Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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noch dran, wenn man die murkeligen Apparate gießen will, und in die pappige Erde sickert das Wasser nicht ein …«

      Das einzig Gute an dem Tag war der Science-Fiction-Film um halb elf im Ersten. Da werkelte ein Erfinder im Keller, so ähnlich wie Papa, und konstruierte da einen Desintegrator-Integrator, mit dem man Gegenstände von einem Ort zum anderen beamen konnte, aber als der Mann das mit sich selbst versuchte, vermischten sich seine Atome mit denen einer Stubenfliege, und hinterher hatte er einen riesigen Fliegenkopf auf und an der einen Seite statt ’nem Arm ein Fliegenbeintentakel. Um den Unfall ungeschehen zu machen, hätte der Erfinder die Fliege einfangen müssen, die mit seinem Kopf und seinem Arm herumflog, aber die war verdammt schwer zu finden, und vor allem mußte der Mann erst einmal seiner Frau erklären, was da vorgefallen war im Keller, und zwar handschriftlich, weil er mit dem Fliegenkopf nicht mehr sprechen konnte. Um niemanden zu erschrecken, hatte er sein Fliegenbein verhüllt und sich auch ein Tuch über die monströse Rübe gehängt, aber man konnte erahnen, daß er untendrunter nicht besonders appetitlich aussah.

      Am Ende zerstörte er seine Erfindung, vernichtete alle Papiere und flehte seine Frau darum an, ihm beim Selbstmord zu assistieren. Und die zerquetschte ihren entstellten Mann dann in so ’ner Art Dampframme oder was das war, und ganz am Schluß sah man die um Hilfe piepsende Fliege mit dem winzigen Köpfchen des Erfinders in einem Spinnennetz hängen, bevor sie unter einem Stein der Gnadentod ereilte.

      Den Film fand auch Volker super. Wiebke hatte sich meistens die Augen zugehalten und genölt, daß ihr das alles zu schauerlich sei. Nur Papa, der ziemlich spät aus der Werkstatt ins Wohnzimmer hochgekommen war, äußerte sich nicht. Der war eingeschlafen, und nun fing er auch noch an zu schnarchen.

      »Papa?«

      Wir stupsten ihn an.

      »Jetzt ist gleich Sendeschluß, Papa!«

      »Laß ihn doch«, sagte Volker. »Der findet schon von allein in die Falle.«

      Nach der Schule kam der Gerdes wieder mit. Er durfte diesmal auch bei uns übernachten.

      Ich kaufte mir noch einmal die Bild-Zeitung. Darin gab’s eine Fortsetzungsserie über Henker, und es stand drin, wie 1943 eine Frau in einer Bombennacht in Hamburg als »Volksschädling« guillotiniert worden war.

       Die Verriegelung löste sich, das Messer sauste herab, der Kopf fiel in den Korb mit den Sägespänen. Der Körper zuckte wie im Krampf.

      Das las ich dem Gerdes vor und gleich danach sein Horoskop, worin ihm nahegelegt wurde, sich heute gut auszuruhen und am Sonntag »innige Zweisamkeit« zu pflegen.

      »Ach ja, und mit wem? Steht das da auch?« fragte der Gerdes, der Sternzeichen Schütze war.

      Im Horoskop für Stiere stand, daß der heutige Tag sich sehr gut für private Vorhaben und Einkäufe eigne. Vergnügungen hingegen – immer diese Vergnügungen! – solle ich besser nicht über 21.15 Uhr ausdehnen. Der Sonntag sei dann ganz schlecht für Liebeleien, aber das hätte ich auch ohne astrologische Expertenauskunft erraten.

      Mittags gab’s Bratwurst mit Sauerkraut und Bratkartoffeln, und der Gerdes haute rein wie Kasper und Seppel am Mittagstisch der Großmutter in den Büchern von Otfried Preußler. Als einzigen Kritikpunkt meldete der Gerdes an, daß wir nur mittelscharfen Senf besäßen: Mittelscharfer Senf, das sei ein Unding. Entweder scharf oder mild. Mittelscharf, das sei nur was für weinerliche Käseköppe. Das sagte er aber nur mir und nicht bei Tisch. Da hatte er seinen Teller klaglos leergefressen.

      Bei Mensch-ärgere-Dich-nicht trug ihm ein schweinisches Würfelglück den Sieg ein, und er wollte sofort wieder von vorn loslegen, aber ich hatte keine Meinung mehr.

      Wir hörten uns dann an, was in der Bundesliga Sache war. Als Gladbach gegen Frankfurt in Rückstand geriet, fürchtete ich schon das Schlimmste, aber Wittkamp und Simonsen sorgten dafür, daß die Borussen beim Pausenstand von 2:1 erhobenen Hauptes in die Kabine gehen konnten. In der zweiten Halbzeit glückte Grabowski der Ausgleich, doch kurz darauf machte ein Doppelschlag von Heynckes und Hannes alle Hoffnungen der Eintracht auf ein Remis zuschanden.

      »Und dieses Zeugs hörst du dir jeden Samstag an?« fragte der Gerdes. Der kannte sich in der Bundesliga nicht aus, aber dafür hatte er, anders als ich, 1974 zufällig die letzten paar Minuten einer Radioreportage vom Endspiel im Europapokal der Landesmeister gehört. Bayern München gegen Atlético Madrid. Das war mit 0:0 in die Verlängerung gegangen, und dann hatte Madrid sechs Minuten vor Schluß den Führungstreffer erzielt, aber nicht mit Katsche Schwarzenbeck gerechnet! Dessen berühmter Fernschuß aus sechzig Metern Distanz, in der vorletzten Minute, war ein Volltreffer gewesen. »Der Reporter ist vor Freude völlig ausgerastet«, sagte der Gerdes. Und die Spanier waren am Boden zerstört gewesen. (Das Wiederholungsspiel hatte Bayern 4:0 gewonnen.)

      Wir stellten fest, daß abends im Dritten ein Stummfilm mit Buster Keaton lief. Das war dieser Komiker, der nie eine Miene verzog, im Gegensatz zu Didi Hallervorden. »Der Film kommt aber erst um zwanzig nach neun«, sagte der Gerdes, »also zu ’ner Zeit, wo du dir besser keine Vergnügungen mehr erlauben solltest …«

      Wir kuckten uns den natürlich trotzdem an. Ich hatte zuerst gedacht: Stummfilm, na ja, da hampeln und glotzen alle so übertrieben, und dann diese ewigen Texteinblendungen, aber dieser Film war erste Sahne. Buster Keaton spielte einen amerikanischen Lokführer, der seine Lokomotive retten wollte, mitten im Krieg der Nordstaaten gegen die Südstaaten. Da löste eine haarsträubende Notlage die andere ab, und jedesmal, wenn man glaubte, Junge, aus der Nummer kommst du nicht mehr heil wieder raus, ließ Buster Keaton sich blitzartig was einfallen. Einmal saß er mit’m Balken in den Armen vorn auf der Lok, die auf einen anderen, quer über den Schienen liegenden Balken zufuhr, und dann warf er den einen Balken so genial auf das eine Ende des anderen Balkens, daß der durch die Hebelwirkung weggeschleudert wurde und die Lok wieder freie Bahn hatte.

      Ein Spitzenfilm, da waren der Gerdes und ich uns einig. Zu bemängeln hatte er nur, daß die Nordstaaten damals, soweit er wisse, unter anderem für die Abschaffung der Sklaverei gekämpft hätten, und hier seien sie als reine Bösewichter dargestellt worden: »Ich hätt’s besser gefunden, wenn Buster Keaton in dem Film gegen die Konföderierten gekämpft hätte.«

      Konföderierten? Was der Gerdes für Wörter kannte, und was der alles wußte! Da kam ich nicht ganz mit, und ich faßte den Vorsatz, mal was für meine Bildung zu tun, auch außerhalb der Penne.

      Schlafen mußte der Gerdes auf ’ner Luftmatratze in meinem Zimmer. Sonst hätten wir erst noch das alte schwarze Klappsofa aus Wiebkes Zimmer rüberschleppen müssen, und das lohnte sich ja nicht, für die eine Nacht.

      Tante Dagmar hatte mich auf eine Radiosendung über Konfirmanden aufmerksam gemacht, die am Sonntagvormittag kam, auf NDR 2. Die hörten wir uns nach dem Frühstück an. Der Gerdes war ja Katholik. Für den mußte das fast exotisch sein, hier mit einem Konfirmanden zusammenzusitzen, vor einem Radio aus dem Nachlaß eines evangelischen Pastors.

      »Üppige Geldgeschenke zur Konfirmation«, sagte der Moderator, »sind so üblich geworden, daß Konfirmanden sich gegenseitig fragen: Wieviel war’s bei dir? Kein Wunder, daß die erhofften Geschenke auch zu einem Hauptmotiv wurden, sich überhaupt konfirmieren zu lassen. Viele Gemeinden versuchen, die Konfirmation durch eine neue Art der Vorbereitung wieder sinnvoll zu machen. Der Autor hat eine Konfirmandenfreizeit besucht und sich umgehört.«

      Dann kamen Konfirmanden zu Wort, die behaupteten, daß es ihnen auf die Geschenke gar nicht ankomme; die könnten auch wegbleiben. Außerdem wollten diese Konfirmanden freiwillig ’ne halbe Stunde länger Unterricht haben, als nötig gewesen wäre. Ein Mädchen sagte: »Ich glaub, meine Mutter ist innerlich unheimlich religiös, aber ich glaub, die kann das irgendwie nicht praktizieren …« Dann wurden sie noch gefragt, ob sie schon mal auf den Gedanken gekommen seien, einen Teil der Geldgeschenke für einen guten Zweck zu spenden. Da wären die Eltern gegen, sagten alle. »Und wenn man das Geld, das man jetzt von den Verwandten und von den Eltern kriegt, weggibt, dann sieht das ja so aus, als würde man sich nicht drüber freuen, und das wär dann sehr beleidigend für die Verwandtschaft …«

      Die