dachte einen Augenblick nach. »Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich ehrlich. »Ich wußte am Anfang ja gar nicht, was los war. Und ich konnte mir nicht vorstellen, daß du mich einfach im Stich gelassen hattest. Also habe ich vorsichtshalber nichts gesagt.«
»Du konntest dir nicht vorstellen, daß ich dich im Stich lassen würde?« Seine Stimme klang heiser, und er stützte den Kopf in beide Hände. »Was habe ich da nur getan, Tina?«
»Du warst betrunken«, stellte sie sachlich fest. »Am besten, du gehst jetzt gleich zur Polizei, Jens. Vielleicht wirkt sich das irgendwie zu deinen Gunsten aus.«
»Ich kann es immer noch nicht glauben, daß du mir keine Vorwürfe machst«, sagte er stockend. »Daß du mich nicht einfach hinauswirfst. Ich hab’ das nicht verdient, Tina!«
»Nein«, sagte sie freimütig, »das hast du wirklich nicht. Aber ich sehe doch, daß es dir leid tut. Außerdem fühle ich mich merkwürdigerweise wie befreit.«
»Von mir?« fragte er zutiefst bestürzt.
»Wenn du es so willst. Ja, auch von dir. Ich habe mir selbst etwas vorgemacht, und das ist nun vorbei. Ich bin dir nicht böse, Jens, wirklich nicht.«
»Ich bin ein Idiot!« sagte er heftig. »Ich habe es mir selbst zuzuschreiben, daß ich dich verloren habe.«
»Ja, das hast du«, gab sie zu. »Aber du liebst mich ja nicht, Jens. Du bist jetzt nur unglücklich, weil du die schwere Zeit, die vor dir liegt, allein durchstehen mußt.«
Er machte ein betroffenes Gesicht, aber er wußte, daß sie recht hatte. Doch das machte es eigentlich nur noch schlimmer. Wieder wurden seine Augen feucht. »Ich weiß nicht, wie ich das machen soll«, sagte er leise. »Du bist immer für mich dagewesen, Tina.«
Ihre Augen blickten sanft, aber ihre Stimme klang sehr klar und energisch, als sie sagte: »Jetzt nicht mehr, Jens. Das ist vorbei, ein- für allemal.«
*
»Was sagst du da? Dieser Kerl hat gewagt, bei dir anzurufen, und du hast ihm auch noch Auskunft gegeben, anstatt sofort die Polizei zu benachrichtigen?« Wolf Mickwitz war außer sich und rannte in Monas Wohnzimmer wie ein gefangenes Raubtier hin und her.
»Jetzt laß mich doch erst einmal ausreden«, bat Mona, doch Wolf war dafür viel zu aufgeregt.
»Ich kann es gar nicht glauben«, schimpfte er weiter. »Was hast du ihm denn sonst noch gesagt – außer, daß Bettina am Leben ist?«
»Ich habe ihm gesagt, daß sie in der Kurfürsten-Klinik liegt«, antwortete Mona wahrheitsgemäß, und mit dieser Antwort brachte sie ihren Bruder dazu, schlagartig stehenzubleiben.
»Du hast ihm…« Er starrte sie fassungslos an. »Bitte, sag mir, daß das nicht stimmt«, bat er.
»Es stimmt!« beharrte Mona. »Und wenn du mir jetzt nicht endlich ruhig zuhörst, ohne mich ständig zu unterbrechen, dann sage ich kein einziges Wort mehr, Wolf.«
Er blieb stumm, blickte sie nur an. Seufzend nahm sie ihren Bericht wieder auf. »Ich habe zuerst genauso reagiert wie du, ich war wirklich völlig außer mir darüber, daß er gewagt hat, hier anzurufen. Aber dann habe ich gemerkt, daß er wirklich durcheinander war. Er war betrunken, als der Unfall passiert ist, und er konnte sich nicht mehr genau an alles erinnern. Er hat gedacht, Bettina sei tot, und da ist er voller Panik losgerannt. Er hat jemanden gefunden, der ihn mitgenommen hat nach Berlin. Dann ist er zu einem Freund gefahren, der ihn aber praktisch rausgeworfen hat, als er die Geschichte gehört hat. Anschließend ist er nach Hause gefahren, hat ein paar Sachen gepackt und ist an die Ostsee gefahren. Die ganze Zeit hat er gewissermaßen wie unter Zwang gehandelt. Und als er dann endlich ein Zimmer genommen hatte und am Strand entlanggelaufen war, ist er endlich halbwegs zu Bewußtsein gekommen. Da war er auch wieder nüchtern, und er hat endlich kapiert, daß er alles falsch gemacht hat.«
»Reichlich spät«, brummte Wolf, aber er hörte jetzt wenigstens zu und rannte nicht mehr nervös hin und her.
»Ja«, gab Mona zu, »reichlich spät, das sieht er auch so. Aber du kannst mir glauben, daß er völlig durcheinander war. Ich mußte ihm keine Vorwürfe mehr machen, das hatte er schon selbst getan. Und wenn er sich der Polizei stellt, dann wird es noch sehr unangenehm für ihn werden, das weiß er auch. Aber vorher wollte er eben unbedingt mit Bettina reden – wer bin ich denn, daß ich sage, das dürfe er nicht? Wenn sie ihn nicht sehen und nicht mit ihm sprechen will, dann wird sie ihm das schon sagen. Oder die Ärzte lassen ihn gar nicht zu ihr.«
»Die Ärzte werden überhaupt nicht erfahren, daß er bei ihr ist«, meinte Wolf. »Es sei denn, er gibt sich als ihr Verlobter aus.«
»Das geht uns nichts an, Wolf«, sagte Mona ruhig. »Es ist Bettinas Entscheidung, wie sie sich Jens gegenüber verhält, nicht deine oder meine. Und wenn sie ihm verzeiht, was er getan hat, dann ist das auch ihre Sache.«
Er preßte die Lippen ganz fest zusammen, um nicht lauthals zu fluchen. Sie hatte recht, und er wußte es. Das war das Allerschlimmste an der ganzen Sache. Bettina würde dem Kerl verzeihen – und niemand konnte das verhindern.
*
Dr. Adrian Winter wollte noch einmal nach Bettina Wördemann sehen. Ihr Fall ließ ihm einfach keine Ruhe. Je länger er darüber nachdachte, desto rätselhafter erschien ihm ihr Verhalten. Auf dem Weg zur Intensivstation traf er die beiden ihm nun schon bekannten Polizeibeamten und begrüßte sie höflich, aber ohne sein Erstaunen zu verbergen. »So spät noch im Dienst, meine Herren?«
»Ja«, antwortete einer der beiden. Adrian wußte nicht, welcher es war, sie sahen sich einfach zu ähnlich. »Wir müssen noch einmal mit Frau Wördemann sprechen. Wir sind mittlerweile sicher, daß sie den Wagen nicht gefahren hat. Also verbirgt sie etwas vor uns. Und es ist immerhin möglich, daß sie eine Straftat deckt.«
»An was für eine Straftat denken Sie?« erkundigte sich Adrian.
Doch er erhielt keine Antwort. Der Beamte sagte steif: »Darüber können wir leider keine Auskunft geben, Herr Dr. Winter. Glauben Sie mir, uns macht es auch keinen Spaß, eine schwerverletzte Frau zu verhören.«
Adrian nickte, das konnte er sich gut vorstellen. »Dann verschiebe ich meinen Besuch bei Frau Wördemann besser auf später«, meinte er nachdenklich. »Ich störe ja nur, wenn Sie sie verhören wollen.«
»Kommen Sie ruhig mit. Sie können ja zuerst ein wenig mit ihr reden und uns dann mit ihr allein lassen.«
Adrian überlegte, warum der Beamte das wohl gesagt hatte. Wollte er, daß der Arzt der Patientin das Mißtrauen gegen die Polizeibeamten nahm? Er zuckte mit den Schultern und beschloß, das Angebot anzunehmen. Zumindest konnte er auf diese Weise feststellen, ob Bettina Wördemanns Gesundheitszustand weiterhin zufriedenstellend war. Das offene Gespräch mit ihr würde er auf jeden Fall ein anderes Mal führen müssen.
Sie hatten das Zimmer der Patientin erreicht und betraten es nach kurzem Anklopfen. Zu ihrem größten Erstaunen saß ein unbekannter Mann an Bettina Wördemanns Bett. Er stand sofort auf, als er die drei Männer hereinkommen sah. Adrian hatte den Eindruck, daß er blaß wurde, aber das konnte auch an der Beleuchtung im Zimmer liegen.
Der Mann sah die beiden Beamten an, schluckte und sagte: »Ich bin froh, daß Sie da sind, als nächstes wäre ich nämlich zu Ihnen gekommen. Mein Name ist Jens Banter, ich habe den Unfallwagen gefahren. Ich war betrunken. Alles, was geschehen ist, ist meine Schuld.«
*
Am nächsten Tag erwachte
Adrian erst am späten Nachmittag, er hatte so gut geschlafen wie schon lange nicht mehr. Genüßlich dehnte und streckte er sich in seinem Bett und dachte darüber nach, daß sich die Rätsel um Bettina Wördemann nun also gelöst hatten. Die beiden Beamten waren am Abend zuvor ebenso verblüfft gewesen wie er über das unerwartete Geständnis von Jens Banter. Bettina Wördemann hatte ihm offenbar verziehen, denn zwischen den beiden herrschte großes Einvernehmen, wie er sofort festgestellt hatte.
Schade, dachte er, denn er fand Wolf