Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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man ja schon.

      Im Fernsehen lief ein Film über Umweltverschmutzung durch die Abgase der Industrie. Da zerfraßen die Schadstoffe den Hausfrauen die Strumpfhosen, und die Leute starben im Smog wie die Fliegen.

      Das Drehbuch stammte von Wolfgang Menge, der auch das Ekel Alfred Tetzlaff erfunden hatte.

      Oma Schlosser schickte Papa ein Paket mit sechzig Tulpenzwiebeln und einem Kärtchen:

       Mögen Dir die Gartenfreuden weiterhin den Ausgleich und die Erholung bringen, die Du neben Deiner Berufstätigkeit nötig hast! Zu spät ist’s ja zum Tulpenstecken noch nicht, und ich hoffe, daß Ihr keine Mäuse habt. In Schirwindt habe ich es sogar einmal noch am 22. Dezember getan und Erfolg damit gehabt.

      Zur Tulpenblüte werde sie uns dann besuchen kommen. Und ob ich jetzt wieder Klavierstunden hätte?

      Nö. Dafür würde ich im nächsten Frühjahr beim Schöveln aber sicher wieder viele Gartenfreuden erleben, als Ausgleich und zur Erholung, die ich neben meinen Schulstunden nötig hatte.

      Für den Heimsieg über Fortuna Düsseldorf genügte Gladbach ein einziges kleines Törchen. Braunschweig hatte in Duisburg verloren, und der Abstand zum Tabellenführer Gladbach war auf zwei Punkte gewachsen.

      Unser Kräftemessen mit der C-Jugend aus Rühle endete im Desaster. 0:0 hatte es gestanden, bis zur vorletzten Minute, und dann haute Glübi uns mit einem mißglückten Rückpaß ein Eigentor rein.

      In der Schweinskälte waren mir die Finger so krummgefroren, daß ich in der Kabine fast eine halbe Stunde lang warten mußte, bis ich meine Schnürsenkel aufknoten konnte.

      Gegen die massive Kritik aus der Mannschaft nahm Uli Möller Glübi in Schutz. Wir alle würden mal Fehler machen. »Und man muß auch was riskieren! Wer kein Risiko eingeht, der hat auf dem Platz nichts verloren! Der soll Schlafwagenschaffner werden! Oder Postbeamter! Ist doch wahr! Jetzt hackt ihr auf Glübi rum, aber wenn ihr selbst mal ’n Fehlpaß spielt, ist eure Großmutter schuld oder was! Haltet bloß den Rand, ihr Saftneger!«

      Am 17. 11. war Papa auf Dienstreise in München. Ob er das so eingefädelt hatte, um seinen Geburtstag nicht feiern zu müssen? Das hätte Papa ähnlich gesehen.

      Der Glückspilz-Martin-Sender hatte wieder unverschämte Post vom Dussligen Michael-Gerlach-Sender erhalten:

       An den GMS, der es niemals schaffen wird, den DMGS zu vernichten!

       Ja, was passiert denn so bei uns? Darüber muß ich erst einmal sinnieren, bevor ich’s Dir verklickern kann. Wenn’s überhaupt was zu verklickern gibt! Denn ich brauche Dir ja wohl nicht mehr zu erzählen, daß es hier stinklangweilig ist, und da es sonst nichts gibt, muß ich leider Gottes auf die Schule zurückgreifen.

       Zuerst das Unerfreuliche: Mein Englischlehrer hat mir eine Standpauke gehalten wegen meiner kleinen Schrift. Eine Lupe brauche man dafür. Dann soll sich dieser Geizkragen doch eine kaufen!

       So, und jetzt das Erfreuliche: gar nichts!

       Ich bin sehr auf Deine nächste Anrede für mich gespannt. »Ehrwürdiger, unzerstörbarer DMGS« oder so.

       Jetzt hab ich eigentlich schon keinen Grund mehr zum Weiterschreiben. Außer dem, daß das Blatt noch nicht voll ist. Wäre doch eine nicht zu verantwortende Verschwendung von Papier. Aber was soll ich machen? Es gibt nun mal nichts mehr zu schreiben.

       Tschö denn, herzlichst, der DMGS!

      Das schrie nach Rache.

      Mama war auf einer Informationsveranstaltung des Maristengymnasiums gewesen und sagte, mit einem guten Realschulabschluß könne Volker dahin wechseln und in drei Jahren das Abitur machen.

      Wenn man das Abi nicht packte, war man gearscht. Dann konnte man, wenn man Glück hatte, irgendwo als Lehrling anheuern und durfte für den Rest des Lebens ganz kleine Brötchen backen. Als Klempner womöglich. Heizkörper installieren und verstopfte Klosettröhren auspumpen.

      Am Buß- und Bettag kam Renate angetanzt, für anderthalb Tage. Geranienstecklinge hätten sie geschnitten, erzählte sie. Nur mit dem Klavierspielen sei es in Birkelbach schlecht: Der Flügel für Hauskonzerte sei zwar gerade neu gestimmt worden, aber den dürften sie nicht zum Üben benutzen, und dann gebe es noch einen verstimmten Flügel und in der Turnhalle ein verstimmtes Klavier. Aber sie sei jetzt im Chor drinne. Da würden sie Weihnachtslieder einstudieren, dreistimmig, und sie sei Stimmstütze in der zweiten Stimme. Gloria soli Deo.

      Gegen Bulgarien spielte Deutschland ohne Netzer, aber mit Dietz, und wir siegten mit 1:0 durch ein Tor von Heynckes in der 64. Minute. Ob Heynckes der neue Müller war? Und ob Netzer seinem alten Mannschaftskameraden Heynckes nicht noch ein paar mehr gute Flanken zugespielt hätte als Wimmer, Stielike und Danner?

      Das fragte sich hoffentlich auch Helmut Schön.

      Im Zweiten kam die erste von vier Serienfolgen über einen Bauernjungen, der im Dreißigjährigen Krieg nach einem Überfall auf den Hof in Not geriet und bei einem Einsiedler unterkroch. Der nannte den Jungen Simplex, weil er seinen eigenen Namen nicht wußte und weder schreiben noch lesen konnte. Als der Einsiedler gestorben war, verschlug es Simplex in eine Festung, wo er Essen auftragen sollte, und weil er Angst hatte, dabei versehentlich zu furzen, gab ihm einer, der ihn reinlegen wollte, den Rat, ein Bein zu heben, wenn der Furz im Anmarsch sei, mit voller Kraft zu drücken und heimlich zu flüstern: »Je pète, je pète …« Als Simplex diesen Rat beim Servieren befolgte, ging der Schuß natürlich nach hinten los, und ich kugelte mich vor Lachen.

      Diese Szene hatten auch der Gerdes und der Bohnekamp lustig gefunden. Die hopsten am nächsten Tag auf dem Pausenhof auf einem Bein herum und brüllten: »Je pète, je pète!«

      Das Versorgungsamt Osnabrück wollte von Papa eine »Lebensbescheinigung« haben, die bis zum 12. Dezember vorzulegen sei. Sonst werde die Zahlung der Versorgungsbezüge eingestellt. Papa sagte, es wundere ihn, daß diese Esel ihm nicht geschrieben hätten: »Wenn die Lebensbescheinigung bis zu diesem Tage hier nicht vorliegt, werden Sie für tot erklärt.«

      Dank zweier Tore von Henning Jensen konnte Gladbach im Parkstadion gegen Schalke wenigstens einen Punkt retten. Unentschieden hatte auch Braunschweig gespielt, und die Bayern waren im Waldstadion untergegangen: 6:0 für Eintracht Frankfurt! Da hatte die launische Diva wieder mal hingelangt.

      Der Mensch, der mit seiner Familie unser Haus auf dem Mallendarer Berg bewohnte, wollte da wieder ausziehen und hatte den Mietvertrag gekündigt, zu Ende Juni ’76.

       Es haben sich von uns nicht in diesem Maß vorausschaubare Veränderungen beruflicher und finanzieller Art eingestellt (u.a. Vertrag mit dem Gesundheitsamt Neuwied über Mütterberatungen etc.), die mich so stark nach Neuwied binden, daß wir trotz größerer Investitionen in Form von Möbeln, Dekoration etc. angehalten sind, dorthin zu ziehen, um rascher erreichbar zu sein.

      Sollte er doch! Dann könnten wir da ja wieder einziehen, dachte ich, aber Mama winkte ab. So schnell würden die Preußen nicht schießen. »Stell dich mal lieber darauf ein, daß du dein Abitur in Meppen machst. Und steck dir das Hemd in die Büxe! Wie läufst du hier überhaupt rum!«

      An meinem Äußeren wäre Mama, wie immer, noch einiges andere unangenehm aufgefallen, wenn sie nicht gerade ihre Lieblingsserie gekuckt hätte, Task Force Police, mit britischen Kriminalbeamten.

      Richtig auf achtzig war Mama dann, als sie Plätzchen backen mußte, weil ich die zu Konfi mitbringen sollte, damit sie in der Innenstadt bei einem Basar zugunsten von »Brot für die Welt« verkauft werden konnten. Was dieser Pastor sich dabei denke, hier die Mütter seiner Konfirmanden auf Trab zu bringen mit seinen verqueren Vorstellungen von Mildtätigkeit. »Der hat doch selbst noch nie am Herd gestanden und ’n Backblech eingefettet!«

      Mama war sowieso schon fuchsig, weil die Armleuchter bei Ceka alle Fotos durcheinandergerührt