Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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nicht da. Was machen wir jetzt? Wenn wir hier noch länger tatenlos herumsitzen, werde ich verrückt, das versichere ich dir.«

      »Ich auch«, sagte er. Sein Gesicht war ernst, die Kinnmuskeln angespannt. Sie sah, daß er nachdachte, welches Vorgehen am zweckmäßigsten sei. Schließlich erklärte er: »Ich werde bei der Polizei anrufen, wahrscheinlich geht das am schnellsten. Bis wir alle Krankenhäuser in Berlin und Umgebung erreicht haben, ist die Nacht herum.«

      Mona blätterte bereits im Telefonbuch und fuhr mit dem Finger die Spalten entlang, bis sie den richtigen Eintrag gefunden hatte.

      Er griff nach dem Telefon, sie nannte ihm die Nummer, und er wählte sofort. Bereits nach zweimaligem Klingeln wurde am anderen Ende abgehoben, und eine müde Stimme meldete sich.

      »Guten Abend«, sagte Wolf höflich, stellte sich mit vollem Namen vor und erläuterte dann genau, welche Auskunft er haben wollte und warum. Mona bewunderte ihn für die Ruhe, zu der er sich zwang. Schließlich wußte sie, wie es in ihm aussah.

      Der Beamte am anderen Ende stieß einen erstickten Laut aus, dann sagte er: »Herr Mickwitz, wissen Sie eigentlich, was heute nacht hier los ist? Es tut mir leid, aber die gewünschte Auskunft kann ich Ihnen beim besten Willen nicht geben, es hat Hunderte von Unfällen gegeben heute abend, weil die Menschen sich nicht richtig auf das Wetter eingestellt haben. Außerdem dürfte ich Ihnen diese Auskunft telefonisch sowieso nicht geben, dafür haben Sie sicher Verständnis.«

      »Und wenn wir vorbeikämen, meine Schwester und ich?« fragte Wolf schnell.

      »Bloß nicht!« stöhnte der Polizist. »Hier herrscht totales Chaos, und Sie werden niemanden finden, der etwas Genaues weiß. Wir versuchen gerade, uns einen Überblick zu verschaffen, aber das ist sehr schwer. Unsere Wagen sind alle im Einsatz, weil die Kollegen von der Rettung jede Hilfe brauchen, die sie kriegen können. Also, gedulden Sie sich bitte noch bis morgen. Vielleicht ist ja Ihren Freunden gar nichts passiert, und die Sache klärt sich auf. Oder Sie versuchen es bei den Krankenhäusern, obwohl die eigentlich auch nur Angehörigen Auskunft erteilen dürfen.«

      Resigniert legte Wolf auf.

      »Was hat er gesagt?« drängte Mona, und er berichtete es ihr.

      »Das heißt also«, schloß er, »wir können uns jetzt noch von zwanzig oder mehr Krankenhäusern abwimmeln lassen – oder wir warten weiter und hoffen.«

      Sie schüttelte heftig den Kopf. »Das kann ich nicht, Wolf. Wir müssen Bettinas Eltern anrufen.«

      »Bist du verrückt geworden? Ihre Mutter ist herzkrank, das weißt du doch! Willst du sie mitten in der Nacht anrufen und ihr sagen, daß ihre Tochter vielleicht verunglückt ist? Und dann stellte sich morgen heraus, daß es eine ganz einfache Erklärung dafür gibt, warum Bettina nicht aufgetaucht ist?«

      »Du weißt genausogut wie ich, daß es keine ganz einfache Erklärung geben kann«, entgegnete Mona. »Aber du hast trotzdem recht. Es ist keine gute Idee, ihre Eltern anzurufen. Ich dachte ja auch nur, sie würden wenigstens Auskunft bekommen.«

      »Komm!« sagte er mit plötzlicher Entschlossenheit. »Wir fahren trotzdem zur Polizei. Wenn wir direkt vor ihnen stehen, ist es nicht so einfach uns abzuwimmeln wie am Telefon.«

      Sie nickte, froh, daß jetzt wenigstens eine Entscheidung gefallen war und sie etwas tun würden.

      Fünf Minuten später saßen sie im Auto und fuhren durch die noch immer sturmgepeitschte Nacht.

      *

      »Das müssen Hunderte gewesen sein«, murmelte Bernd Schäfer, als er den letzten Glassplitter aus Bettina Wördemanns Haut zog. »Ich wußte überhaupt nicht, daß es soviel Glas an einem Auto gibt.«

      »Sie ist aus dem Auto geschleudert worden, daran liegt es«, sagte Adrian. »Deshalb hat es auch Gesicht und Arme besonders schlimm erwischt.«

      »Meinst du, sie bleibt auf Dauer entstellt?«

      Adrian schüttelte den Kopf. »Das wird gut verheilen, da bin ich ziemlich sicher. Das sieht jetzt schrecklich aus, aber die meisten Wunden waren ja nicht sehr tief. Wenn es keine Entzündung gibt, wird man hinterher kaum noch etwas davon sehen. Sie kann froh sein, daß ihre Augen unverletzt geblieben sind.«

      Er wandte sich dem Anästhesisten zu, während er seinen schmerzenden Rücken streckte. »Werner, das war’s jetzt. Wir sind endgültig fertig.«

      »Ich hoffe, sie schafft es«, meinte Werner Roloff nach einem besorgten Blick auf das bleiche reglose Gesicht der jungen Patientin. »Die sollen auf der Intensivstation gut auf sie achtgeben – ich würde sagen, sie ist noch nicht über den Berg.«

      »Sie wird es schaffen!« sagte Adrian beschwörend. »Sie ist noch so jung – und sie hat bis jetzt durchgehalten.«

      Eine Schwester kam, um die Patientin auf die Intensivstation zu bringen. Müde verließ das Team den Operationssaal. »Ich danke dir, Werner«, sagte Adrian. »Und dir auch, Bernd. Es war schon schlimm genug, daß ich in einer Nacht wie dieser selbst operieren mußte. Aber wenn ich es ohne euch hätte tun müssen, wäre es noch schlimmer gewesen.«

      Bernd Schäfer lächelte erfreut, und Werner Roloff klopfte Adrian freundschaftlich auf die Schulter. »Bedank dich erst, wenn sie am Leben bleibt«, bat er. »Bis später.«

      »Bloß nicht«, wehrte Adrian erschrocken ab. »Ich hoffe doch, daß dies meine einzige Operation bleibt heute nacht. Julia hat mir zwar angedroht, mir noch weitere Patienten hierherzuschicken, aber bisher hat sie es ja offenbar nicht getan, sonst hätten wir schon davon gehört.«

      »Wart’s ab«, riet Werner Roloff lakonisch, winkte noch einmal und verschwand.

      »Ich hab’ Hunger«, ließ sich Bernd Schäfer vernehmen. »Seit Stunden hatte ich keine Pause, das hält ja der stärkste Mann nicht aus. Ich muß was essen, Adrian, sonst kann ich nicht weiterarbeiten.«

      »Ich hab’ eine Banane dabei, die kannst du gerne haben«, sagte Adrian großzügig. »Jetzt gehen wir zuerst einmal und sehen, was unten los ist. Falls es einigermaßen ruhig ist, kannst du kurz etwas essen gehen.«

      »Einigermaßen ruhig?« Bernd verdrehte seine Augen voller Verzweiflung zum Himmel. »Wie kann es denn in einer solchen Nacht einigermaßen ruhig sein?«

      »Ja«, gab Adrian voller Bedauern zu. »Ich fürchte, deine Chancen stehen nicht gut, Bernd. Los, komm endlich!«

      Kurz darauf wußte Bernd Schäfer, daß seine Chancen gleich null waren. Die Notaufnahme war völlig überfüllt, sogar auf den Gängen warteten Menschen auf Behandlung. Alle Ärzte und Schwestern rannten mit gehetzten Blicken von einem Patienten zum nächsten, und Adrian und Bernd wurden von Julia Martensen mit dem erleichterten Ausruf empfangen: »Na endlich, ihr könnt gleich ein paar Patienten übernehmen.«

      Bernd Schäfers Hoffnung auf eine Mahlzeit entschwand in weite Ferne, aber er fügte sich in sein Schicksal.

      *

      »Sie sind also doch hergekommen«, stellte der Beamte mißmutig fest, als Wolf seinen und Monas Namen genannt hatte. Es war derjenige, mit dem Wolf zuvor schon telefoniert hatte.

      »Wir wußten nicht, was wir sonst tun sollten«, erwiderte Mona, und Wolf erklärte: »Frau Wördemanns Eltern wohnen nicht in Berlin, sie wissen überhaupt nicht, daß ihrer Tochter eventuell etwas passiert ist. Ihre Mutter ist herzkrank, verstehen Sie? Man kann ihr eine solche Nachricht nicht einfach am Telefon zumuten. Wir sind Bettinas beste Freunde und wollen doch nur wissen, ob sie in einen Unfall verwickelt war.«

      »Und der Mann?« erkundigte sich der Beamte. »Sie haben gesagt, daß sie zu zweit waren.«

      Jetzt antwortete Mona. »Das waren sie auch, allerdings kennen wir Bettina viel besser als ihren Freund. Aber das spielt doch keine Rolle, oder? Wenn es einen Unfall gegeben hat, sind sie ohnehin beide betroffen.«

      »Warten Sie hier«, sagte der Beamte, nachdem er einige Sekunden nachgedacht hatte. Er stand auf und verließ seinen Platz.

      Er hatte