe runter: Kolben, Kabel, Röhren, Armaturen und Barometer. Damit konnten sie mich nicht herumkriegen, die Emsländer, daß sie hier so ’n Dingsbums von Kraftwerk herumstehen hatten. Wenn sie mich für das Leben in Koblenz entschädigen wollten, hätten sie mir schon etwas mehr bieten müssen.

      Auf der Rückfahrt rauften sich der Holzmüller und der Miesowski, und der Busfahrer hielt an und schrie, daß er gleich kommen werde und mitmachen.

      Das wär ’ne Schau gewesen!

      Im