Gerhard Henschel

Sieben Martin Schlosser Romane in einem Band


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Saloon von Madison Bow, Wyoming, ließ der Wirt die Biergläser mit Schwung über den Tresen schliddern.

      Bei einem Klassenausflug nach Maria Laach mußten wir ein katholisches Kloster besichtigen und mucksmäuschenstill sein. Nonnen torften da rum, in pechkohlrabenschwarzen Klamotten.

      Maare. Maare sind kraterförmige, durch Gasexplosionen entstandene und mit Seen oder Sümpfen erfüllte Vertiefungen in der Erdoberfläche. Der Laacher See, 275 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, mißt 3,3 Quadratkilometer und ist 53 Meter tief. Am Ufer liegt das Kloster Maria Laach mit dreischiffiger und sechstürmiger Basilika.

      Roswitha Schrimpf stand ganz alleine da, und ich schlenderte zu ihr hin, aber dann sah ich aus dem Augenwinkel das dumme Grinsen von Stephan Mittendorf, bog wieder ab und gesellte mich zu Melanie Pape, die mir ein Rolo anbot.

      Vorm Einschlafen stellte ich mir vor, daß ich zufällig die Sprungschanze runterkomme, wenn Roswitha da mit ihren Eltern spazierengeht und der Ventilmops Roswithas Mutter die Handtasche stiehlt. Ich würde hinterherhechten, dem Ventilmops die Handtasche entwinden und sie dann mit einem Diener Roswithas Mutter darreichen. Auf alle Fälle würde mich Roswitha mit ganz anderen Augen ansehen, und Roswithas Eltern würden mich in ihr Haus einladen, zu Tee und Kuchen. Dann würden die Eltern Roswitha und mich alleine lassen, und Roswitha würde mir um den Hals fallen oder so, das würde sich dann schon ergeben.

      Volker und ich waren wieder auf die Horchheimer Höhe eingeladen worden, Volker von Kasimirs und ich von Stracks.

      Im Fernsehen kam Zorro, der Mann mit den zwei Gesichtern. Der mußte ja wohl auch zwei Köpfe haben, dachte ich, aber in dem Film kam kein Mann mit zwei Köpfen vor, und Uwe und ich waren stinksauer.

      Volker und Kalli hatten im ganzen Revier die Suhlen für die Sauen mit Äpfeln und Mais gefüllt und versucht, sich das Essen im Wald mit Kallis Kleinkalibergewehr vom Himmel zu schießen.

      Im Hobbyraum hingen noch bunte Papierschlangen, Luftballons und Bravoposter von Renates nachgeholter Geburtstagsfeier. John Wayne, den Revolverlauf über der Schulter, und Hoss Cartwright, an ein Kutschenrad gelehnt. Zehn Gäste hatte Renate gehabt. Der wichtigste war Renates Tanzstundenfreund Rüdiger gewesen, ein langes Elend mit Schinn auf den Schultern, Schuhgröße 47 und Kassengestell. Wo die Liebe hinfällt.

      Wenn es regnete, lief aus dem Vorgarten Lehm auf die Straße. »Die reinste Schweinerei«, sagte Mama.

      Volker und ich schmierten uns Marmeladenbrote, legten uns auf den Teppich und lasen um die Wette, Volker Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer und ich Jim Knopf und die Wilde 13. Wer zuerst durch war. Kopf auf die Hand gestützt, bis einem der Arm einschlief.

      Die Lokomotive Emma flog als Perpetuum mobile hinter den Magneten her, die Lukas ihr vorne drangehängt hatte. Von uns war Papa der einzige aus der Familie, der schon mal geflogen war.

      Den Garten bepflanzten Mama und Papa mit Feuerdorn, Weigelien, Flieder, Forsythien, Sanddorn und Zierjohannisbeeren. Mama zeigte uns, was davon was war. Blutpflaumen, Mandelgehölze und jugoslawische Fichten. An die Terrassenseite kamen Kletterrosen hin und neben die Garageneinfahrt zwei Birken, die ich von meinem Zimmer aus sehen konnte.

      Papa fluchte über das Scheißding von mechanischem Rasenmäher, weil bei dem in einem fort die Walze klemmte.

      Beim Erntedankgottesdienst, der Pflicht war, stand eine Schale mit Obst und Gemüse auf dem Altar. »Das ist nur der Rest, den Schweinebraten hat der Liebisch aufgefressen«, sagte Michael Gerlach, und ich mußte mir die Nase zuhalten, um das Lachen zu unterdrücken. Der Liebisch war so dick, daß man bei der Predigt dachte, gleich bricht die Kanzel ab.

      Wichtig war auch, nur mit Hand vorm Mund zu gähnen, sonst gab es Saures.

      Die Predigt dauerte lange. Mit welchem Rechte feiern wir das Erntedankfest? Doch wohl mit dem Rechte, das uns aus dem ersten Buch Mose im achten Kapitel entgegenscheint, wo der treue Gott verspricht, daß erst mit dem Untergang der Erde auch Säen und Ernten aufhören sollen. Wie aber sollen wir nun das Erntefest feiern? Ich nehme die Antwort aus der vierten Bitte des heiligen Vaterunsers. Erstens mit Danken, zweitens mit Beten, drittens mit geweihter Mitarbeit im Reiche Gottes.

      Rhabarber, rhabarber. Auf die Häupter seiner undankbaren Kinder werde Gott glühende Kohlen häufen. Wenn wir aber recht danken, dann gewinnen wir auch den Mut zu beten …

      Aua, sagt der Bauer, die Äpfel sind zu sauer.

      Volker war zu Ohren gekommen, daß man beim Forstamt Geld für Kastanien kriege. Mama sagte, wenn wir nicht mindestens 25 Pfund sammelten, könnten wir gleich zuhausebleiben.

      Im Weitersburger Weg in Vallendar standen Kastanienbäume. Wir asteten von da vier große Einkaufstüten den Berg hoch. Bei einer rissen oben auf der Sprungschanze die Henkel ab, und die ganzen Kastanien kugelten und sprangen die Straße runter. »Bloß weg hier«, sagte Volker. »Wenn da einer drauf ausrutscht und sich die Gräten bricht, sind wir dran!«

      Die übrigen Tüten verstauten wir im Kleiderschrank, und da blieben sie liegen, weil wir nicht wußten, wo das Forstamt war.

      Hausaufgaben. Kaffee ist ein Getränk für die ältere Generation, schrieb ich, und Mama wollte wissen, woher ich diesen Ausdruck hätte. Den hatte ich aus dem Fernsehen, von Mosaik, dem Magazin für die ältere Generation.

      Volker hatte sich mit dem strohblonden Hansjoachim angefreundet, der schräg gegenüber wohnte, einen Schäferhund sein eigen nannte und Mitglied im Tennisverein war. Vom Nacken bis zum Hinterkopf war Hansjoachim kahlrasiert, weshalb er bei Papa nur »der kurzgeschorene Hundeführer« hieß.

      Vor Mama machte Hansjoachim immer einen Diener bis zum Fußboden, aber den Schäferhund wollte sie nicht ins Haus lassen. Ganz geheuer war mir der auch nicht.

      Ich steckte jetzt öfter mit Michael Gerlach zusammen, der sich im Wambachtal gut auskannte und eine Fratze schneiden konnte wie Doof von Dick und Doof.

      Er zeigte mir eine Stelle, wo Lianen hingen, an denen man schwingen konnte wie Tarzan. Nicht von einer zur anderen, nur hin und her, aber das war schon was.

      Im Wambach veranstalteten wir ein Blätterwettrennen und bauten einen Staudamm aus Steinen und Stöcken. Es klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp klapp! In der Erde stießen wir auf appe Tassenhenkel, Klokachelsplitter und Scherben von Suppentellern.

      Bei der Jagd auf Komantschen entdeckten wir eine Schabracke mit einer Tür, die schief in den Angeln hing. Zwei schmutzige Matratzen, vergilbte Illustrierte, kodderige Decken, Kerzenstümpfe und ausgesüffelte Bierflaschen. In der Ecke lag eine Büchse mit Seifenpaste: Grüne Tante. Damit wuschen wir uns im Wambach die Hände.

      Mama erwischte mich, als ich mir vorne auf der Treppe im Sitzen die Schuhe runtertrat, ohne die Schnürsenkel aufgemacht zu haben. »Wirst du wohl! Die guten Schuhe!«

      Als das Telefon klingelte und ein Mensch vom BWB Papa sprechen wollte, kam er im Panzeranzug aus der Garage rauf, mit ölig-schwarz verschmierten Händen.

      Um Wiebke mal was vorspielen zu können, suchte ich mir in der Schulbücherei ein Buch mit Kaspertheaterstücken aus, aber die waren unter aller Kanone. Da traf Kasperle in Afrika den Negerkönig Quitzlampapo, hahaha, und der brüllte: »Blaßgesicht wird stäärrbeen! Kro-Kro wird es fressen mit seinem großen Maule!« Und Kasperle rief zurück: »Daß du dich nicht täuschst, du Putzwollenkopf!«

      Mama meldete mich im Turnverein an. Ich sollte überschüssige Energie loswerden.

      Die Turnhalle war an der Jahnstraße. Von den Jungen kannte ich keinen einzigen. Kerze, Brücke, Liegestütze, Rolle vorwärts, Rolle rückwärts, Rolle seitwärts und Geboller mit Medizinbällen.

      Am dööfsten war Völkerball. Da kriegte man den Ball voll in den Bauch geschmettert oder mitten ins Gesicht.

      In der Umkleidekabine, die nach Fußschweiß stank, brüllten alle im Chor: »Hautse, hautse, immer auf die Schnauze!« Oder: »Zickezacke, zickezacke, heu, heu, heu!«

      Und