Nina Kayser-Darius

Kurfürstenklinik Paket 1 – Arztroman


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auch Arzt, arbeitet aber nicht an dieser Klinik. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, daß ich ihn mitgebracht habe.«

      Martin trat einen Schritt nach vorn und lächelte die Patientin an.

      »Haben Sie etwa noch nie Windpocken gesehen, Herr Dr. Sommer?« murmelte Inga, während ihr die Augen wieder zufielen. »Tut mir leid, ich bin… sehr müde.«

      »Kein Problem«, erwiderte Martin Sommer, dann verließen die beiden Freunde den Raum.

      »Mit der möchte ich mal reden, wenn sie gesund ist«, sagte Martin lächelnd. »Wenn man so krank ist und sich noch selbst auf den Arm nehmen kann, muß man ein großartiger Mensch sein.«

      »Ja, den Eindruck habe ich auch«, stimmte Adrian zu. »Ich frage mich bloß, warum sie so einen unsympathischen Freund hat.«

      »Hat sie das?« fragte Martin, und Adrian fiel es nicht auf, daß er bemerkenswert viel Interesse für die Patientin zeigte. Bevor er jedoch antworten konnte, sah er einen Mann die Station betreten und direkt auf ihn zukommen.

      »Lieber Himmel, was will der denn hier?« murmelte er zwischen zusammengebissenen Zähnen.

      »Wer?« fragte Martin.

      »Guten Morgen, Herr Dr. Winter«, sagte Thomas Laufenberg freundlich und wandte sich dann Martin Sommer zu. Er streckte die Hand aus und erklärte: »Wir kennen uns noch nicht, mein Name ist Laufenberg.«

      »Sommer«, antwortete Martin. »Ich bin kein Arzt an dieser Klinik, falls Sie das denken. Ich bin nur auf Besuch hier, und mein Freund Adrian Winter zeigt mir gerade das Krankenhaus. Hochinteressant, was ich bisher gesehen habe.«

      »Wirklich? Finden Sie? Das interessiert mich sehr«, antwortete Thomas Laufenberg, und bevor Adrian es verhindern konnte, waren die beiden Männer in ein angeregtes Gespräch vertieft. Mißmutig lief er neben ihnen her, machte aber keine Anstalten, sich an der Unterhaltung zu beteiligen. Ihm fiel nicht auf, daß Martin ihn ab und zu mit einem fragenden Blick streifte.

      Schließlich wandte sich der Verwaltungsdirektor an ihn. »Ich würde gern mit Ihnen über den Vorfall von heute nacht sprechen, Herr Dr. Winter«, meinte er höflich. »Der Amtsarzt hat mich angerufen, und ich hätte gern Ihre Version der Dinge gehört.«

      »Ich geh einen Kaffee trinken«, sagte Martin eilig, der merkte, daß er bei diesem Gespräch überflüssig war. »Wir sehen uns später, Adrian. Auf Wiedersehen, Herr Laufenberg, hat mich sehr gefreut, Sie kennenzulernen.«

      »Mich auch!« versicherte der Direktor und schüttelte Adrians Freund zum Abschied herzlich die Hand. Dann sagte er: »Und wir gehen wohl am besten in mein Büro.«

      Adrian folgte ihm mit verschlossenem Gesicht. Er hatte ja bereits geahnt, daß es Ärger geben würde.

      *

      Holger schlief noch fest, als das Telefon klingelte. Eigentlich hatte er keine Lust, schon aufzustehen, aber wer immer versuchte, ihn zu erreichen, erwies sich als äußerst hartnäckig. Endlich quälte er sich aus dem Bett, griff nach dem Hörer und sagte unwillig: »Hallo?«

      »Holger? Hier ist Lolly. Ich will nur wissen, ob du mit ins Krankenhaus kommst.«

      »Ich… ich bin noch gar nicht richtig wach«, erwiderte er und fügte schnell hinzu: »Ich konnte erst überhaupt nicht einschlafen, und jetzt bin ich völlig kaputt.« Das war glatt gelogen, er hatte nicht einmal zehn Minuten wachgelegen, als er in der vergangenen Nacht ins Bett gestiegen war, aber das ging Ingas Schwester nichts an, fand er.

      Wieso rief sie ihn überhaupt an? Sie konnte doch allein in die Klinik gehen und brauchte gar nicht zu wissen, wann er Inga besuchen wollte. Er jedenfalls legte keinerlei Wert auf ihre Begleitung.

      »Na gut, dann fahre ich allein«, sagte Lolly in diesem Augenblick. »Ich wollte es nur wissen. Sonst alles in Ordnung?«

      »Soweit ja«, antwortete er widerstrebend. »Aber es war wirklich ein ziemlich blöder Urlaubsabschluß.«

      »Für Inga sicher noch mehr als für dich«, sagte sie ziemlich spitz, und er biß sich auf die Lippen.

      »Klar, das meinte ich ja. Ich fahr später ins Krankenhaus«, brummte er und legte auf. Ärgerlich fluchte er vor sich hin. Jetzt war er natürlich wach und würde auch nicht wieder einschlafen können. Dumme Kuh, dachte er. Und warum mußte sie immer solche bösen Bemerkungen machen? Hatte er etwa nicht unter Ingas Krankheit zu leiden gehabt? Wer hatte sie denn in den Bus verfrachtet und im Flugzeug auf sie aufgepaßt? Das war doch wohl er gewesen und niemand anders!

      Er stolperte ins Bad. Jedenfalls würde er sich jetzt zunächst einmal viel Zeit lassen, damit er Lolly in der Klinik nicht mehr begegnete. So gesehen war es auch wieder gut gewesen, daß sie ihn angerufen hatte.

      *

      Adrian kam zum Ende seines Berichts über die Ereignisse der vergangenen Nacht. »Na ja, daß ich den Amtsarzt dann noch angerufen habe, war eigentlich eine reine Vorsichtsmaßnahme. Man könnte auch sagen, es war übervorsichtig. Aber da ich ziemlich in der Luft hing und außerdem noch neu auf der Isolierstation bin, habe ich gedacht, es schadet sicher nicht. Hat er sich über mich beschwert?«

      Thomas Laufenberg schüttelte den Kopf. »Das ist es ja, was mich am meisten wundert. Er beschwert sich sonst eigentlich immer. Aber diesmal muß ihn tatsächlich irgend etwas milde gestimmt haben.«

      »Ich war es mit Sicherheit nicht, er hat mich sofort auf die Palme gebracht.« Das war Adrian herausgerutscht, bevor er es verhindern konnte. »Es war wohl eher Schwester Claudia, die sich durch ihn überhaupt nicht hat einschüchtern lassen. Er hat uns nämlich ellenlange Vorträge gehalten, was wir eigentlich bei Pockenverdacht alles hätten unternehmen müssen. Und sie hat ihm dann ganz ruhig mitgeteilt, daß all das eigentlich der Kollege im Flugzeug hätte veranlassen müssen. Außerdem habe kein wirklicher Pockenverdacht bestanden, da diese Krankheit inzwischen ausgestorben sei. Wir hätten also nur reine Vorsichtsmaßnahmen ergriffen.«

      Er grinste bei der Erinnerung, fuhr dann jedoch selbstkritisch fort: »Natürlich war das nicht ganz logisch. Entweder hat man wirklich eine Befürchtung, dann muß man auch konsequent sein – oder man hat sie eben nicht, dann hätten wir, streng genommen, auch den Amtsarzt nicht rufen müssen. Aber in so einer Nacht tut man vielleicht auch mal etwas Unlogisches.«

      »Ich bin froh, daß Sie ihn gerufen haben«, erwiderte der Verwaltungsdirektor zu Adrians größter Verblüffung. »Es tut ihm gut, wenn er sich ab und zu mal richtig wichtig machen kann. Und es wäre gar nicht auszudenken gewesen, wenn an diesem Verdacht etwas Wahres gewesen wäre und wir ihn dann zu spät informiert hätten. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, daß Sie sich eines Versäumnisses schuldig gemacht hätten, Herr Dr. Winter.«

      Im ersten Augenblick traute

      Adrian seinen Ohren nicht. Kein Streit diesmal? Keine Auseinandersetzung? »Um so besser«, murmelte er, »wenn Sie das so sehen. Für mich war es ein bißchen viel – gleich zu Beginn meiner Zeit auf der Isolierstation.«

      »Aber das wollten Sie doch, oder?« erkundigte sich Thomas Laufenberg lächelnd. »Sie wollten Erfahrungen sammeln – nun, Sie sind gerade auf dem besten Wege, wenn ich das richtig sehe.«

      Adrian stand auf. »Dann geh ich mal wieder«, sagte er.

      »Alles Gute für die Patientin. Und grüßen Sie die mutige Schwester Claudia von mir. Schade, daß ich sie persönlich noch nicht kenne. Aber das läßt sich ja bei Gelegenheit nachholen.«

      Adrian nickte nur und verließ das Büro. Er fühlte sich ein wenig betäubt. Das fehlte mir gerade noch, dachte er, daß ich anfange, den Kerl sympathisch zu finden!

      *

      Lolly ärgerte sich auf dem ganzen Weg zum Krankenhaus über Ingas Freund Holger. Wie war ihre liebenswerte Schwester nur an einen so wenig einfühlsamen und egoistischen Menschen geraten? Lollys ohnehin nicht sehr schmeichelhafte Meinung von Holger hatte sich jedenfalls nach dem Telefongespräch an diesem Morgen noch weiter verschlechtert.

      Auf der Isolierstation erwartete