Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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sahen sämtlich völlig erschöpft und übermüdet aus, sie hatten tiefe Ringe unter den Augen und waren offensichtlich am Ende ihrer Kraft. Aber die Nacht war noch längst nicht zu Ende, und unablässig schien es neue Unglücksmeldungen zu geben.

      »Hoffentlich kommt er überhaupt wieder«, murmelte Mona. »Das geht hier ja zu wie im Irrenhaus. Bin ich froh, daß ich hier nicht arbeiten muß.«

      Wolf nickte. »Ja, geht mir auch so. Bei uns ist es auch oft hektisch, aber das hier…« Sie warteten, und die Zeit kam ihnen endlos vor. Aber schließlich kehrte der Beamte doch zurück.

      Er nahm umständlich wieder Platz, dann blickte er auf und sah sie einen Augenblick lang forschend an, bevor er sprach. »Frau Wördemann hatte einen Unfall – aber sie war allein. Sie ist viel zu schnell gefahren und hat nur knapp ein entgegenkommendes Fahrzeug verfehlt. Niemand war bei ihr. Das immerhin habe ich herausbekommen.«

      »Und was ist mit ihr?« fragte Wolf, der auf einmal ganz blaß geworden war. »Ist sie schwer verletzt? Wo ist sie jetzt? Und wo ist das passiert?« Er merkte gar nicht, daß er viel zu viele Fragen auf einmal stellte, die der Beamte so schnell gar nicht beantworten konnte. Er fing daher mit der letzten Frage an und beschrieb ihnen die Unfallstelle.

      Mona rief aus: »Das ist ja schon fast bei mir! Höchstens zehn Minuten hätten sie noch zu fahren gehabt.«

      »Sie ist zu schnell gefahren und dann von der Fahrbahn abgekommen. Das Auto hat sich überschlagen, sie ist herausgeschleudert worden, und sie kann von Glück sagen, daß der Mann in dem entgegenkommenden Wagen die Polizei gerufen hat, sonst hätte man sie sicher zu spät gefunden. Man hat sie dann mit einem Hubschrauber nach Berlin gebracht – hier draußen sind die Krankenhäuser nicht entsprechend ausgerüstet.«

      »Was heißt das?« fragte Wolf mit rauher Stimme. »Nicht entsprechend ausgerüstet? Das bedeutet, sie ist schwer verletzt, oder?«

      »Ja, das bedeutet es. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen, das ist alles, was ich weiß. Tut mir wirklich leid.«

      »Und in welchem Krankenhaus liegt sie?« fragte Mona.

      »Das konnte mir niemand sagen. Ich nehme an, der Hubschrauber hat sich erkundigt, wo man sie aufnehmen kann, und ist dann dahin geflogen, wo Kapazität frei war.«

      »Aber…«, stammelte Mona. »Wie erfahren wir denn jetzt, wo sie liegt?«

      Der Polizist zuckte mit den Schultern und wies auf das Durcheinander, das ringsherum herrschte. »Ich kann Ihnen wirklich nicht mehr helfen, ich habe mich schon viel zu lange mit Ihnen aufgehalten. Rufen Sie in den Krankenhäusern an, dort wird man Ihnen am ehesten Auskunft geben können. Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Warten Sie bis morgen früh. Sie haben zur Zeit keine Chance. Es geht überall so zu wie bei uns.«

      »Danke«, sagte Wolf mechanisch und nahm Monas Arm. »Vielen Dank für Ihre Mühe.«

      Der Beamte nickte nur, denn im selben Augenblick klingelte sein Telefon erneut, und er mußte sich bereits mit dem nächsten Problem beschäftigen.

      Als sie wieder im Auto saßen, fing Mona bitterlich an zu weinen, während Wolfs Gesicht maskenhaft starr geworden war.

      »Und was machen wir jetzt?« fragte Mona schließlich.

      »Die Krankenhäuser abklappern, wie er gesagt hat«, antwortete Wolf. »Telefonisch natürlich – alles andere würde zu lange dauern.«

      Er ließ den Wagen an und fuhr zurück zu Monas Wohnung. Der Wind war etwas schwächer geworden, aber es regnete immer noch, so daß er sehr langsam fuhr, weil seine Sicht stark eingeschränkt war. Nach einigen Metern warf er seiner Schwester einen kurzen Blick zu und fragte: »Bist du ganz sicher, daß sie zu zweit losfahren wollten?«

      »Ja, natürlich bin ich sicher«, antwortete Mona schluchzend. »Er war in der Nähe, als sie telefoniert hat, ich habe ihn gehört. Sie hat gesagt: Wir fahren jetzt, Mona. Bis in einer Stunde ungefähr.«

      »Kannst du mir dann mal erklären«, fragte er bedächtig, »wo er jetzt ist?«

      Mona hörte auf zu weinen. In ihrem Kummer um Bettina hatte sie noch gar nicht an Jens gedacht. Er lag ihr nicht besonders am Herzen – was natürlich nicht bedeutete, daß sie ihm Böses wünschte. Sie hatte ihn schlicht vergessen. »Wie meinst du das?« fragte sie.

      »Sie saß allein im Auto, hat der Beamte gesagt, das hast du doch gehört. Wieso war er nicht bei ihr?«

      Mona schüttelte den Kopf. »Das weiß ich doch nicht, Wolf. Aber wahrscheinlich ist das ein Irrtum. Du hast das Chaos doch gesehen – es wird irgendein Mißverständnis gewesen sein. Wahrscheinlich haben sie Jens ins gleiche Krankenhaus gebracht wie Bettina.«

      Wolf fragte nicht weiter. Es war immerhin eine Möglichkeit. Jetzt war sowieso zunächst nur wichtig, daß sie herausfanden, was Bettina passiert war. Die Angst um sie schnürte ihm fast die Kehle zu, und er wußte nun, daß seine Versuche in den letzten Jahren, Bettina zu vergessen, völlig vergeblich gewesen waren. Er liebte sie nach wie vor, daran hatten auch die größten Entfernungen nichts zu ändern vermocht.

      *

      Es war schon spät, als der Patientenzustrom endlich nachließ und ein wenig Ruhe in der Notaufnahme der Kurfürsten-Klinik einkehrte. Bald würde der Morgen heraufdämmern. Es war eine sehr harte Nacht gewesen, und sie war noch nicht vorüber. Aber immerhin, das Schlimmste schien überstanden zu sein.

      Adrian Winter versuchte, sich mit einem sehr schwarzen Kaffee wieder munter zu machen. Er hatte nach der Operation an Bettina Wördemann pausenlos Patienten versorgt, und nun gönnte er sich zum ersten Mal seit Stunden eine kurze Pause.

      Julia Martensen tauchte neben ihm auf. »Hier bist du«, sagte sie und griff ebenfalls zum Kaffee. Sie sah aus wie immer. Adrian wunderte sich insgeheim darüber. Schließlich war sie deutlich älter als er – wie hielt sie das nur durch? Aber sie war für eine Frau, die sich den Fünfzig näherte, ohnehin erstaunlich fit, fand er. Fit und attraktiv.

      »Hast du mich gesucht?« fragte er.

      Sie nickte. »Die Polizei war hier wegen Bettina Wördemann, das wollte ich dir erzählen.«

      »Sie wollen sicher den Unfall zu Protokoll nehmen«, meinte er gleichmütig. »Da müssen sie leider noch ein bißchen warten, sie werden frühestens heute abend mit ihr reden können.«

      »Das habe ich ihnen auch gesagt. Es ging aber nicht nur um ein Unfallprotokoll, Adrian.«

      »Nein?« Er hob erstaunt die Augenbrauen. »Worum sonst?«

      »Sie vermuten, daß Frau Wördemann betrunken war. Sie muß viel zu schnell gefahren sein, und sie ist fast in ein anderes Auto gerast. Es ist bereits Anzeige gegen sie erstattet worden.«

      »War sie betrunken?« fragte er stirnrunzelnd. »Nach Alkohol gerochen hat sie jedenfalls nicht.«

      »Ich weiß es nicht, es mußte ja alles so schnell gehen, daß wir das nicht getestet haben.« Sie erzählte ihn, was sie den Polizisten gesagt hatte. Seine Überraschung war so groß, daß sie verlegen wurde. »Warum siehst du mich denn so an?« fragte sie abwehrend.

      »Du hast die Staatsbeamten an der Nase herumgeführt, Julia«, stellte er fest und sah sie prüfend an. »Warum hast du das mit dem Alkohol im Blut nicht überprüfen lassen?«

      Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es auch nicht. Sie haben mich einfach überrumpelt – die Frau lag gerade auf dem Operationstisch, da kamen sie schon an.«

      »Das ist ihr Job. Erstaunlich, daß sie in einer Nacht wie dieser überhaupt so schnell hier waren«, meinte er nachdenklich.

      »Ich lasse das mit dem Alkohol überprüfen«, versprach sie. »Aber ich bin überzeugt, wir werden nichts finden.«

      »Du erstaunst mich, Julia«, sagte Adrian. »Bist du nicht diejenige, die sich sonst immer unbedingt an Fakten hält? Und jetzt eine solche intuitive Entscheidung – wie darf ich das verstehen?«

      »Daß ich alt und sentimental werde«,