Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


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nichts gegen die Gültigkeit der Moralgesetze, wenn diese in unserer Vernunft begründet sind. Im allgemeinen gilt von den Beispielen die Regel: exempla illustrant, non probant. (Beispiele erläutern, aber beweisen nicht).

      Beleidigung ist die Kränkung oder die Zufügung eines Leides oder die Verletzung der Ehre eine Menschens durch Worte oder Handlungen (iniuria verbalis oder realis). Je nachdem sie mit oder ohne Absicht geschieht, heißt sie dolós oder kulpós. Gesühnt werden sollte die Beleidigung nur durch richterliche Bestrafung, Abbitte, Widerruf und Ehrenerklärung, nicht aber, wie es noch immer bisweilen geschieht, durch das Duell. Das Duell als Sühnung der Beleidigung ist vom sittlichen und rechtlichen Standpunkte aus gleich verwerflich.

      Bellscher Lehrsatz ist die von Ch. Bell (1774-1842) gemachte Entdeckung, daß die Nerven eine doppelte Leitungsrichtung haben, daß die vorderen Wurzeln der aus dem Rückenmark hervortretenden Nerven aus motorischen, vom Gehirn wegleitenden, die hinteren aus sensiblen, zum Gehirn hinleitenden Nerven bestehen (Charles Bell, The nervous system of the human body. London 1830, deutsch von Romberg 1836). Diese Behauptung wurde die Basis der Nervenphysiologie. Vgl. Wundt, Grundzüge der physiol. Psychologie I, S. 102.

      Beobachtung (observatio) heißt allgemein die absichtliche Hinlenkung gespannter Aufmerksamkeit (s. d.) auf einen Gegenstand, dann, auf naturwissenschaftlichem Gebiete, die methodisch, d. h. nach bestimmten Gesichtspunkten und Regeln vorgenommene Untersuchung desselben, wie er sich unmittelbar darbietet, ohne daß an demselben Veränderungen vorgenommen werden. Daher definiert Kant: »Erfahrung methodisch anstellen heißt (allein) beobachten« (Gebrauch teleol. Prinzipien in der Philos., Kants Werke, herausgegeben von v. Kirchmann VIII, S. 147). Sobald man dagegen das Objekt der Forschung willkürlich verändert oder in gewisse zu seiner Beobachtung geeignete Lagen bringt, geht die Beobachtung in das Experiment über. Die verschiedenen Wissenschaften verhalten sich verschieden zu Beobachtung und Experiment. Der Astronom z. B. kann nur beobachten, nicht experimentieren, weil er zwar seine Instrumente umlegen und ändern, die Zeiten und Orte auswählen, aber die Gestirne selbst nicht künstlichen Veränderungen unterwerfen kann, während der Chemiker, Physiker, Botaniker, Zoologe usw. durch von ihm selbst ausgehende Änderung der Stoffe Experimente anstellt. Beobachtung und Experiment sind die Hauptmittel der exakten Forschung. Hierauf hat zuerst Bacon von Verulam (1561-1626) hingewiesen, der deshalb auch Vater der Naturwissenschaft genannt wird (De dignitate et augmentis scientiarum 1623, und Novum organum 1620). Vgl. auch Sénébier, Sur l'art d'observer et de faire des expériences 2. Aufl. Genf 1502, deutsch von Gmelin 1776. John Herschel, A preliminary discourse on the study of natural philosophy. Lond. 1831. John Stuart Mill, a system of Logic ratiocinative and inductive. London 1843, deutsch n. d. 5. Aufl. 1862. W. Wundt, System d. Logik, 2 Teile, 1881.

      Beschaulichkeit (contemplatio) heißt in der Philosophie zunächst die Beschäftigung des Geistes mit sich selbst, dann jede theoretische, spekulative Beschäftigung; im Leben ist die Beschaulichkeit die Begleiterin der Askese (s. d. W.).

      Bescheidenheit, eigentl. der Verstand, das gebührliche, verständige, kluge Handeln (so in Vrîdancs Bescheidenheit ca. 1229), ist die aus natürlicher, richtiger Selbsterkenntnis entspringende Mäßigung in der Selbstschätzung und den Ansprüchen. Sie äußert sich in der bereitwilligen Anerkennung der Verdienste anderer und in der leichten Verzichtleistung auf eigene Ehrenbezeugungen und persönlichen Gewinn. Neben der natürlichen Bescheidenheit gibt es auch eine künstliche, auf Eitelkeit oder Kriecherei beruhende; auf solche affektierte Bescheidenheit läßt sich Goethes Wort aus dem Gedichte: »Rechenschaft« anwenden: »Nur die Lumpe sind bescheiden«. Wahre Bescheidenheit pflegt hingegen die Begleiterin großer Verdienste zu sein. Was die Bescheidenheit im Verhältnis der Menschen zueinander ist, ist die Demut im Verhältnis des Menschen zu Gott.

      Beschleunigung s. Acceleration, Bewegung.

      Beschreibung (descriptio) ist die geordnete Aufzählung der charakteristischen Merkmale eines Begriffes oder Dinges. Die Stoiker definierten sie als summarische Definition eines Gegenstandes (hypographê de esti logos typôdôs eisagôn eis ta pragmata ê horos haplousteron tên tou horou dynamin prosenênegmenos, Diog. Laert. VII § 60). Kant definiert sie als die Exposition eines Begriffes, sofern sie nicht präzis ist (Logik § 5). Viele moderne Naturforscher und Philosophen sind der Ansicht, sie hätten Dinge und Erscheinungen nur zu beschreiben, nicht aber zu erklären. (Siehe Definition).

      beseelt (lat. animatus, gr. empsychos) heißt im engeren Sinne alles, was eine Seele hat, d. h. der Mensch und das Tier. Da es aber schwer ist, eine Grenze vom Tiere aus nach unten zu ziehen, so liegt es nahe auch scheinbar leblosen Wesen eine Seele zuzuschreiben. Daher schrieb Leibniz (1646-1716) auch den Pflanzen und überhaupt allen wirklichen Wesen, die er Monaden, oder geradezu Seelen (les âmes) nannte, Beseeltheit zu. Neuere Naturforscher sind ihm vielfach gefolgt. Die Alten hielten auch zum Teil die Weltkörper für beseelte Tiere. Vgl. Seele, Pflanzenseele.

      sich besinnen heißt eine Vorstellung, die man gehabt hat, absichtlich durch Nachdenken wieder ins Bewußtsein zurückrufen und sich der Übereinstimmung der ursprünglichen Vorstellung und der Erinnerungsbilder bewußt werden. Vgl. Gedächtnis.

      besonnen (eigentl. bei Sinnen) heißt derjenige Mensch, der sich seiner Aufgaben und Pflichten, sowie seiner Kräfte und Grenzen bewußt, daher frei von Unruhe, Leidenschaftlichkeit, Einseitigkeit und Verworrenheit ist. Schopenhauer (1788-1860) nennt die Besonnenheit die Wurzel aller theoretischen und praktischen Leistungen. Mit dem Verlust der Besonnenheit büßt der Mensch das richtige Urteil über sich selbst und über die Verhältnisse, die Ruhe des Gemüts und die Konsequenz im Handeln ein. Die Besonnenheit (Gesundsinnigkeit, sôphrosynê) gehört bei Platon (427-347) zu dem engsten Kreise der Tugenden und ist die Tugend des begehrenden Teiles der Seele (epithymêtikon).

      Beständigkeit ist die Gleichförmigkeit unserer Gesinnung und unserer Denk- und Handlungsweise. Sie entspringt zum Teil aus dem Temperament, zum Teil aus der Erziehung und Charakterbildung. Da sie eine nur formale Eigenschaft ist, kann sie sich ebenso im Guten, als Treue und Ausdauer, wie im Schlechten, als Verstocktheit, Haß u. dergl., äußern.

      beste Welt, s. Optimismus.

      bestimmt heißt in der Logik ein Begriff, von dem alles angegeben ist, was darin gedacht werden soll, der also gegen alle anderen Begriffe nach Umfang und Inhalt vollständig abgegrenzt ist. Die Bestimmung eines Begriffs (Definition) erfolgt durch Angabe seiner Unterarten (s. Einteilung), durch Angabe des übergeordneten Begriffes und durch die Aufzählung seiner besonderen Merkmale. Durch bestimmte Begriffe werden Verwechslungen vermieden. – Im psychologischen Sinne heißt der Wille bestimmt, sofern er von den Motiven abhängt und dem stärksten folgt. Vgl. Determinismus. – In der Naturwissenschaft heißt bestimmen: ein Tier, eine Pflanze, ein Mineral der Familie, Gattung, Art oder Unterart einreihen, zu der es nach seinen Merkmalen gehört. Man muß dazu eine Reihe von Fragen beantworten, welcher von zwei Gegensätzen dem zu bestimmenden Gegenstande jedesmal als Merkmal angehört und welcher nicht, und steigt so von Reich, Kreis, Klasse immer weiter hinab bis zu Familie, Gattung, Art, Unterart (s. z. B. Lackowitz, Flora von Berlin u. d. Provinz Brandenburg. 9. Aufl. Berlin 1894. Vorwort).

      Bestimmung (lat. determinatio) heißt logisch die Hinzufügung eines Merkmals zu einem Begriff. Durch die Bestimmung wird aus dem allgemeinen Begriff ein minder allgemeiner gebildet; fügt man z. B. zu »Soldat« das Merkmal »zu Pferde«, so wird jener Begriff reicher an Inhalt, aber ärmer an Umfang. Spinoza (1632-1677) faßte den Begriff der Determination nicht nur logisch, sondern auch metaphysisch und schloß von dem Wirklichen, der einen unendlichen Substanz, jede Bestimmung aus, indem er lehrte: omnis determinatio est negatio (Jede Bestimmung ist eine Verneinung). Seine Behauptung hängt aber eng mit seiner Wertschätzung des Allgemeinen und Zurücksetzung des Individuellen