Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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dir, und du mußt nach deren Pfeife tanzen«, sagte Papa. Im Berufsleben gehe es darum, nach oben zu streben, bis man niemanden mehr über sich habe, der einem Knüppel zwischen die Beine werfe.

      So gesehen hätte Papa selbst ja eigentlich Verteidigungsminister werden müssen statt Regierungsbaudirektor. Oder besser noch Bundeskanzler. Oder Bundespräsident.

      Als Renate wieder abgeschwirrt war, stellte Volker fest, daß sie im Badezimmer ihre Augenbrauenpinzette vergessen hatte.

      Im Europacup machten Heynckes und Simonsen Juventus Turin zur Schnecke. 2:0! Von diesem Schock würden die Itaker sich nicht so bald erholen.

      Leider Gottes hatte ein Vereinchen namens Malmö FF den FC Bayern geschlagen, mit 1:0, und Spartak Moskau den 1. FC Köln sogar mit 2:0. Aber dafür war Atletico Madrid Eintracht Frankfurt dank zweier Tore von Bernd Hölzenbein mit 1:2 unterlegen, und die Herthaner hatten Ajax Amsterdam mit 1:0 den Rang abgelaufen. Ha, ho, hee – Hertha BSC! Ajax hätte eben Johan Cruyff nicht verkaufen sollen.

      In der Innenstadt gab es ein Fachgeschäft für Turnklamotten, Sport Reinders, und da sollte Uwe Seeler laut Meppener Tagespost eine Autogrammstunde abhalten. War das zu fassen? Uns Uwe in Meppen! Der Mann, der 1970 in Mexiko beim Spiel des Jahrhunderts mitgemischt hatte, an vorderster Front! Sogar mit dem Hinterkopf hatte Seeler mal ein Tor erzielt und viele andere durch Fallrückzieher. Satan Zicke!

      Der Andrang war groß, aber jeder kam dran. Ich hielt Uwe Seeler mein Sammelalbum von Sprengel hin, das er mit seinem Friedrich Wilhelm signierte: »Für Martin von Uwe!«

      Er konnte nicht ahnen, daß ein künftiger Kapitän der Nationalelf vor ihm stand, und ich trollte mich, obwohl ich Uwe Seeler gern noch nach dem dritten Tor von Wembley gefragt hätte. Wie das nun eigentlich genau gewesen sei.

      Die letzten Klassenarbeiten waren nicht so doll ausgefallen (Englisch 3, Mathe 4, Deutsch 3), aber nach dem Zähneputzen durfte ich mir am Samstag noch einen Western ankucken. Da schlich sich John Wayne als Texas-Ranger in eine Rotte von Schmugglern ein, die den Rothäuten Whisky verscherbelten, so daß die bloß noch betrunken herumtorkelten.

      »Wenn man ehrlich ist, muß man doch zugeben, daß die Weißen den Indianern ihr Land weggenommen haben«, sagte Mama. »Und hier werden sie jetzt als Besoffskis verhöhnt.«

      Das mochte ja sein, aber von Western hatte Mama trotzdem keine Ahnung.

      Nachdem Braunschweig und Bayern sich jeweils zwei Punkte gesichert hatten, mußte am Sonntag auch Gladbach punkten, am besten doppelt, und das auch noch auswärts in Karlsruhe. In der 20. Minute brachte Günther Fuchs den KSC in Führung, aber fünf Minuten später glich Jupp Heynckes aus, und gleich darauf brachte derselbe Günther Fuchs seine eigenen Mannen mit einem Eigentor ins Hintertreffen!

      Nach der Halbzeitpause stellte der KSC zwar noch einmal Torgleichheit her, aber auch Heynckes und Wimmer trafen ins Schwarze. Endstand 2:4. Zur Statistik: zweimal Gelb für Karlsruhe; zwei Punkte für die Fohlenelf.

      Am Montag traf wieder ein Brief von Michael ein.

       An den GMS!

       Ihre letzten Meldungen waren eine bodenlose Unverschämtheit! Wie kann so ein lächerlich kleiner GMS den großen DMGS vernichten wollen? Das ist eine Beleidigung für den DMGS!

       Sag mal, hast Du wirklich Heimweh? Das kann ich aber tatsächlich nicht verstehen! Der Riesenbetonklotz Reha, das Abholzen der Waldbestände … dagegen bei Dir, jedenfalls entnehme ich das Deinen Briefen, unberührte Wildnis, Schulausfälle … aber wahrscheinlich hast Du recht. Wenn ich mal ’ne Zeitlang von hier weg wäre, würde ich vielleicht das gleiche denken. Vorstellen kann ich mir’s aber nicht.

       Mensch Meier, am Dienstag muß ich ’ne Physikarbeit schreiben und am Freitag ’ne Englischarbeit. Äff. Englisch geht ja noch, aber Physik … die ganzen Formeln da, Ausdehnungskoeffizient, spezifische Wärmekapazität, alles Quatsch mit Bratkartoffeln. Sowas soll sich ein Mensch merken können!

       Eigentlich ist mir jetzt schon der Gesprächsstoff ausgegangen. Aber das Blatt ist ja erst zu einem Viertel voll! Scheiß kleine Schrift. Hoffentlich passiert noch was, was ich schreiben kann.

       Über den Brief hier läuft gerade so ’ne kleine Fliege. Mal sehen, über welche Wörter: Bratkartoffeln mit Gesprächsstoff passiert gerade läuft Brief den schon … verdammt, jetzt läuft sie auf den leeren Teil der Seite. Dummes Vieh. Hau ab! Hast nur Stuß gefaselt! Nee, im Ernst, die Fliege ist über die zitierten Wörter gekrabbelt.

       Das war für mich schon ein Erlebnis. Kannst Dir ja denken, wie der Rest des Tages dann aussieht.

       So, schon zwei Drittel der Seite bewältigt.

       Was schreib ich auf das letzte Drittel?

       Huch – plötzlich überstürzen sich die Ereignisse: Jakob wird beinahe von einer Katze in Stücke gerissen und verdankt sein Leben allein meinem mutigen Dazwischentreten, mein Vater vergißt die Autoschlüssel, und zu allem Überfluß fliegt dann der halbe Motor in die Luft! Das hat gequalmt wie Helmut Kohl, und einen Knall hat das getan! Zum Glück ist nicht allzuviel kaputtgegangen.

       Dein Plan mit den Sommerferien klingt sehr utopisch. Fast wie Science Fiction. Hoffentlich wird was draus!

       So, jetzt kommt Kung Fu. Das muß ich sehen.

       Tschüß, und Dein Heimweh ist bestimmt unbegründet!

      Der hatte gut reden. Der mußte sich ja auch nicht dreimal wöchentlich mit dem Fräulein von Scuderi befassen.

      Tante Therese, die nach dem Krieg einen Tommy namens Bob geheiratet hatte und in England Grundschullehrerin geworden war, befand sich auf Deutschlandreise und kam für einen Tag nach Meppen, um unser neues Zuhause zu beäugen. Wie geräumig wir’s hier hätten, rief sie, und wie bezaubernd hübsch doch der Parkettfußboden aussehe!

      Beim Tee warf sie die Frage auf, ob Volker nicht auch mal nach England kommen wolle, um seinen Vokabelschatz aufzupolieren. Wieso fragte mich eigentlich keiner?

      Im Sommer, erzählte Tante Therese, habe sie mit Bob eine Busrundreise durch Süddeutschland und Österreich gemacht, mit lauter Engländern und Amerikanern und Kanadiern und Australiern, über Bad Kreuznach und Rothenburg ob der Tauber und Villach und Lindau und Innsbruck und Wien, doch am schönsten sei’s in den Bergen gewesen. »Da hätten wir man gerne noch mehr Zeit zum Rumklettern gehabt …«

      Die Wetterlage sei immer »sunny« gewesen, nur hätten die Engländer den dünnen Tee nicht gemocht. »In Innsbruck hat uns ein Ober verraten, daß auch die Queen bei ihrer Visite in dem Hotel selber ihren eigenen Tee gekocht hat!«

      Dank Tante Therese und Onkel Bob besaßen Renate, Volker, Wiebke und ich mit Kim eine britische Kusine und mit Norman einen britischen Vetter. So etwas hatte auch nicht jeder. Norman, sagte Tante Therese, sei mit seiner Arbeit im Zeichenbüro very happy, und Kim gehe in jüngster Zeit viel mit einem katholischen Italiener namens Roman aus. Der habe auch ohne ordentlichen Schulabschluß eine Stelle gefunden, in einem kleinen Papierwarenladen.

      Als beschnattert wurde, wie es um Oma Jevers offenes Bein bestellt sei, machte ich mich mit einer Handvoll Kekse vom Acker.

      Für den Abend hatte Mama Frau Lohmann eingeladen, die ja ebenfalls Lehrerin war. Frau Lohmann schenkte Tante Therese einen Stapel deutscher Fibeln, und Mama goß Bier ein. Vor einiger Zeit, sagte Tante Therese, habe sie mit einunddreißig Elternpaaren jeweils zehn Minuten über deren Kinder reden müssen und sei danach so aufgedreht gewesen, daß sie um zwei Uhr nachts noch nicht habe schlafen können, und da habe sie sich mit einem von Normans Bieren die nötige Bettschwere verschafft. »Und seitdem mag ich gerne Bier!«

      Während die Weibsen im Wohnzimmer auf die nötige Bettschwere anstießen, kloppte Papa in der Werkstatt krumme Nägel wieder gerade.

      Der größte Mist am