Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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Sie mich auf den Arm nehmen?« fragte er mißtrauisch. »Daß Sie eine großartige Köchin sind, weiß ich, aber seit wann backen Sie Brot?«

      »Brötchen«, korrigierte sie. »Ich sagte doch schon, daß ich nicht geschlafen habe. Aber ich wollte etwas Sinnvolles tun, und Brötchenbacken ist sinnvoll! Oder suchen Sie etwa Streit mit mir?«

      Er sah in ihre porzellanfarbenen Augen, die an diesem Morgen ein wenig angriffslustig wirkten, und lächelte. »Würde ich nie machen, Frau Senftleben.«

      Sie nickte zufrieden. »Guten Appetit, Adrian. Sie hatten wahrscheinlich eine schrecklich arbeitsreiche Nacht?«

      »Kann man wohl sagen«, bestätigte er. Und während er ihr von der Hektik und dem Streß der vergangenen Stunden erzählte, fiel die Erschöpfung von ihm ab und machte einer angenehmen Müdigkeit Platz. Er sah bald, daß es ­seiner Nachbarin ähnlich ging, denn sie gähnte einige Male verhalten.

      Nach einer halben Stunde sagte er: »Die Brötchen waren ausgezeichnet, Frau Senftleben, aber ich kann beim besten Willen nichts mehr essen. Und wenn Sie nichts dagegen haben, dann lege ich mich jetzt sofort in mein Bett.«

      »Ich habe nichts dagegen«, erwiderte sie. »Ich werde es Ihnen gleichtun. Danke für Ihre Gesellschaft, Adrian.«

      »Ich habe zu danken«, sagte er charmant. »Auf Wiedersehen, Frau Senftleben. Und schlafen Sie gut.«

      »Worauf Sie sich verlassen können«, versicherte sie und schloß die Tür hinter ihm. Adrian betrat gleich darauf seine eigene Wohnung, machte sich aber nicht einmal die Mühe, einen Blick in die Zeitung zu werfen. Das hatte alles Zeit bis später.

      *

      Der Polizeibeamte namens Frentrup stand ein wenig ratlos an Bettina Wördemanns Bett. Er war diesmal allein gekommen. Schweigend hatte er zur Kenntnis genommen, daß man keinen Alkohol in ihrer Blutprobe gefunden hatte, aber natürlich wollte er das noch einmal überprüfen.

      Niemand hatte ihn auf den Anblick vorbereitet, der ihn erwartete, und so hatte er eine Weile gebraucht, bis er sich von seinem Schock erholt hatte. Gesicht und Arme der jungen Frau waren blutverkrustet – das waren die Wunden, die die Glassplitter verursacht hatten. Außerdem hatte sie zahlreiche blaue Flecken und Prellungen, und Arm und Schulter waren eingegipst. Sie lag reglos vor ihm, an Schläuche angeschlossen und offensichtlich noch immer in Narkose.

      »Sie ist bereits einmal kurz wach gewesen, aber daran kann sie sich vermutlich inzwischen gar nicht mehr erinnern«, erläuterte der Stationsarzt. »Ich fürchte, Sie sind zu früh gekommen. Hatte mein Kollege Ihnen nicht bereits gesagt, daß es am besten wäre, erst abends wiederzukommen?«

      »Doch, das schon«, gab der Polizist zu, »aber ich dachte…«

      Er vollendete den Satz nicht, und der Arzt tat es für ihn. »Sie dachten, es kann nicht schaden, den Ärzten nicht alles zu glauben, sondern sich selbst zu überzeugen, ob die Patientin nicht doch schon vernehmungsfähig ist. Hab’ ich recht?«

      »So ähnlich«, lautete die verlegene Antwort.

      »Tut mir leid, aber Sie werden warten müssen«, stellte der Arzt nun in sehr bestimmtem Ton fest. »Selbst wenn Frau Wördemann jetzt aufwachen würde, möchte ich es nicht verantworten, daß der erste Mensch, mit dem sie spricht, ein Polizist ist, der sie vernehmen will. Warum haben Sie es eigentlich so eilig? Weglaufen kann sie Ihnen nicht, das sehen Sie doch selbst.«

      »Es gibt da einige Ungereimtheiten«, murmelte der Beamte, »die wir gerne klären würden.«

      »Wie gesagt, sie läuft Ihnen bestimmt nicht weg, und diese Klärung wird warten müssen, bis sich Frau Wördemann in einer stabilen Verfassung befindet. Wir werden ihre Gesundheit nicht riskieren, nur weil die Polizei etwas zu klären hat. Das verstehen Sie sicher.«

      Der Beamte gab auf. Er hatte es jetzt selbst eilig, aus der Klinik zu verschwinden. Das zerschnittene Gesicht der jungen Frau machte ihn ganz krank. »Ich komme wieder«, murmelte er.

      »Davon gehe ich aus«, lautete die ironische Erwiderung des Stationsarztes.

      *

      Jens Banter legte sich eine Weile auf die Lauer und beobachtete, ob es verdächtige Bewegungen in dem Haus gäbe, in dem er wohnte. Als er nach einer Viertelstunde nichts dergleichen feststellen konnte, schlüpfte er ins Haus und betrat gleich darauf seine Wohnung. Vorsichtig sah er sich um, aber alles war unverändert.

      Damit hatte er auch gerechnet. So schnell konnten sie eigentlich nicht auf seine Spur gekommen sein, jedenfalls hatte er das inständig gehofft. Schließlich konnte niemand, der Bettina fand, wissen, daß sie nicht allein gewesen war und wohin sie hatte fahren wollen. Und bis sie Mona gefunden hatten, würde es auch noch dauern. Aber all das änderte nichts daran, daß er schleunigst verschwinden mußte. Er mußte sich tunlichst aus der Stadt entfernen, damit er später sagen konnte, daß er sie schon vor dem heutigen Tag verlassen hatte.

      Hastig packte er eine Tasche mit den Sachen, die er für einige Wochen benötigen würde. Einen Job hatte er im Augenblick nicht, also brauchte er auch nicht plötzlich Urlaub zu nehmen oder eine Krankheit zu erfinden. Das war praktisch. Er dachte scharf nach, damit er nichts vergaß, aber es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, denn unbewußt lauschte er auf die Geräusche, die von außen in die Wohnung drangen. Immerhin war es möglich, daß die Polizei doch schneller war als erwartet – und er legte keinerlei Wert darauf, hier dabei überrascht zu werden, wie er seine Sachen packte, um zu fliehen.

      Aber alles blieb still, und so sehr er auch nachzudenken versuchte, ihm fiel nichts mehr ein, das er noch hätte tun können. Er räumte den Kühlschrank aus, damit es so wirkte, als sei er ganz geplant für einige Zeit verreist, dann kritzelte er eine Nachricht für Bettina auf eine Karte, die er zurückdatierte und mit einer Briefmarke versah. Er würde sie nachher gleich einwerfen. Auf der Karte stand, daß er überraschend verreisen müsse und sie deshalb nicht zu Mona begleiten könne. Dann überlegte er es sich anders und zerriß die Karte wieder. Das hätte er ihr schließlich persönlich oder am Telefon sagen können. Kein Mensch würde wegen so etwas eine Karte schreiben.

      Er merkte, daß sein Kopf blockiert war, und gab es auf. Er würde jetzt nur noch wegfahren und versuchen, irgendwo an der Ostsee zur Ruhe zu kommen. Weiter konnte er im Augenblick einfach nicht denken.

      *

      Als Mona vorsichtig die Tür zum Wohnzimmer öffnete, legte Wolf gerade mit resignierter Miene den Telefonhörer auf. Als er sie hörte, sagte er bedauernd: »Ich wollte dich nicht wecken, es tut mir leid, Mona.«

      »Du hast mich nicht geweckt, ich bin von selbst wach geworden«, sagte sie. »Bist du schon lange auf?«

      Er nickte. »Aber ich bin noch immer kein Stück weitergekommen. Es ist wie verhext. Zum Teil erhalte ich überhaupt keine Auskunft, zum Teil ist die Auskunft negativ. Einige Krankenhäuser können wir jetzt wenigstens von der Liste streichen, aber das ist auch alles, was ich erreicht habe.«

      »Und der Hubschrauberpilot?«

      Wolf zog eine Grimasse. »Der war meine größte Hoffnung, aber sie haben ihn bisher nicht erreicht. Der hat die ganze Nacht Einsätze geflogen und sollte jetzt eigentlich zu Hause im Bett liegen und schlafen, aber da ist er nicht. Hat wahrscheinlich ’ne Freundin, zu der er gegangen ist, jedenfalls meldet er sich nicht.«

      Mona ließ sich neben ihn aufs Sofa sinken. »Und Bettina liegt jetzt irgendwo, und niemand ist bei ihr«, sagte sie leise. »Das ist eine so schreckliche Vorstellung, Wolf.«

      »Ich weiß.« Seine Stimme klang heiser. »Es macht mich völlig verrückt, daran zu denken.«

      Sie legte einen Arm um ihn. Sie war viel kleiner als er und mußte sich sogar ein wenig anstrengen, um das zu schaffen. »Du liebst sie immer noch«, stellte sie fest.

      »Ja«, sagte er ohne das geringste Zögern. »Ich liebe sie immer noch. Und ich werde sie immer lieben, Mona. Wahrscheinlich gibt es nichts, was daran etwas ändern könnte.«

      »Dieser Jens ist nicht der richtige Mann für