so einige, und weshalb hätte ich so tun sollen, als ob mir die Summe dann ganz egal wäre? So toll war die Aussicht aufs Konfirmiertwerden ja nun auch wieder nicht, daß ich sie aus freien Stücken gegen die Vorfreude auf die Geschenke eingetauscht hätte.
»Und du«, sagte der Gerdes, »welchem Wohlfahrtinstitut wirst du deine Reichtümer überweisen?«
Die Evangelen hätten’s gut. Bei Katholiken sei die Kommunion schon für Kinder im Alter von sechs oder sieben Jahren fällig, und da sei’s natürlich nicht weit her mit Geldgeschenken, aber manche Konfirmanden würden sage und schreibe fünfhundert Mark hinten reingeschoben kriegen! Oder sogar tausend! »Und wir Katholen müssen uns mit einem Bruchteil zufriedengeben! Mit ’nem winzigen Almosen werden wir abgespeist! Mit fünfzig Mark vielleicht, wenn’s hochkommt, und ’ner kleenen Kinderarmbanduhr dazu! Pah! Ich finde, wir sind unterprivilegiert! Am besten wär’s, der Staat würde ’ne Ausgleichssteuer einführen, und die müßtet dann ihr Evangelen zahlen, und was da zusammenkommt, wird unter den Katholiken aufgeteilt.« Er lachte und rieb sich die Hände. »Das wäre nur recht und billig!«
Als er abgefahren war, ging ich noch einmal ums Karree: Herzogstraße, Kellners Tannen, Hubertusstraße, Georg-Wesener-Straße. Dem Schicksal eine Chance geben. Vielleicht lief ich ja der Liebe meines Lebens in die Arme.
Doch mit Liebeleien sah es an diesem Tag tatsächlich schlecht aus. Wäre ja auch ’n Ding gewesen.
In der Küche lief Renate morgens der Hamster entgegen. Wiebke hatte den Käfig nicht richtig zugemacht, und da war das Vieh die ganze Treppe runtergekraxelt und in die Küche geflitzt. Das mußte schon vor elf Uhr abends passiert sein, denn um elf hatte Renate die Küchentür zugemacht.
Im Käfig schaufelte sich Pepik Körner in die Backentaschen, bis er breit war wie ’ne Flunder.
Der Radowski spielte mir in der Musikschule die »Inventio I« vor und sagte, daß man Bach nicht zu Unrecht den fünften Evangelisten genannt habe.
In dem Stück war die zweite Stimme ein Echo der ersten, und trotzdem paßte alles harmonisch zusammen, solange man sich nicht verspielte. Das hatte was von Mathe. So als ob Bach sich gesagt hätte: Hier gehört nach Adam Riese diese Note hin und keine andere. Kompositionen wie von ’nem Elektronengehirn, aber da mußte man eben durch, wenn man’s als Pianist zu was bringen wollte.
Die Zitterpartie gegen Sturm Graz, in die Eintracht Frankfurt sich bei Schnee und Glatteis begeben hatte, entschied Bernd Hölzenbein durch ein Tor in der 85. Minute.
Hölzenbein: Mit so einem Namen Flügelläufer und sogar noch Fußballweltmeister zu werden, das war auch eine Kunst für sich.
Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 hatte es mit sich gebracht, daß die Leute überall das gleiche glauben mußten wie ihr jeweiliger Landesherr. Cuius regio, eius religio. Wessen das Land, dessen der Glaube. Und wenn sich da einer mausig machte, weil er was anderes glaubte – Rübe runter, zack! Noch irgendwer ohne Fahrschein ins Jenseits? Und die anderen Ungläubigen oder Andersgläubigen hielten dann den Mund.
Was das mit der christlichen Nächstenliebe zu tun haben sollte, hätte ich ja gern mal gewußt.
Am schwierigsten von allen Hausaufgaben waren die in Physik.
Welche Masse hat eine 0,8 cm dicke Schaufensterscheibe, die 4 m lang und 2 m hoch ist? Welche Gewichtskraft (in N und kp) würde sie auf dem Mond erfahren?
Was sollte man denn auf dem Mond mit ’ner Schaufensterscheibe? Das war es, was ich so bescheuert fand an Physik und Mathe, daß man sich das Hirn zermartern sollte über den unmöglichsten Klimbim. Was ging mich die Gewichtskraft einer Schaufensterscheibe auf dem Mond an? Ich hatte andere Probleme: Wann würde ich mal wieder Post kriegen? Wo war die Nagelschere, wenn ich mir schon mal die Fußnägel schneiden wollte? Wie würde Gladbach sich im Rückspiel gegen Real Madrid bewähren? Und wo steckte Mamas zweiter Brief aus Afrika?
»Den hat Papa mit ins Büro genommen«, sagte Renate. Sie rotierte in der Küche, Essen vorkochen für drei Tage, weil sie nach Bielefeld fahren wollte, um sich da zu immatrikulieren und sich ’ne Wohnung zu suchen, und dann wollte sie weiter nach Birkelbach zur großen Abschiedsfeier.
Zu einer Studentenbude in der Großstadt hätte ich auch nicht nein gesagt. Entweder das – oder als millionenschwerer Fußballstar in einem supermodernen Luxusapartment wohnen. Und wenn Mama und Papa mich da mal besuchen kämen, würden ihnen die Augen aus dem Kopp quellen: echte Picassos an der Wand, Eisbärenfell vorm Kamin, Orientteppiche, Quadro-Anlage … und dann kommt mein Butler rein: »Euer Gnaden haben geläutet?«
Und draußen vorm Haus ’n Rolls-Royce mit Chauffeur.
Abends wurde zuerst gezeigt, wie Bayern München Benfica Lissabon das Fürchten lehrte, und zwar mit zwei Toren von Dürnberger, einem von Rummenigge und zweien von Gerd Müller. 5:1! Damit hatten es die Bayern im Europapokal der Meister ins Halbfinale geschafft.
Danach kam zeitversetzt das Spiel Real Madrid – Borussia Mönchengladbach. Die beiden Gegentreffer beim 2:2 in der Hinrunde waren eine schwere Hypothek, weil Auswärtstore bei Torgleichstand doppelt zählten, und ein Auswärtstor im Bernabeu-Stadion zu erzielen, das hatten schon ganz andere versucht.
Jupp Heynckes glückte es aber doch, nach einer knappen halben Stunde, und beim Pausenpfiff lag Gladbach vorn. In der zweiten Halbzeit drehten die Madrilenen auf, denn die wollten sich natürlich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen, und bums, schon war’s passiert – 1:1.
Wenn’s dabei blieb, war alles aus. Das wußten auch die Gladbacher, und sie gingen stürmisch in die Offensive und kamen nur gegen einen einzigen Mann auf dem Platz nicht an, und das war der Schiedsrichter Leo van der Kroft, ein Holländer, der nicht mehr alle Eier im Sack hatte: Ein reguläres Tor von Jensen erkannte er wegen dessen angeblicher Abseitsstellung nicht an, und in der 83. Minute hatte er bei einem Tor von Wittkamp als einziger Mensch auf der Welt ein Handspiel gesehen!
Und dann: Abpfiff, Ende, aus. Das war’s! Real Madrid hatte zwar drei Tore kassiert, aber nach der Willkür des Schiris trotzdem 1:1 gespielt, und Gladbach war ausgeschieden. Scheiße, verdammte!
Ich hätte nicht übel Lust gehabt, diesem van der Kroft den Hals umzudrehen. Wer war denn überhaupt so dämlich gewesen, da einen Holländer pfeifen zu lassen? Wo doch alle wußten, daß ganz Holland seit der Endspielniederlage von ’74 auf Rache sann? Hätte ich ja selbst getan, als Holländer!
Mit ein paar Zeilen vertröstete Michael Gerlach mich auf seinen nächsten Brief:
Ich weiß, ich weiß!
Ich bin ein Sausack, aber ich hab zur Zeit soviel um die Ohren, daß ich nicht zum Schreiben komme. Also stattdessen dieses Kärtchen. Wenn der Brief kommt, dann isser aber auch ganz lang. Heiliges Ehrenwort! Und: Der Brief kommt bald! Also nimm diesen Ergebenheitskratzfuß an. Tschüß, Dein gemeiner und schreibfauler Michael, auf den Du ruhig schimpfen kannst – ich hör’s ja doch nicht!
Auf der Karte waren Vallendar und Umgebung zu sehen, mit dem Kloster Schönstatt oben rechts, aber in falschen Farben, Rot und Weiß, ganz anders als in Wirklichkeit. Da hatte wohl jemand mit dem Buntstift nachgeholfen im Labor der Kartenfirma. Welche war denn das? Mal nachkucken. Neben dem Adreßfeld stand da hochkant:
Stein-Fotos, 5161 Echtz – Best.-Nr. 73716 – Nachdruck verboten
Auch ’n Beruf: Fotos von Hausdächern nachkolorieren und den Nachdruck verbieten, in 5161 Echtz. Das Örtchen hätten sie umbenennen sollen, in Fälschtz.
Bei der Gartenarbeit ärgerte ich mich schwarz über die Leute, die ihre ausgesüffelten Magenbitterfläschchen bei uns in die Hecke zu schmeißen pflegten. Underberg und Maykamp. Eine Unverschämtheit, sowas, auf dem Bürgersteig Likör aus diesen Dingern zu zutzeln und sie anschließend irgendwohin zu feuern, und ich armes Arschloch durfte dann da rumkrabbeln und den Flaschenmüll auflesen, am Samstag um Viertel vor vier, während sich die Underbergsäufer zuhause an den Rundfunkreportagen aus den Stadien der Bundesligisten