hätte lieber einen Hund gehabt. Ein treues Tier, das vor Freude kläffte, wenn ich von der Schule nachhause käme. Vom Mittagstisch hätte ich dem Hundchen Knorpel und Knochen zuschustern und es nachmittags im Fichtendickicht bei der E-Stelle auf die Karnickel hetzen können, und am Abend hätte es in einem Körbchen in meinem Zimmer schlummern dürfen. Es hätte kein Berner Sennenhund sein müssen. Ein Dackel, der mit mir als seinem Herrchen durch dick und dünn gegangen wäre, hätte mir vollauf genügt, oder ein Spaniel, so wie der von dem Vollwaisen Stubs in den Büchern von Enid Blyton.
Im Kleinanzeigenteil gab es eine Rubrik, in der jeden Tag Hundewelpen zum Verkauf angeboten wurden, zu Spottpreisen, aber nein! »Werd du erst mal erwachsen«, sagte Mama, »dann kannst du dir deinen Haushalt so einrichten, daß die Tölen da alles rund um sich zuscheißen. Ich hab genug zu tun, auch ohne so ’ne Flohschleuder im Haus!«
Mit der Quittung für die Fahrradreparatur – neuer Rückstrahler, Räder gerichtet, Gabel befestigt: 10,95 DM – gurkte ich bis ganz nach Teglingen, um die Penunzen von dem Unfallpiloten einzutreiben, aber der war nicht zuhause. Oder er stellte sich tot, der Hallodri. Shampoonierte sich quietschfidel in der Badewanne, während ich vor der zuen Haustür stand.
Im Dritten kam ein Musical mit Fred Astaire. Weshalb Mama sich darauf gespitzt hatte, war mir unbegreiflich. Da wurde nur herumgehüpft und gefeixt und gesteppt, klickedi-klackedi-klack, mit den Schuhabsätzen. Erholen konnte man sich danach im Zweiten bei einem Film, in dem ein Trickbetrüger Stan und Ollie eine Wunderpille zur Herstellung von Benzin andrehte, aber diesen Film fand nun wieder Mama kindisch. Die war, was ihren Filmgeschmack betraf, irgendwie schief gewickelt.
Aus Vallendar waren zwei Briefe für mich eingetroffen, einer von Holger und einer von Michael. Den von Holger nahm ich mir als ersten vor.
Du Primat, Du Geizhals, Dagobert Duck, Blödmann, Depp!
Puuuh, das mußte mal sein. Als Rache dafür, daß Du uns abverlangst, in den Sommerferien zu Dir zu kommen. Warum kommst Du nicht zu uns? Ich dachte, Du vermißt Vallendar! Also, Du kommst in den Sommerferien her, und wenn’s Dir gefällt, bleibst Du für immer hier.
Da ich weiß, daß dies nicht klappen wird, mache ich noch einen anderen Vorschlag, bei dem zu ca. 75 % wahrscheinlich ist, daß er sich verwirklichen läßt: Wir – Volker, Harald, Michael, Du und ich – treffen uns in den großen Ferien auf einem Campingplatz, der in der Mitte zwischen Meppen und Vallendar liegt. Harald und Volker unternehmen was zusammen, und wir drei können ja für uns alleine was machen.
Nun zum Finanziellen: Harald ist in den Herbstferien zur Weinlese gefahren und hat jetzt noch 140.– DM. Davon will er sich ein Dreimannzelt kaufen. Michael und ich haben bis jetzt 25.– DM. Dieses Geld soll der Anfang für die Freßkosten sein (natürlich muß noch viel mehr gespart werden). Für Luftmatratzen und Schlafsäcke ist gesorgt.
Jetzt zu Euch: Soviel ich weiß, besitzt Ihr ein Zelt und einen Spirituskocher. Fehlt nur noch der Ort, wo wir uns treffen. Es gibt, wie ich glaube, viel zu erzählen.
Tschüß, Dein Holger!
Ein Campingplatz in der Mitte zwischen Meppen und Vallendar? Tante Gertrud: Die wohnte in Bielefeld, und wir hätten ja, um Geld zu sparen, vielleicht in deren Garten zelten können …
Als ich Michaels Brief las, fragte ich mich, ob ich in meinem letzten zu stark auf die Tube gedrückt hatte.
Schnüff!
Meine Güte, bist Du ein armes Schwein! Mir sind ja bald die Tränen gekommen, als ich Deinen Brief gelesen habe. Ich werde eine Martin-Schlosser-Stiftung gründen. Da laß ich ganz viel Geld für arme Kinder in Meppen sammeln (mal ganz was Neues) und schicke 3 % davon zu Dir. (Den Rest behalte ich selbst, für die Mühe.)
Deinen Wunsch, wieder nach Vallendar zu ziehen, kann ich beim besten Willen nicht verstehen. Tja, hier hat sich wohl mal ’n Weib erhängt, aber was hat unsereiner davon? Wär die Frau erhängt worden, gegen ihren Willen, dann wäre das schon eher ein Grund gewesen, der für Vallendar spräche. Da hätte ich Detektivarbeit verrichten können, wenn’s nicht so kalt draußen wäre. Aber so? Ich an Deiner Stelle würde mich nicht wundern, wenn Holger und ich eines Tages als Auswanderer vor Deiner Haustür in Meppen stünden.
Meine eigenen Erzählungen sollen Dir mal zeigen, wie langweilig das hier ist. Erstens: Fast jeden Abend räume ich mein Zimmer auf und stelle Bücher in den Schrank, sammele alle möglichen Zettel und ordne sie, schreibe alles mögliche auf usw. Du kannst Dir gar nicht (oder vielleicht doch) vorstellen, wie schaurig das ist! Du gehst so um 9 Uhr ins Zimmer rauf, lernst ’n bißchen was für die Schule, und dann geht’s los. Irgendein innerer Zwang paukt Dir ein, daß der Tisch da in der Ecke nicht schön steht, daß die Bücher viel zu schief liegen und der Schrank zu unordentlich ist, und mit fiebrigen Augen stürzt Du Dich auf den Tisch, die Bücher und den Schrank und schiebst bis 10, 11 Uhr am Tisch und an den Büchern und am Schrank herum, bis Du die Augen nicht mehr offenhalten kannst und ins Bett kippst. Und wovon träumst Du? Vom Tisch und von den Büchern und vom Schrank, und sogar im Traum bist Du noch am Rumrücken und Schieben. Das ist ein Leben!
Zweitens: Ich bin, stell Dir das mal vor, in eine »Band« eingetreten! Ja, ’ne Band, die so allerhand Zeugs spielt, unter anderem auch Musik. Die Band besteht zum größten Teil aus welchen von meiner Klasse, bloß der Klavierspieler ist aus ’ner anderen. Die Zusammensetzung sieht wie folgt aus: 1 Klarinette, 1 Trompete, 1 Banjo, 2 Gitarren, 2 Geigen (eine bin ich) und 1 Klavier. So was hat’s noch nie gegeben. Als wir uns das erste Mal versammelt haben, war das allerdings ein schöner Reinfall. Die Klarinette und die Trompete haben alles andere einfach übertönt, und richtige Noten haben wir auch nicht gehabt, weil’s so ’ne Kombination ja noch nie gegeben hat. Doch der Weg zum Erfolg steht uns offen! Morgen ist das nächste Treffen. Dann wollen wir uns am »Entertainer« versuchen.
Wie Du siehst, ist es hier so langweilig, daß man auf die verrücktesten Ideen kommt.
Ach ja, was ich fragen wollte: Spielst Du eigentlich noch Klavier? Bitte, bitte ja! Das wäre schön. Wenn (wenn, wenn, wenn, wenn!) ich dann mal irgendwann vorbeikommen kann, bring ich die Geige mit, okay? Also, spiel gefälligst noch Klavier! Bitterscheen!
Und such im Atlas mal ’nen Ort, wo ganz dick drübersteht: HIER GIBT ES KEINE LANGEWEILE! Im nächsten Brief dann bitte Längen- und Breitengrad angeben, ich wandere dorthin aus.
In Konfi sollten wir uns in Stichworten darüber äußern, wie wir uns das Reich Gottes vorstellten. Pastor Böker schrieb alles auf: Frieden, Einssein, Seligkeit, Harmonie, Erlösung, Ruhe, Liebe, Lockerlassen, Verbrüderung, Vergebung, Nähe, Glück, Entspannung …
Das hörte sich zwar alles ganz erbaulich an, aber im Jenseits als Engel rumzuflattern, mit ’ner Harfe, und dem lieben Gott ein Ständchen nach dem anderen darzubringen, bis in alle Ewigkeit? Das müßte einem doch, wie Karl Valentin mal geschrieben hatte, irgendwann unbedingt langweilig werden. Und was hätte Gott davon gehabt, sich immerzu von seinen Geschöpfen anhimmeln zu lassen?
Da stimmte doch was nicht.
Von meiner zweiten Tour nach Teglingen brachte ich die 10,95 DM mit nachhause. Der Käferfahrer hatte mir das Geld im Hauseingang auf den Pfennig genau in den Handteller gezählt und sich meine Unterschrift auf einem Wisch ausbedungen, der besagte, daß hiermit alle Forderungen von meiner Seite abgegolten seien, und dann hatte er sich wieder in den Zigarettenmief seiner Wohnung zurückgezogen.
Wenn ich am Unfalltag die Polizei gerufen hätte, wären dem Arsch ein paar Punkte in der Flensburger Verkehrssünderkartei sicher gewesen.
Die Weihnachtsfeier des SV Meppen begann in einem Konferenzraum des Hindenburgstadions mit einem Super-8-Film von der WM ’74. Da sah man noch einmal die entscheidenden Tore von Breitner und Müller im Endspiel. In ein paar Jahren würde auch ich im Dreß der deutschen Nationalmannschaft aufs Spielfeld laufen: Martin Schlosser, gefürchtet in aller Welt, im Feyenoord-Stadion,