Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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tauchte ein schönes Gesicht mit violetten Augen, umrahmt von dichten blonden Locken, vor ihm auf, aber er wischte diese Vision rasch beiseite. Er wollte jetzt nicht an die Frau denken, um die seine Gedanken oft genug kreisten. Stefanie Wagner…

      Mit einem Satz sprang er aus dem Bett und ging sofort unter die Dusche. Frisch und munter klingelte er eine halbe Stunde später bei Frau Senftleben. Als seine Nachbarin ihm öffnete, hob er eine Tüte in die Höhe und sagte: »Frische Brötchen und eine Zimtschnecke, Frau Senftleben.«

      »Brötchen am Nachmittag brauche ich nicht, aber mit der Zimtschnecke können Sie mich locken, und ich nehme meinen Nachmittagskaffee.«

      Das ließ er sich nicht zweimal sagen, und wenig später saßen sie einander, wie so oft, in Frau Senftlebens Küche gegenüber. »Was gibt’s Neues?« erkundigte sie sich.

      »Die Patientin, von der ich Ihnen neulich erzählt habe, hat ihren Wagen tatsächlich nicht selbst gefahren.« Er erzählte ihr die Geschichte in groben Zügen, und wie immer hörte ihm seine Nachbarin aufmerksam zu.

      »Dann kann die Polizei ja jetzt zufrieden sein«, bemerkte sie, als er schließlich schwieg. »Und der junge Mann hat hoffentlich eine Lektion fürs Leben gelernt und macht so etwas niemals wieder.« Nach einigem Nachdenken fügte sie hinzu: »Obwohl mir etwas nicht ganz gefällt an der Geschichte.«

      »Und was?« fragte Adrian interessiert. Frau Senftleben bemerkte oft unscheinbare Dinge, die anderen verborgen blieben.

      »Auch wenn er betrunken war, als er das alles getan hat, eine Entschuldigung ist das nicht. Er kann sie nicht wirklich lieben, sonst wäre er bei ihr geblieben – ob er sie nun für tot gehalten hat oder nicht.«

      »Das denke ich auch«, gab Adrian zu. »Und ich muß sagen, daß ich ziemlich verwirrt war, als ich festgestellt habe, daß die Patientin offenbar keine Schwierigkeiten hatte, ihm zu verzeihen. Aber die beiden waren ein Herz und eine Seele. Ich habe keine Spur einer Spannung zwischen ihnen entdecken können.«

      »Und wie sind Sie miteinander umgegangen?« erkundigte sich Frau Senftleben aufmerksam. »Liebevoll? Zärtlich?«

      Adrian zögerte. »So genau weiß ich das nicht, aber ich würde sagen. Ja, durchaus. Ich finde es jedenfalls schade, daß dieser andere junge Mann, der Bruder ihrer Freundin, offenbar keine Chance bei ihr hat.«

      Frau Senftleben lächelte weise. »Ich wäre da nicht so sicher an Ihrer Stelle, Adrian. Vielleicht erleben Sie in dieser Sache noch eine Überraschung.«

      Er machte ein verdutztes Gesicht. »Eine Überraschung? In welcher Hinsicht, Frau Senftleben?«

      Sie lachte vergnügt. »Das verrate ich Ihnen doch nicht, Sie Schlaumeier. Dann wäre es ja keine Überraschung mehr.«

      *

      »Ich verstehe dich nicht, Wolf«, sagte Mona unglücklich. »Warum willst du denn auf einmal so schnell wieder weg? Du warst so lange nicht in Berlin und wolltest eigentlich ein paar Monate bleiben, und jetzt kann es dir plötzlich nicht schnell genug gehen…«

      »Ich muß weg, Mona«, sagte Wolf mit zusammengebissenen Zähnen. »Glaub mir bitte, ich weiß, was ich tue.«

      »Aber du fährst doch noch einmal in der Klinik vorbei, um dich von Bettina zu verabschieden?« fragte sie.

      Er zögerte, nickte dann aber. »Ja, sicher«, antwortete er mit verschlossenem Gesicht. »Das mache ich auf dem Weg. Guck doch nicht so unglücklich, Mona.«

      »Ich bin unglücklich«, sagte sie leise, und jetzt hatte sie Tränen in den Augen. »Wundert dich das etwa? Wir haben uns so lange nicht gesehen, und es gibt so vieles, das ich mit dir zusammen machen wollte. Und jetzt…?« Sie ließ den Rest des Satzes in der Luft hängen.

      »Ja, jetzt ist alles anders«, sagte er, und diesmal klang seine Stimme hart. Er mußte versuchen, seine Haut zu retten, und Mona wußte das auch. Sie redete nicht dar­über, aber sie wußte, warum er so schnell wieder abreisen wollte.

      Er konnte nicht in Bettinas Nähe bleiben und zusehen, wie sie mit einem anderen Mann glücklich war. Einem Mann zudem, der die Schuld an ihrem schrecklichen Unfall trug. Nein, das war zuviel verlangt. Er würde sich von ihr verabschieden, und dann würde er versuchen, sich auf eine Baustelle versetzen zu lassen, die möglichst am anderen Ende der Welt lag. Er hoffte, daß ihm das gelingen würde.

      Seine Sachen waren bereits im Auto. Er umarmte seine Schwester und küßte sie liebevoll. »Danke für alles, Mona. Ich melde mich, sobald ich weiß, wie es weitergeht. Paß auf dich auf, hörst du? Und – auf Bettina auch.«

      Er drehte sich um und rannte fast nach draußen. Aber er war nicht schnell genug gewesen, sie hatte den Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, als er Bettinas Namen ausgesprochen hatte.

      *

      Bettina war allein und dachte nach, als es klopfte. Sie rief »Herein!« und blickte erwartungsvoll zur Tür. Als sie den Besucher erkannte, machte ihr Herz wie schon einmal diesen verrückten kleinen Satz, und auf einmal war sie ganz atemlos vor Freude. »Wolf!« rief sie. »Wie schön, daß du kommst.«

      Er kam lächelnd näher, strich ihr zur Begrüßung liebevoll und ganz zart über eine Wange und setzte sich. »Ich komme, um mich zu verabschieden«, sagte er ruhig.

      Er sah den Schrecken in ihren Augen und fragte sich verwirrt, was das wohl zu bedeuten hatte. War es ihr denn nicht gleichgültig, ob er da war oder nicht? Mit neunundzwanzig Jahren brauchte man doch seinen großen Bruder nicht mehr ständig in der Nähe zu haben.

      »Du willst abreisen?« fragte sie tonlos. »Aber ich dachte, du bleibst länger dieses Mal.«

      »Das wollte ich eigentlich auch, aber meine Pläne haben sich inzwischen geändert. Doch ich wollte nicht fahren, ohne dich noch einmal gesehen zu haben, Bettina.«

      Sie rang um ihre Fassung. Er fuhr wieder ab, und sie hatte keine Möglichkeit, ihm zu sagen… ihm zu sagen…

      »Bettina!« rief er bestürzt. »Warum weinst du denn?«

      »Weil du wegfährst«, schluchzte sie. »Jetzt, wo ich endlich weiß, daß du gar nicht wie ein Bruder für mich bist, und wie dumm ich war, daß ich das nicht schon längst begriffen habe. Mit Jens und mir, das ist vorbei, Wolf. Ich habe ihm ganz leicht verzeihen können, was er getan hat, weil er mir wirklich gleichgültig ist, kannst du das verstehen? Es hat mich nicht mehr berührt, er muß jetzt selbst zusehen, wie er mit seinem Leben fertig wird. Und seit mir das klargeworden ist, fühle ich mich wie ein neuer Mensch, obwohl ich hier im Bett liege und mich nicht rühren kann. Wahrscheinlich sehe ich ja auch schrecklich aus, aber wenn du jetzt fährst, dann kann ich überhaupt nicht mehr versuchen, dich davon zu überzeugen, daß ich vielleicht doch die richtige Frau für dich bin. Früher hast du das immer geglaubt, weißt du das noch?«

      Zu ihrem größten Erstaunen lachte er, und sein sonst so verschlossenes Gesicht veränderte sich dadurch völlig. Er sah auf einmal viel jünger aus, seine dunklen Augen blitzten, und unzählige Fältchen umrahmten sie. »Das glaube ich immer noch, Bettina. Ich dachte nur, du würdest dich dieser Ansicht niemals mehr anschließen, und deshalb wollte ich abreisen. Ich dachte, du und Jens, das sei eine ganz feste Sache.«

      »Meinetwegen wolltest du abfahren, Wolf?« Jetzt flüsterte sie. »Wenn ich jetzt nichts gesagt hätte, dann wärst du einfach gefahren?«

      Er beugte sich über sie und gab ihr einen Kuß – ganz zart nur, weil er Angst hatte, ihr weh zu tun. »Vielleicht hätte ich es ja doch nicht geschafft«, gestand er, »ohne dich noch einmal zu fragen, ob du nicht endlich einen Mann in mir sehen möchtest und nicht länger nur einen großen Bruder.«

      Sie schloß die Augen. »Daß Glück und Unglück so nah beieinander liegen können«, sagte sie leise, »das habe ich nicht gewußt.«

      »Ich liebe dich, Bettina«, sagte er, und jetzt klang er fast feierlich. »Ich habe gedacht, es sei mir gelungen, dich zu vergessen, aber als ich dich wiedersah, wußte ich sofort, daß das ein Irrtum gewesen ist.«

      »Ich liebe