Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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dachte nach und nickte schließlich. »Schön, sie ist also genauso überrascht und ungläubig wie wir und sagt vorsichtshalber erst einmal gar nichts. Aber was ist mit Jens? Vorher hast du doch behauptet, er würde so etwas niemals machen.«

      »Das habe ich auch geglaubt«, meinte Mona kleinlaut. »Ich kann es mir eigentlich auch immer noch nicht richtig vorstellen, aber alles andere ergibt keinen Sinn. Oder siehst du das anders?«

      »Nein, das sehe ich ganz genauso wie du!« Seine Stimme klang grimmig, und sein Gesichtsausdruck war dementsprechend. »Wenn sich herausstellt, daß es wirklich so ist, wie wir beide im Moment denken, dann soll mir der Kerl bloß nicht über den Weg laufen«, sagte er. »Ich könnte, glaube ich, nicht für meine Beherrschung garantieren.«

      »Und was sagen wir, wenn uns Herr Dr. Winter fragt, was wir herausbekommen haben?«

      »Wir sagen ihm, was wir vermuten, alles andere ist Unsinn. Wir können uns an diesem Versteckspiel nicht beteiligen, Mona. Bettina hat vielleicht einen Grund, ihren Freund zu schonen, aber wir haben keinen.«

      »Das nimmt sie uns vielleicht übel«, murmelte Mona nachdenklich.

      »Das werden wir riskieren müssen!« Wolfs Stimme war fest. »Ich bin nicht bereit für jemanden zu lügen, der so handelt, wie dieser Jens Banter es offenbar getan hat. Und wenn sich herausstellt, daß er wirklich nicht mitgefahren ist – um so besser.«

      »Ich möchte lieber nicht dabei sein«, gestand Mona kleinlaut.

      Er nickte. »Das ist vielleicht auch besser so. Ich werde allein mit Dr. Winter reden.«

      Erleichtert küßte sie ihn auf die Wange. Schweigend machte er sich auf den Weg in die Notaufnahme, um noch einmal mit dem Arzt zu sprechen.

      *

      Jens Banter wanderte ziellos am Ostseestrand umher. Bisher war alles gutgegangen. Er hatte ein billiges Zimmer gefunden, nebenbei einfließen lassen, daß er schon seit ein paar Tagen unterwegs war, und er nahm an, daß er nun in Sicherheit war. Merkwürdigerweise ging es ihm aber eher schlechter als besser.

      Je deutlicher ihm zu Bewußtsein kam, was passiert war, desto fragwürdiger fand er sein eigenes Verhalten. Mittlerweile hatte er nicht einmal mehr Restalkohol im Blut, vermutete er, und das bedeutete, daß er völlig nüchtern war. Diese Nüchternheit ließ ihn den Unfall und alles, was geschehen war, in einem anderen Licht sehen.

      Bettina war tot, durch seine Schuld. Während der Fahrt hatte sie ihn immer wieder gebeten, langsamer zu fahren, aber er hatte nicht auf sie gehört, im Gegenteil. Er war sogar besonders schnell gefahren, um sie noch mehr aufzuregen.

      Aber er hatte nicht nur den Unfall verursacht, er hatte sich auch noch danach einfach aus dem Staub gemacht. Er hatte sich ja nicht einmal die Zeit genommen, genauer nachzuprüfen, ob er Bettina nicht vielleicht doch noch hätte helfen können.

      Alle Sicherungen in seinem Hirn waren durchgebrannt, und er war geflohen, wie ein ganz gemeiner Verbrecher vom Tatort flieht. Und was unterschied ihn jetzt noch von einem ganz gemeinen Verbrecher?

      Als er eine Telefonzelle sah, folgte er einer spontanen Eingebung und ging hinein. Er sah in seinem Adreßbuch nach und wählte Monas Nummer. Sie meldete sich schon nach dem ersten Klingeln.

      »Mona Mickwitz.«

      Er lauschte dem Klang ihrer Stimme und versuchte festzustellen, ob sie bereits von Bettinas Tod wußte. Klang sie anders als sonst?

      »Hallo? Wer ist denn da? Ich höre doch, daß da jemand ist. Melden Sie sich bitte!«

      Nein, entschied er, ihre Stimme klang nicht aufgeregt und auch nicht traurig. Ganz sanft hängte er den Hörer ein und verließ die Telefonzelle wieder. Er mußte eine Entscheidung treffen, das wurde ihm auf einmal bewußt. Und diese Entscheidung würde Auswirkungen auf sein ganzes weiteres Leben haben.

      Merkwürdig, dachte er, daß er auf einmal alles so anders sah als noch vor wenigen Stunden. Aber da hatte ja auch noch die Panik sein Handeln bestimmt, während er offenbar jetzt endlich wieder imstande war, richtig nachzudenken.

      Langsam machte er sich auf den Rückweg. Er sollte besser keine weitere Zeit vergeuden. Doch er überlegte es sich noch einmal anders. Er kehrte in die Telefonzelle zurück und wählte dieselbe Nummer wie zuvor.

      *

      »Du meinst also, wenn ich dich richtig verstanden habe, Frau Wördemann hat gar nicht selbst am Steuer gesessen?« fragte Julia stirnrunzelnd. »Ich muß gestehen, Adrian, daß ich ja von Anfang an das Gefühl hatte, etwas würde nicht stimmen in diesem Fall – aber das ist doch wirklich eine ziemlich gewagte Theorie.«

      Er nickte, zählte ihr aber dann noch einmal alles auf, was für seine Vermutung sprach. Er schloß mit den Worten: »Die Polizei glaubt im übrigen auch, daß sie etwas verschweigt.« Er hatte mittlerweile von dem defekten Gurt auf der Beifahrerseite erfahren.

      »Dann muß sie diesen Mann aber sehr lieben«, meinte Julia. »Oder warum lügt sie sonst für ihn?«

      »Muß wohl Liebe sein«, brummte Adrian. »Oder Dummheit. Ich kann es dir auch nicht sagen, Julia.«

      »Herr Dr. Winter?« Wolf Mickwitz stand plötzlich vor ihnen. »Sie wollten doch hören, was wir bei Bettina in Erfahrung bringen konnten. Meine Schwester mußte schon nach Hause fahren, deshalb bin ich allein noch einmal gekommen.«

      »Julia, das ist Herr Mickwitz, von dem ich dir bereits erzählt habe, ein Freund von unserer Patientin Bettina Wördemann. Setzen Sie sich zu uns, Herr Mickwitz, dies ist meine Kollegin Dr. Martensen, wir beide haben Frau Wördemann gestern abend hier untersucht. Wir haben eben über den Fall gesprochen. Also, was haben Sie uns zu sagen?«

      »Sie lügt, glaube ich«, sagte Wolf ganz offen. »Ich kann es nicht beweisen, aber ich glaube es. Alles andere ergibt überhaupt keinen Sinn.«

      Julia beugte sich interessiert vor. »Sie nehmen also auch an, daß nicht Frau Wördemann selbst am Steuer gesessen hat?«

      »Ich bin fast sicher«, antwortete er. »Sie hat meine Schwester angerufen, bevor sie losfahren wollten. Und da hat ihr Freund neben ihr gestanden. Meine Schwester und ich haben noch einmal da­rüber gesprochen, sie ist ganz sicher, daß sie ihn gehört hat. Er hat etwas zu Bettina gesagt, im Hintergrund. Und da wollten sie gerade losfahren. Es ist sehr unwahrscheinlich, finde ich, daß sie sich genau in der Minute noch so zerstritten haben, daß Bettina allein losgefahren ist. Außerdem rast Bettina nicht – aber dieser Jens offenbar.«

      »Ach, Sie kennen ihn gar nicht?«

      Der gutaussehende junge Mann mit dem verschlossenen Gesicht schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe eine Zeitlang im Ausland gearbeitet und hatte auch Bettina lange nicht gesehen. Wir kennen uns von früher, wir sind praktisch zusammen großgeworden. Ich… also, ich hatte mich sehr auf dieses Wiedersehen gefreut.«

      »Trinkt dieser Jens gelegentlich?« erkundigte sich Adrian Winter.

      »Es scheint so«, antwortete Wolf Mickwitz zurückhaltend.

      »Wenn das alles stimmt«, meinte Julia zögernd und wiederholte damit einen Gedanken, den sie zuvor schon geäußert hatte, »dann muß die Liebe aber wirklich sehr groß sein, wenn Frau Wördemann ihren Freund unter diesen Umständen bereit ist zu decken.«

      In dem verschlossenen Gesicht des jungen Mannes zuckte es verdächtig. »Ja«, sagte er beherrscht, »so sehe ich das auch.« Er stand auf. »Bitte, entschuldigen Sie mich jetzt.«

      Er schüttelte beiden die Hand und verließ die Notaufnahme.

      »Er liebt sie«, stellte Julia hellsichtig fest, und zu ihrem größten Erstaunen stimmte Adrian ihr zu. »Ja, das tut er. Und er leidet wie ein armer Hund unter der ganzen Angelegenheit.«

      »Das hast du also auch bemerkt.« Ihre Augen blickten forschend in sein Gesicht. »Ich wußte gar nicht, Adrian, daß du ein Experte in Liebesdingen bist.«

      Er wurde verlegen, schaffte es aber dennoch, ihr eine schlagfertige Antwort