sagte sie.
»Sie hatten auch kein Alkohol im Blut. Wie also erklären Sie sich Ihre verrückte Fahrweise gestern abend? Ist etwas passiert, das Sie seelisch aus dem Gleichgewicht gebracht hat?«
»Wie meinen Sie das?« fragte sie unsicher.
»Nun, man könnte sich doch vorstellen, daß Sie sich so sehr über etwas aufgeregt haben…«
»… daß ich anfange, wie eine Betrunkene Auto zu fahren, meinen Sie? Das glaube ich nicht. Ich kann Ihnen nicht sagen, was passiert ist, das müssen Sie schon selbst herausfinden.«
»Ich bin gar nicht so sicher, Frau Wördemann, daß Sie uns das nicht sagen können.« Der Beamte namens Frentrup sprach jetzt sehr eindringlich. »Es gibt da nämlich ein paar Dinge, die wir uns nicht erklären können.« Er sprach nicht weiter, sondern beobachtete ihre Reaktion. Und er wurde nicht enttäuscht, denn das schnelle Flackern in ihren Augen entging ihm nicht.
»Was für Dinge?« fragte sie unsicher.
»Der Gurt am Beifahrersitz war offensichtlich defekt. Und der Winkel, in dem Sie durch die Windschutzscheibe geschleudert worden sind, läßt eher darauf schließen, daß Sie auf dem Beifahrersitz gesessen haben. Was durch den defekten Gurt auch erklärt wäre. Auf der Fahrerseite war er nämlich völlig in Ordnung. Sie sehen also, es gibt einiges, das einer Erklärung bedarf.«
Er wartete unruhig, bis sie diese Information verdaut hatte, aber nach einigen Sekunden des Nachdenkens wiederholte sie: »Tut mir leid, ich kann Ihnen das nicht erklären.«
»Haben Sie den Wagen selbst gesteuert, Frau Wördemann?« fragte er direkt und ließ sie dabei nicht aus den Augen.
Sie vermied eine klare Antwort, und auch das entging ihm nicht. »Es war doch sonst niemand da, oder? Das muß dann ja wohl heißen, daß ich gefahren bin. Bitte lassen Sie mich jetzt in Ruhe, es geht mir nicht besonders gut.« Sie schloß die Augen zum Zeichen, daß sie nicht bereit war, noch weitere Fragen zu beantworten.
Die Beamten wechselten einen kurzen Blick miteinander, dann standen sie auf. »Wir kommen wieder, Frau Wördemann. Es tut uns leid, daß Sie das als Quälerei empfinden, aber wir versuchen, Ihnen zu helfen, auch wenn Sie das vielleicht anders sehen.«
Leise verließen sie den Raum, aber Bettina fühlte sich durchaus nicht erleichtert. Sie mußte endlich wissen, was mit Jens passiert war. Wieso war er verschwunden? Er konnte sie doch unmöglich einfach am Unfallort zurückgelassen und sich selbst in Sicherheit gebracht haben? Das war unmöglich – sie traute ihm ja einiges zu, aber das nicht.
Und dann fiel ihr siedendheiß ein, daß sie ja Mona und Wolf hatten besuchen wollen. Sie mußte unbedingt mit den beiden reden, um herauszufinden, ob sie der Polizei etwas von Jens erzählt hatten. Sie wußte nicht, was Jens getan hatte, aber sie wollte ihn auf keinen Fall in Schwierigkeiten bringen.
Ihre Gedanken verwirrten sich, und sie schlief wieder ein.
*
Adrian Winter hatte sich entschlossen, vor Dienstbeginn noch etwas zu essen, und das war genau die richtige Entscheidung gewesen, denn er fühlte sich nun großartig. Als er die Klinik danach erneut betrat, hoffte er, daß Julia Martensen mittlerweile eingetroffen war, damit er vor Dienstbeginn noch mit ihr über Bettina Wördemann reden konnte.
Doch soweit sollte es nicht kommen, denn eine der Schwestern trat ihm in den Weg und flüsterte ihm zu: »Herr Dr. Winter, da sind zwei Leute, die auf Sie warten. Es sind Freunde von Frau Wördemann, die mit Ihnen sprechen wollen. Das heißt, eigentlich wollen sie natürlich Frau Wördemann besuchen, aber ich dachte, es wäre besser, wenn sie zuerst mit Ihnen sprechen.«
»Danke«, sagte er freundlich und ging auf die Frau und den Mann zu, die ihm erwartungsvoll entgegensahen und sich schließlich erhoben, als sie merkten, daß er auf sie zukam. Beide waren schlank und dunkelhaarig, der Mann mindestens einen Kopf größer als die Frau. Ihre Ähnlichkeit war unverkennbar, sie mußten einfach Geschwister sein.
»Ich bin Dr. Winter«, sagte er freundlich. »Und Sie sind Freunde von Frau Wördemann?«
Beide nickten, die Gesichter bleich und angespannt. »Ich bin Wolf Mickwitz«, sagte der Mann schließlich, »und dies ist meine Schwester Mona. Sie ist Bettinas beste Freundin. Wir waren gestern abend verabredet und haben lange auf sie gewartet, bis uns endlich klargeworden ist, daß sie nicht mehr kommen würde, weil etwas passiert sein mußte. Wie geht es ihr, Herr Doktor?«
»Recht gut«, antwortete Adrian. »Bitte, nehmen Sie doch einen Augenblick Platz. Mir ist klar, daß Sie Frau Wördemann besuchen wollen, aber es gibt einiges, das ich Sie gern fragen würde.«
»Wird sie wieder gesund?« entfuhr es der jungen Frau. »Bitte, Herr Doktor, sagen Sie uns die Wahrheit. Wir haben eine furchtbare Nacht hinter uns, weil wir immer gehofft haben, die beiden würden endlich kommen…«
»Die beiden?« fragte Adrian, obwohl er ja schon gehört hatte, daß seine Patientin angeblich nicht allein im Auto gesessen hatte. »Welche beiden denn?«
»Bettina und ihr Freund«, antwortete Mona. »Sie haben ja noch angerufen, bevor sie losgefahren sind. Das heißt, Bettina hat angerufen und gesagt, daß sie in ungefähr einer Stunde bei uns sein würden. Und ihren Freund habe ich im Hintergrund gehört.«
»Es war also geplant, daß Sie von zwei Leuten Besuch bekommen, richtig?« fragte Adrian.
»Ja. Wir haben uns schon gewundert, daß von Jens überhaupt nicht die Rede war, als wir endlich herausgefunden hatten, daß Bettina hier in der Klinik liegt«, sagte Wolf. »Aber in der letzten Nacht hat es ja wohl sehr viele Unfälle gegeben, und alles war ziemlich chaotisch, da haben wir uns gedacht, vielleicht hat uns jemand am Telefon eine ungenaue Auskunft gegeben.«
Adrian schüttelte nachdenklich den Kopf. »Nein, Frau Wördemann war offenbar allein im Auto. Sie muß gerast sein wie eine Verrückte und dann…«
»Nie im Leben!« sagte Mona Mickwitz entschieden. »Bettina ist eine sehr vorsichtige Fahrerin. Ich habe noch nie erlebt, daß sie rast, dazu hat sie viel zu viel Angst, daß etwas passieren könnte. Und bei dem Wetter, das gestern abend herrschte, war sie sicher noch vorsichtiger als sonst. Sie ist nicht gerast, glauben Sie mir das.«
»Es gibt einen Zeugen«, erklärte Adrian knapp. »Sie ist fast in einen entgegenkommenden Wagen gerast.«
»Bettina?« fragte Mona ungläubig. »Nie im Leben. Oder hatte sie getrunken? Das wäre die einzige Erklärung – obwohl ich das auch nicht glaube. Sie trinkt ohnehin wenig, und wenn, dann fährt sie nicht Auto.«
»Sie hatte nicht getrunken«, erklärte Adrian und wartete.
Die Geschwister warfen einander einen Blick zu, dann sagte Wolf Mickwitz zögernd: »Könnte theoretisch noch jemand im Auto gesessen haben, als der Unfall passiert ist?«
»Und sich nach dem Unfall aus dem Staub gemacht haben, meinen Sie?«
Der andere wirkte etwas verlegen, nickte aber. »Ja, so ungefähr. Es klingt ziemlich merkwürdig, ich weiß, aber wäre das theoretisch denkbar?«
Adrian zuckte mit den Schultern. »Das müßten Sie die Polizei fragen, Herr Mickwitz. Die wollten Frau Wördemann ohnehin vernehmen, falls sie das nicht bereits getan haben.«
Die beiden schwiegen bedrückt. Schließlich sagte Mona: »Aber das ist Unsinn. Wenn Jens im Wagen gesessen hat, dann würde er hinterher nicht einfach weglaufen. Und wenn er es doch getan hätte: Warum sollte Bettina darüber schweigen? Das kann ihr doch nur schaden – wenn alle Leute denken, sie sei gerast und hätte andere Menschen damit in Gefahr gebracht.«
»Ja, das alles habe ich mir auch schon überlegt«, gestand Adrian. »Und ich habe keine vernünftige Erklärung gefunden, muß ich zugeben. Gehen Sie nur jetzt zunächst einmal auf die Intensivstation. Ich werde Sie bei meinen Kollegen dort ankündigen, dann läßt man Sie sicher zu ihr. Gibt es Verwandte, die wir benachrichtigen sollten – oder wollen Sie das vielleicht übernehmen?«
»Wir wollten mit Bettina darüber sprechen.