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eine kleine Bucht umsäumte. Die grauen Steinhäuser duckten sich im Wind, die See donnerte gegen die halbkreisförmige Mole. Durch die Hafeneinfahrt kam gerade ein Boot, das Kathy bereits gesehen hatte und das sie kannte.

      Lynns Boot!

      Im ersten Moment wurde sie von Panik erfaßt, dann aber riß sie sich zusammen. Cardano durfte nicht merken, daß sie wieder fit war. Kathy wollte herausfinden, warum er dieses kleine Fischernest ansteuerte, warum Lynns Boot ausgerechnet hier im Hafen erschien. Warum war das Boot noch nicht weit draußen auf See? War das Meer zu rauh, wollte Lynn kein Risiko eingehen?

      Die Fahrt endete auf einem Campingplatz, der nördlich des kleinen Hafenbeckens angelegt worden war. Hier standen ein großer Wohnwagen, modern und komfortabel anzusehen, daneben zwei Lastwagen, ein mittelgroßer Sattelschlepper und ein geschlossener Kastenwagen. Alle drei Fahrzeuge waren in gleicher Farbe gestrichen und trugen Aufschriften, die den Namen »Cardano – Magier der Hölle« besonders hervorhoben. Der Hypnotiseur reiste also mit einer eigenen Show durch die Lande. Eine bessere Tarnung für ein Gangsterunternehmen konnte Kathy sich kaum vorstellen.

      »Komm mit, Kathy«, forderte Cardano sie auf, nachdem er neben seinem großen Wohnwagen gehalten hatte.

      Lady Simpsons Gesellschafterin hatte sich jetzt fest unter Kontrolle. Sie unterdrückte den heißen Wunsch, diesen Mann hart anzugreifen, um dann die Flucht zu riskieren. Wahrscheinlich bot sich solch eine Möglichkeit nicht mehr, aber auf der anderen Seite hatte sie die echte Chance, mehr über das Unternehmen der Gangster zu erfahren. Diese Chance mußte sie einfach schon im Interesse der Männer auf der Bohrinsel nutzen.

      Gehorsam, als sei sie nach wie vor ganz in Cardanos Bann, stieg sie aus und folgte ihm in den Wohnwagen, der üppig und bequem eingerichtet war. Sie ließ sich im Schlafabteil auf der Bettkante nieder, sah den Mann aus starren Augen an und hatte plötzlich Angst, er würde sie wieder in seinen Bann schlagen.

      Cardano kam jedoch nicht auf den Gedanken, seine Gefangene könnte innerlich frei sein.

      »Leg dich nieder«, sagte er mit weicher, eindringlicher Stimme. »Du wirst tief schlafen, Kathy, und dich an nichts erinnern.«

      Kathy Porter schloß die Augen und ließ sich gehorsam auf das weiche Bett sinken. Sie spürte, daß Cardano sie einen Moment lang scharf beobachtete, dann schloß sich jedoch die Tür und sie war allein.

      Die junge Dame blieb liegen, denn sie wußte nicht, ob er sie heimlich beobachtete. Cardano durfte nicht wissen, wie es um sie stand, er mußte völlig ahnungslos bleiben.

      *

      Butler Parker ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

      Während Lady Simpson nach wie vor den Teppich ihres Hotelzimmers strapazierte und umherwanderte, telefonierte er mit London und setzte bei einer gewissen Dienststelle einige eindringliche Warnungen ab, die sich auf die Bohrinsel und Lynns umgebautes Minenboot bezogen. Die Besatzung auf der Bohrinsel mußte schließlich gewarnt werden, falls Lynn wirklich schon auf dem Weg war, um die Anlage im Meer zu zerstören.

      Parker durfte jetzt sicher sein, daß Einheiten der Marine in der Nähe der schwimmenden Insel zusammengezogen wurden. Auch mit einer genauen Überwachung aus der Luft war zu rechnen, Lynns Chancen seinen Plan durchführen zu können, sanken von Minute zu Minute.

      Dennoch fühlte der Butler sich nicht wohl in seiner Haut.

      Gegner hatte er noch nie unterschätzt. Das war mit ein Grund dafür, daß er noch lebte. Lynn unterschätzte er, schon gar nicht. Er kannte diesen Mann nicht, aber er konnte sich leicht ausrechnen, daß solch ein Gangster mit ungewöhnlichen Mitteln arbeitete. Von Lynn waren bösartige Überraschungen zu erwarten. Dieser Mann hielt sich Parkers Schätzung nach nicht an die Spielregeln, wie sie in der Unterwelt herrschten.

      Um die Bohrinsel zu zerstören, mußte dieser Mann sich etwas Außergewöhnliches ausgedacht haben. Einen offenen Angriff wagte er sicher nicht. Vielleicht liebäugelte Lynn mit einem Angriff aus der Luft, vielleicht wollte er aber auch unter Wasser angreifen. Die technischen Mittel für beide Möglichkeiten besaß dieser Mann sicher.

      Als das Telefon sich meldete, war Agatha Simpson schneller als ihr Butler. Sie stürzte sich förmlich auf den Hörer, riß ihn aus der Gabel und meldete sich. Während sie zuhörte, färbten sich ihre Wangen rot, und ihre Augen begannen zu funkeln. Die Nachricht, die sie erhielt, schien die streitbare Dame ungewöhnlich anzuregen.

      »Dieser Akrobat«, sagte sie, nachdem sie wieder aufgelegt hatte. Sie wandte sich an Parker und sah ihn flammend an. »Sie ist wieder entführt worden.«

      »Könnten Mylady mir möglicherweise einige nähere Informationen mitteilen?«

      »Herbert Nell hat einen Cardano gesehen, als er nach Aberdeen fuhr«, berichtete Agatha Simpson hastig und griff nach ihrem Pompadour. »Cardano ist Artist und Hypnotiseur. In seinem Wagen soll Kathy gewesen sein, Nell will sie ganz einwandfrei gesehen haben.«

      »Und wohin wurde Miß Kathy entführt?«

      »Er ist hinter Cardanos Wagen her«, berichtete die Detektivin weiter, »er sagte, er könne sich jetzt endlich revanchieren.«

      »Das Gute im Menschen«, erinnerte Parker.

      »Ausnahmen bestätigen die Regel«, fuhr sie ihm über den Mund. »Philosophieren über dieses Thema können Sie später immer noch, Mr. Parker. Wir fahren sofort los!«

      »Und wohin, wenn ich bescheiden fragen darf?«

      »Nell rief von Johnshaven aus an, dort tankte er und sah zufällig den Wagen dieses Cardano.«

      »Dann dürfte einer Fahrt tatsächlich nichts mehr im Weg stehen, Mylady.«

      »Er sagte weiter, er würde uns irgendwo an der Straße erwarten, Mr. Parker.«

      »Ein bemerkenswerter Mann, wenn ich das äußern darf.«

      Agatha Simpson ging auf dieses Thema nicht weiter ein, sondern rüstete sich für den Ausflug. Sie stülpte sich den südwesterähnlichen Hut auf, den sie mit einer speziellen Hutnadel in ihrem weißen Haar befestigte. Sie vergewisserte sich, daß der Pompadour samt »Glücksbringer« aktionsbereit am Handgelenk baumelte und kontrollierte ihre Lorgnette, die es übrigens auch in sich hatte, wie die Vergangenheit schon häufig bewiese hat. Dann ließ sie sich von Parker ihren weiten Mantel umlegen und sah ihren Butler unternehmungslustig an.

      »Trödeln Sie nicht so herum«, fauchte sie. »Ihre Gemessenheit geht mir manchmal auf die Nerven!«

      »Eile mit Weile«, zitierte der Butler, ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen, »eine alte Spruchweisheit, der ich mich verpflichtet fühle.«

      Agatha Simpson dachte anders über diese Spruchweisheiten aus dem Volk und hetzte förmlich aus dem Zimmer. Dabei überrannte sie auf dem Korridor des Hotels einen Etagenkellner, der eine Speiseplatte balancierte. Der völlig überraschte Mann kam aus dem Gleichgewicht und setzte sich gegen seinen erklärten Willen in eine Doppelportion Kartoffelbrei, bekleckerte sich mit Rahmtunke, servierte sich Zuckererbsen, die über sein Vorhemd rollten, und krönte sich mit einigen Salatblättern, die neckisch auf seinem Kopf erschienen.

      »Ich möchte die Gelegenheit ergreifen, mich für Lady Simpson zu entschuldigen«, sagte Parker, der die Bescherung sah. »Sie scheint es offensichtlich ein wenig eilig zu haben.«

      *

      »Die Kleine lebt?«

      Überraschung und dann grenzenlose Wut waren aus Lynns Stimme zu hören. Er war gerade im Wohnwagen erschienen und erfuhr, wann und wo Cardano die Gesellschafterin Myladys abgefangen hatte.

      »Sie lebt und sollte gerade von der Polizei vernommen werden.«

      »Und? Hat sie etwas sagen können?«

      »Nichts. Sie war noch völlig verwirrt. Als sie dann verduftete, konnte ich sie vor dem Hospital abfangen.«

      »Wie kamen Sie dorthin, Cardano?«

      »Das ist ’ne lange Geschichte, die ich kurz erzählen will«,