bei Ceka zum Trost eine Langspielplatte von Insterburg & Co.
Vergessen wir das Leben, das a-hach so-ho harte:
Herzlichen Glückwunsch zur Ei-hin-tri-hitts-karte!
So großartig ging das schon los. Hätte mich auch gewundert, wenn von dieser Truppe gar nichts mehr gekommen wäre. Auf der Platte sang Ingo Insterburg:
Im Sex-Shop stand eine Attrappe,
Die war aus Gummi und nicht aus Pappe.
Sie kostete a-hachtzig Mark.
Ich stach hinein, der Knall war stark.
Scharf fand ich auch das Lied von Peter Ehlebracht und Karl Dall über den Urlaubsort Benidorm:
Mein Scheckheft und das Handgepäck ließ ich bei dir zurück,
Du schöne schwarze Spanierin, du warst mein Urlaubsglück.
Ganz leis hast du geflüstert mir zärtlich in das Ohr:
»Der Franco badet blanco …« Das kam mir spanisch vor.
Mit der Spanierin hatten sie’s in Benidorm offenbar wie die Wilden getrieben:
Dann kamst du aufs Hotel zu mir, ich sollte dich verführen.
Wie war mein Zimmer doch so eng. Wir stießen an die Türen.
Von draußen kam der Krach herein vom nahen Aeroporto,
Die Spantax in den Himmel stieß, sie brachte Rentner forto.
Die Platte war klasse, von vorne bis hinten. Es gab auch ein Lied, in dem Karl Dall Ingo Insterburg lobte und dafür von ihm verarscht wurde. Zuerst Karl Dall:
Der Ingo ist ein Heiliger,
Seht an ihn, es ist wahr.
Und dann Ingo Insterburg:
Der Karl ist ein Langweiliger,
Sieht aus wie ein Clochard.
Dazu mußte man wissen, daß Karl Dall tatsächlich etwas sonderbar aussah mit seinem Triefauge, der Halbglatze und der zotteligen Nackenmatte. Und weiter ging’s:
Der Ingo hat ein reines Gesicht,
Wie hell ist seine Stirne.
Der Karl, das ist ein armer Wicht
Mit Fransen um die Birne.
Erst im letzten Vers zahlte es Karl Dall dem Chef der Combo heim:
Der Ingo ist im Herzen rein,
Im Kopf ist er ein dummes Schwein!
So prima, wie sie angefangen hatte, hörte die LP auch wieder auf, mit einem wilden, von Karl Dall geschmetterten Song, der einer gewissen Barbara gewidmet war:
Und wenn wir mal älter werden,
Wird zwischen uns nichts kälter werden,
Du wirst eine schöne Oma sein …
Wir wer’n viele Enkel haben,
Die uns dann zu Grabe tragen,
Das wird die Erfüllung sein …
Diese Platte war sowas von klasse. Bombig war die. Astig. Spitze. Diese Großinvestition hatte sich rentiert, schon beim ersten Anhören.
Und dann saß man wieder in der Schule. William the Conqueror and the Battle of Hastings. Weil der Eroberer aus der Normandie gekommen sei, hätten viele französische Lehnwörter Eingang in die englische Sprache gefunden: aid, prison, prince, uncle, symbol, judge und money. Und das nur wegen einer Schlacht, die vor mehr als neunhundert Jahren stattgefunden hatte.
In Deutsch war Briefeschreiben Thema. Wie die Menschen früher an ihre Feudalherren gerichtete Bittschreiben unterzeichnet hätten: In tiefster Ehrfurcht verharret Euer Kaiserlichen und Königlichen Majestät alleruntertänigster Diener Sowieso. Oder: Genehmigen Euer Exzellenz die Versicherung meiner vorzüglichen Hochachtung, mit welcher ich die Ehre habe, mich zu zeichnen als Euer Exzellenz allergehorsamster Icks Ypsilon. Da hatte man’s ja heutzutage doch etwas leichter.
Geschraubt klangen auch manche alten Gedichte, die der Wolfert im Unterricht durchnahm.
Krankheit, Verfolgung, Betrübnis und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung seyn.
Ob es wohl jemals eine Frau gegeben hatte, die auf solche Verse abgefahren war? Die hätte sich dann wahrscheinlich auch nach einer Schulrektorin wie Frau Malzahn in der Drachenstadt gesehnt.
Auf Michaels nächsten Brief mußte ich bis zum neunten Januar warten, und dann zahlte sich das Warten nicht einmal aus, denn der Brief war superkurz.
Grrmbl!
Wie ich Deinen Schmierakeln entnehme, fängt bei Dir die Schule erst in einer Woche wieder an, besser gesagt in fünf Tagen oder noch besser in drei? Bei mir war heute erster Schultag, und es ging gleich mit Mathe los. Dann die Lateinstunde, dann Englisch und zum guten Schluß Bio. Äff.
Am Bahnhof hab ich ’nen alten Schulkameraden aus der Sexta getroffen. Aus dem war ein Riese geworden, so bärtig wie Raimund Harmstorf. Ich hab den erst gar nicht erkannt.
Heute ist Mittwoch, und so muß ich gleich zu Konfi. Schöne Scheiße. Wesentlich lieber würde ich nämlich zu Hause bleiben. Ein spannendes Buch, ein schönes Fernsehprogramm … ach, alles Wunschträume.
Heißen Dank übrigens für den Knatter. In den Ferien hätten wir ja recht wenig damit anfangen können. Aber jetzt, wo wieder Schule ist?
Bevor ich noch mehr Stuß zusammenfasele, höre ich lieber auf mit dem Schreiben. Es ist ja ohnehin nichts passiert. Mein Damezug: E7 auf F6.
Tschüß und frohe Ostern!
Das war alles. Mein letzter Brief hatte sich auf sieben Seiten erstreckt, und ich hatte ihn mit ausgeschnipselten Bildern aus alten Comics verziert.
In einem französischen Spielfilm von 1938 spielte Jean Gabin einen Lokführer, der sich auf ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau einließ, obwohl schon deren letzter Liebhaber von ihrem Ehemann umgebracht worden war, und nun wollte sie den von Jean Gabin ermorden lassen, ohne zu ahnen, daß es ihr selbst beschieden war, als dessen Mordopfer zu enden, und daß er sich anschließend selber das Leben nähme, indem er vom fahrenden Zug in den Tod sprang …
Das sei ihr ’n bißchen zu dick, sagte Mama, aber mir hatte Jean Gabin gut gefallen. In deutschen Filmen kamen solche Teufelskerle nicht vor. Da spielten nur lauter schafsköpfige Hirnis und Schwiegermutterlieblinge mit. Daß Jean Gabin mehr Schneid hatte als Heinz Rühmann, war auf den ersten Blick zu erkennen.
Michael teilte ich kurz und bündig meinen Damezug mit: D2 auf E3.
Mittags machte Mama eine Leichenbittermiene, weil Agatha Christie gestorben war, die englische Krimitante. Als ob wir mit der verwandt gewesen wären.
In Geschi war die Reformation dran.
Auf dem Rückweg von einem kurzen Urlaub geriet Luther vor Erfurt in ein schweres Gewitter. Von einem in unmittelbarer Nähe einschlagenden Blitz zu Boden geworfen, rief er in Todesangst die Patronin der Bergleute an: »Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!«
Wenn dieser Blitz fünfhundert Meter weiter rechts eingeschlagen hätte, wären wir vielleicht