wirklich drin ist’? Was dann?«
»Was fürs Herz kann nie schaden«, meinte Ed.
»Schnaps wär’ mir lieber«, seufzte Fred. »Weiber lenken nur ab.«
Die beiden Alkoholspezialisten stiegen vorsichtig auf die Planke, die den Kutter mit der steinernen Kaitreppe verband. Wie unbeholfene Seiltänzer balancierten sie dann hinüber an Bord und stiegen über den Niedergang nach unten in die große Kabine, deren Holzverkleidung aufgerissen und abmontiert war.
»Ich seh’ nichts«, meinte Fred dankbar.
»Abwarten«, beruhigte Ed, »hör’ doch mal auf mit deiner verdammten Rülpserei, man versteht ja sein eigenes Wort nich’ mehr!«
Während Fred sich nach wie vor uninteressiert zeigte, war in dem älteren Ed der Jagdinstinkt wachgeworden. Er durchsuchte die zweite Kabine, kletterte dann wieder an Deck und stieß bald darauf einen halbirren Schrei aus, als er hinunter ins Mannschaftslogis gestiegen war.
»Schnaps?« fragte Fred hoffnungsvoll, als er seinen Freund erreicht hatte.
»Nee, die Nackte«, rief Ed nach oben, »komm runter, Junge, du wirst Augen machen!«
Er hatte nicht übertrieben.
Sie blieben fast andächtig vor der jungen Frau stehen, die in einer Koje lag und über die man ein paar alte Lumpfen geworfen hatte.
Sie war an Händen und Füßen gefesselt, starrte die beiden Männer an und lächelte sinnlich.
»Nichts wie weg«, entsetzte sich Fred und trat sofort den Rückzug an. »Die vernascht uns, das sieht man doch auf den ersten Blick, Ed. Leg’ den Rückwärtsgang ein Junge, ich brauche jetzt ’nen Schnaps auf den Schreck hin!«
*
Der baufällige Leuchtturm stand kurz vor dem Einsturz. Lange konnte es nicht mehr dauern, bis die Katastrophe einsetzte. Sie mußten so schnell wie möglich hinüber ans rettende Land.
Der böige Wind hatte sich ein wenig gelegt und war gleichmäßig und stetig geworden. Die Brandung rollte in hohen Wogen schräg gegen den Strand, türmte sich aber immer noch auf.
»Sind Sie eigentlich wasserscheu?« erkundigte sich Lady Simpson bei ihrem Butler.
»Nur in normalen Grenzen, Mylady«, gab der Butler gemessen zurück. »Achtung, Mylady, ein Steinbrocken!«
Hastig sprang die Detektivin zur Seite und entging einem weiteren Brocken des Leuchtturmes, der sich oben aus der rissigen Mauer löste. Krachend landete das Geschoß auf dem Betonboden. Die beiden Akrobaten Lana Durbin und Herbert Nell wimmerten um die Wette und steigerten sich immer mehr in ihre Panik hinein. Paul Putnam bekam wahrscheinlich gar nicht mit, in welch akuter Lebensgefahr sie sich alle befanden.
»Melden Sie schon Ihren Bankrott an«, ärgerte sich die Sechzigjährige und sah ihren Butler verweisend an. »Dieses Problem können auch Sie nicht lösen!«
Parker verzichtete auf eine Diskussion und bemühte sich noch mal die brüchige Treppe hinauf. Dort oben, wo er Putnam gefunden hatte, war ihm ein Gegenstand aufgefallen, den er nutzen wollte. Es handelte sich um ein längeres, ziemlich dünnes Brett, das aus irgendwelchen Gründen zurückgelassen worden war. Der Butler nahm es hoch, prüfte es und nickte dann anerkennend. Es entsprach genau seinen Vorstellungen und schien für seine Zwecke angefertigt worden zu sein. Er trug das gut und gern drei Meter lange Brett nach unten und sprang dann hastig zur Seite, als die Treppe sich hinter ihm in ihre Bestandteile auflöste. Als der Staub sich gelegt hatte, sah Lady Simpson ihren Butler erstaunt an.
»Was soll das?« fragte sie, auf das schmale, lange Brett deutend.
»Falls Mylady keine Einwände geltend machen, möchte ich mich als Wellenreiter versuchen.«
»Können Sie denn das?« Sie sah ihn erstaunt an.
»Vieles, Mylady, läßt sich erlernen«, meinte Parker gemessen. »Ich möchte darauf verweisen, daß ich diese Technik bereits mehrfach im Fernsehen beobachten und studieren konnte.«
»Wenn Mylady gestatten, möchte ich auch meine bescheidene Wenigkeit etwas ermuntern.«
»Sie werden diese Ermunterung brauchen«, gab Agatha Simpson zurück. »Vielleicht sollten Sie diesen Versuch erst dann riskieren, wenn Sie die Flasche leer getrunken haben.«
»Zuviel Alkohol, Mylady, würde meine Sinne nur unnötig lähmen«, gab Josuah Parker gemessen zurück. Dann bemühte er wieder die Taschenflasche und versorgte Lady Simpson mit dem begehrten Stärkungsmittel. Er selbst nahm sich die Freiheit, nur einen kleinen Schluck zu nehmen. Dann schritt er entschlossen samt Brett hinüber zur Tür.
»Nein, Mr. Parker, tun Sie’s nicht!« Lady Simpson hatte ihren Butler überholt und baute sich mit sperrenden, ausgebreiteten Armen vor ihm auf. »Sie werden sich das Genick brechen.«
»Mylady, es muß sein!«
»Sie werden ertrinken.«
»Oder vom einstürzenden Leuchtturm erschlagen werden«, gab der Butler zu bedenken. »Lange wird er sich nicht mehr halten.«
»Ich werde mitkommen«, entschied Agatha Simpson grimmig.
»Das Brett dürfte der doppelten Last kaum gewachsen sein, Mylady. Wenn ich mich also in aller Form verabschieden darf?« Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und salutierte mit seinem altväterlich gebundenen Universal-Regenschirm. Dann begab er sich hinaus vor den Leuchtturm und nahm Maß.
Agatha Simpson war ehrlich besorgt.
Sie fürchtete um das Leben des Butlers, der ihrem Leben einen neuen Sinn gegeben hatte, sie gestand sich in diesen Sekunden ein, daß sie Parker ungemein schätzte und zwar nicht nur als Butler.
Parker hatte inzwischen den Verlauf der heranrollenden Brandungswogen studiert und begab sich samt dem Brett hinaus in die Fluten. Er legte sich auf das Holz, ruderte mit den Armen, bewegte sich äußerst geschickt auf eine der hohen Wellen zu und verschwand dann in der schäumenden Gischt.
Agatha Simpson preßte vor Erregung beide Fäuste gegen die Lippen. Hatte es ihren Butler bereits erwischt? Er hatte doch keine Chance, dazu war die See viel zu aufgewühlt.
Dann aber ließ sie entgeistert die Fäuste sinken und staunte nur noch.
Parker war wieder zu sehen.
Breitbeinig stand er auf dem schmalen Brett und betätigte sich als Wellenreiter. Er sah aus wie der »Fliegende Holländer« in seiner schwarzen Kleidung. Die Melone saß erstaunlicherweise immer noch fest auf seinem Kopf. Mit ausgebreiteten Armen und dem Universal-Regenschirm hielt er die Balance und ritt schräg mit einer donnernden Woge auf den Strand und auf die Klippen zu.
»Nein, nein«, stöhnte Agatha Simpson, als das Brett samt Parker umzukippen drohte. Doch Parker glich diese Unebenheit geschickt aus, ritt weiter und jagte dann in atemberaubender Geschwindigkeit auf den schmalen Strand zu. Dann verschwand er wieder in der Gischt und war nicht mehr zu sehen.
Dann, quälende Sekunden später, entdeckte die Detektivin ihren Butler am Strand. Er hatte es geschafft!
Parker lüftete höflich seine schwarze Melone und beeilte sich, der nächsten heranrollenden Woge zu entgehen, die ihn unweigerlich zurück ins Wasser gerissen hätte. Er schlüpfte hinter einen Felsen, wartete, bis das grollende Wasser abgelaufen war, und begab sich dann in ungewohnter Hast, die so gar nicht zu ihm paßte, hinüber zu dem steilen Pfad, der zum Rand des Felsens führte. Er grüßte noch mal korrekt und wurde dann nicht mehr gesehen.
Agatha Simpson fühlte sich äußerst schwach, aber auch außerordentlich glücklich. Sie genehmigte sich einen Kreislaufbeschleuniger und versorgte dann noch Putnam und die beiden Akrobaten.
Dann war es aber auch schon mit der Ruhe vorbei.
Der Leuchtturm löste sich immer weiter auf, zumal die See wieder rauher und die Brandung, die den Sockel des Turms aushöhlte, immer stärker wurde. Lange konnte der baufällige Turm sich nicht mehr halten.