»Ich will hier die Frau fürs Leben finden, was dachtest du denn? Sonst habe ich überhaupt nichts vor. Leider ist Frau Senftleben nicht ganz im richtigen Alter, sonst wäre meine Suche bereits beendet.«
»Ach, und ich werde gar nicht gefragt?« Adrians Nachbarin amüsierte sich sehr über die beiden jungen Ärzte. »Das könnte Ihnen so passen, Herr Sommer! Meine Männer suche ich mir immer noch selbst aus!«
»Frau Senftleben!« rief Adrian erstaunt. »So kenne ich Sie ja gar nicht!«
»Das müssen Sie auch nicht«, erklärte sie. »Für manches sind Sie einfach noch zu jung!«
Martin Sommer fing schallend an zu lachen, er konnte sich kaum wieder beruhigen. Es gab noch mehr, worüber sie sich an diesem Morgen amüsierten. Insgesamt war es ein überaus fröhliches Frühstück, und Adrian bedauerte sehr, es nach einem Blick auf die Uhr irgendwann abbrechen zu müssen.
»Ich muß los«, erklärte er.
»Aber Sie sind doch erst mitten in der Nacht gekommen!« protestierte Frau Senftleben.
»Das war mein Privatvergnügen«, erläuterte Adrian. »Ich hatte keinen Nachtdienst, auch wenn die Kollegen froh waren, daß ich geblieben bin.«
»Das ist wirklich ein ungesundes Leben!« schimpfte seine Nachbarin kopfschüttelnd. »Ist kaum zu Hause, da muß er schon wieder weg!«
»Tut mir wirklich leid, gerade jetzt, wo es am schönsten ist.« Adrian machte ein bedauerndes Gesicht. »Bleib ruhig noch, Martin, wenn du willst.«
»Nein, nein!« Sein Freund erhob sich bereits. »Ich fahre mit dir, wie besprochen. Frau Senftleben, darf ich meine Sachen noch bei Ihnen lassen und sie später abholen? Ich muß mir sowieso noch überlegen, wie ich mich für Ihre Gastfreundschaft revanchieren kann.«
»Gar nichts müssen Sie, Herr Sommer«, erklärte sie resolut. »Ich habe lange nicht mehr so viel gelacht wie heute morgen, und das verdanke ich nur Ihnen und Herrn Winter. Also bitte, hören Sie auf, von ›revanchieren‹ zu reden, wenn Sie es sich nicht gleich wieder mit mir verderben wollen!«
»Das will ich ganz bestimmt nicht!« beteuerte Martin Sommer, und Adrian zog ihn nun
energisch aus der Wohnung.
»Hör auf, mit Frau Senftleben zu flirten, sie hat doch gesagt, sie nimmt dich nicht!« betonte er.
Kichernd schloß die alte Dame die Tür hinter ihnen.
»Ich bin dreißig Jahre zu spät auf die Welt gekommen!« murmelte Martin Sommer. »Dreißig Jahre früher, und ich hätte sie so lange bestürmt, bis sie meine Frau geworden wäre.«
»Komm jetzt endlich, du Quatschkopf!« sagte Adrian freundlich. »Ich will deinetwegen nicht zu spät kommen.«
»Dreißig Jahre!« wiederholte Martin Sommer und breitete die Arme aus, als wolle er die ganze Welt umschließen. Aber nach einem Blick in das Gesicht seines Freundes ließ er sie sinken, brummte: »Schon gut, schon gut« und folgte ihm.
*
»Pockenverdacht?« fragte Thomas Laufenberg und setzte sich kerzengerade auf. »Was sagen Sie da?« Seine rechte Hand, die den Telefonhörer hielt, verkrampfte sich, ohne daß er es merkte. Er lauschte der Stimme am anderen Ende und fragte dann: »Aber ich verstehe das Ganze nicht recht. Die Patientin hat also Windpocken, ja? Und wer hat das Gerücht in die Welt gesetzt, es könne sich vielleicht um Pocken handeln? Das ist doch unverantwortlich!«
Wieder lauschte er. »Es ist aber ein bißchen viel verlangt«, wandte er schließlich ein, »auf so vagen Verdacht hin Pockenalarm auszulösen, wenn man die Patientin noch nicht einmal gesehen hat, oder? Hat denn der Kollege, der sich im Flugzeug befand, überhaupt mit Dr. Winter gesprochen?«
Er hörte zu, wurde aber zunehmend ungeduldig. Er kannte den Amtsarzt und wußte, daß dieser nicht einfach im Umgang war. Aber diesmal hörte er sich erstaunlich milde an. Zwar zählte er ausführlich auf, was man im Falle eines Pockenverdachts alles hätte tun müssen, aber er schien nicht ernstlich daran interessiert zu sein, Dr. Adrian Winter und eine Schwester Claudia, die ihm, Laufenberg, gar nicht persönlich bekannt war, zu kritisieren. Normalerweise konnte es ihm niemand recht machen, doch er hielt sich jetzt auffallend zurück.
Das Gespräch dauerte weitere zehn Minuten, bis er endlich das Gefühl hatte, halbwegs im Bilde zu sein. Was für eine merkwürdige Geschichte! Er bedankte sich bei dem Amtsarzt und legte auf. Darüber würde er mit Dr. Winter sprechen müssen, und diese Aussicht allein schon ließ ihn seufzen. Offenbar hatte dieser sich richtig verhalten, aber er wollte doch noch einmal aus seinem Munde hören, was sich da in der vergangenen Nacht abgespielt hatte.
Er wollte schon erneut zum Telefon greifen, überlegte es sich jedoch anders. Warum ging er nicht persönlich auf der Isolierstation vorbei? Er fühlte sich ohnehin häufig genug zu weit vom medizinischen Personal entfernt und hatte das Gefühl, daß das die bestehende Kluft nur vergrößerte.
Er sprang auf, denn er wußte aus Erfahrung, daß es nicht gut war, wenn er über einen solchen Entschluß allzu lange nachdachte. Er mußte ihn sofort in die Tat umsetzen, bevor ihm lauter Einwände kamen, die ihn daran hindern würden, sein Büro zu verlassen.
*
»Frau Matthäus?« fragte Adrian leise. »Können Sie mich hören?«
»Ja«, antwortete sie. »Aber ich fühle mich nicht gut.«
»Kein Wunder, Sie sind ziemlich krank. Aber keine Sorge, es wird Ihnen bald besser gehen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich bin Arzt, entschuldigen Sie, das hätte ich Ihnen gleich sagen sollen. Mein Name ist Adrian Winter. Sie sind in der letzten Nacht in die Kurfürsten-Klinik eingeliefert worden.«
Martin Sommer war ebenfalls anwesend, aber er hielt sich im Hintergrund. Aufmerksam betrachtete er die Patientin, sagte jedoch kein Wort. Schließlich war er lediglich inoffiziell hier.
»Was ist mit meinen Händen?« fragte Inga.
»Mit Ihren Händen?« Es dauerte einen Augenblick, bis Adrian verstand, was sie ausdrücken wollte. »Ach so, Sie meinen, weil sie verbunden sind?«
Sie nickte.
»Das haben wir gemacht, weil Sie sich immer kratzen wollen«, erklärte er. »Sie haben die Windpocken.«
»Windpocken?« fragte sie ungläubig. »Das ist doch eine Kinderkrankheit.«
»Normalerweise ja. Aber auch Erwachsene können Windpocken bekommen, wenn sie sie als Kind nicht gehabt haben, und das war bei Ihnen ganz offenbar so. Jedenfalls hat Ihre Schwester das gesagt.«
»Lolly…«, hauchte Inga leise. Allmählich fiel ihr alles wieder ein. Gestern war sie noch in Urlaub gewesen in Südafrika – mit Holger. Es schien schon eine Ewigkeit her zu sein. Und in Südafrika war sie offenbar auch nicht mehr. Was hatte der Arzt gesagt? Kurfürsten-Klinik?
»Bin ich wieder in Deutschland?« fragte sie.
»Ja, in Berlin.« Nach einer Pause wiederholte er: »In der Kurfürsten-Klinik in Berlin. Sie sind gestern abend aus dem Urlaub zurückgekommen. Erinnern Sie sich daran?«
Sie dachte nach und schüttelte dann den Kopf. »Nein, nicht richtig.«
»Das macht nichts«, meinte er beruhigend. »Es muß ein schrecklicher Flug für Sie gewesen sein, also ist es sicher besser, daß Sie sich kaum daran erinnern.«
»Wo ist sie?« fragte Inga. »Meine Schwester, meine ich? Und wo ist mein Freund? Ich habe gar nicht gemerkt, daß man mich hierher gebracht hat.«
»Ihre Schwester und Ihr Freund waren heute nacht hier und wollten Sie sehen, aber ich habe sie nach Hause geschickt. Ihr Zustand hat mir nicht gefallen, ich wollte Sie zuerst stabilisieren. Wir haben das Fieber gesenkt, und Sie haben ein paar Infusionen bekommen – es wird Ihnen bald wieder besser gehen.«
»Hoffentlich«, murmelte sie. »Typisch für mich, eine