Friedrich Kirchner

Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe


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nicht, weil dadurch das Böse zu einem Negativen verflüchtigt und in den Stoff gelegt wird, während es doch positiv ist und, vor allem in der Gesinnung, in der verkehrten Richtung des Willens liegt. – Ebensowenig genügt die Herleitung des Bösen aus der menschlichen Freiheit, mag man sie mit Origenes (†254), Kant (†1804) und Schelling (†1854) als transscendentalen Akt in einen Zustand vor der Geburt setzen, oder mit Augustin (†430), Schleiermacher (†1834) und Jul. Müller (†1875) in das Diesseits. Denn die Freiheit reicht nicht aus, zu erklären, wie ein faktisch gutes Wesen böse werden konnte. Auch die Ableitung des Bösen aus einem Abfall von Gott, wie sie Plotin (†270) und Augustin (†430) lehren, kann nicht als angemessen gelten; ebensowenig die Auffassung des Thomas von Aquino (†1274), der im Bösen ein Mittel zum Guten sieht. – Ein andrer Versuch der Ableitung des Bösen findet sich in der indisch-neuplatonischen Ansicht, nach der zwar die gesamte Welt durch Emanation aus Gott hervorgeht, aber das einzelne unberechtigt ist, sich als solches zu behaupten. Ähnlich behauptet Leibniz (1646-1716), in seiner Theodicee (1710), das Böse sei bei der Unvollkommenheit der Geschöpfe unvermeidlich, es habe mithin seinen Ursprung nicht in Gott, sondern in der Beschränktheit der endlichen Wesen. – Hieran anknüpfend kann man den Ursprung des Bösen im Endlichen und Menschlichen suchen. Das Endliche ist unvollkommen, und der Mensch ist selbstsüchtig von Natur. Aber so wenig der Naturzustand auf sozialem Gebiete festgehalten, sondern zur Kultur veredelt wird, so wenig bleibt der ethische Naturzustand (vgl. Bildung, Humanität). Von Natur ist der Mensch noch nicht das, was seine Entwicklung aus ihm machen kann. Dies lehrt uns die Betrachtung der menschlichen Entwicklung. Jedes Kind ist, solange es ohne Selbstbewußtsein ist, weder gut noch böse. Sobald aber der Selbsterhaltungstrieb erwacht, zeigen sich schlechte Eigenschaften, Selbstsucht, Trotz, Grausamkeit, Ungehorsamkeit usw. Da sich nun die Sinnlichkeit jahrelang entwickeln kann, ehe die Vernunft durch die Erziehung ausgebildet wird, so findet sich der zum Selbstbewußtsein erwachte Mensch zu seinem Schrecken in einem Zustande vor, den Kant das »radikale Böse« genannt hat. Diesen Namen verdient es wenigstens insofern, als es mit der menschlichen Entwicklung unvermeidlich verknüpft ist. Nun beginnt in dem Menschen der sittliche Kampf gegen das Böse. – Das Böse ist ein ethischer Begriff, der daneben auch seine kulturhistorische Bedeutung hat. Was auf einer noch unerzogenen Stufe menschlicher Entwicklung erklärlich und entschuldbar ist, wird auf einer höheren Unsittlichkeit. Der verwandte metaphysische Begriff ist das Übel (s. d.). Vgl. Herbart, Gespräche ü. d. Böse, Königsb. 1818. Blasche, das Böse im Einklang mit der Weltordnung. Leipzig 1827. Jul. Müller, Christl. Lehre v. d. Sünde. 3. Aufl. Breslau 1849. Fr. Paulsen, System der Ethik. 6. Aufl. 1903.

      Braidismus, s. Hypnotismus.

      Buridans Esel ist der Name des erdachten Beispiels, durch welches der Scholastiker Buridan (1300-1358) zu Paris seine Ansicht von der Unmöglichkeit der Willensfreiheit zu erläutern versucht haben soll. Es ist zur sprichwörtlichen Wendung geworden. Buridan soll, um seine Behauptung zu beweisen, das Beispiel eines hungrigen Esels gewählt haben, welcher, zwischen zwei gleich große, gleich beschaffene, in gleichem Abstande befindliche Heubündel gestellt ist und nun nach Buridans Ansicht sich nicht zu entscheiden vermag, von welchem Bündel er zuerst, fressen soll, der daher verhungern muß. In Buridans Schriften findet sich dies Beispiel nicht; in der Ethik des Spinoza wird aber darauf angespielt. Übrigens ist der Gedanke nicht Buridans Eigentum. Schon Dante, Parad. IV, 1-3 sagt: »Zwischen zwei gleich entfernten und gleich anlockenden Speisen würde der Mensch eher Hungers sterben, als daß er bei der Willensfreiheit eine von ihnen zwischen die Zähne brächte«, und Aristoteles (de caelo II, 13 p. 295b 32) weist schon wie auf ein bekanntes Beispiel und Bild auf den »heftig Hungernden und Dürstenden hin, der gleich weit von Speise und Trank entfernt ist und der in Ruhe verharren muß«. (Siehe Schopenhauers Schriften 1877. IV², 58.)

      burlesk, s. komisch.

      C.

      C bezeichnet in der Logik die Contraposition, d.h. diejenige Umkehrung eines Urteils (Vertauschung von Subjekt und Prädikat), bei der außer der Relation zwischen Subjekt und Prädikat noch die Qualität (s. d.) des Urteils verändert wird, die Quantität (s. d.) dagegen unverändert bleibt oder verändert wird und die Modalität (s. d.) keine Änderung erleidet. Zwischen dem ursprünglichen und dem neu entstandenen Urteil besteht eine Art Gegensatz, aus dem sich der Name Contraposition erklärt. Das bejahende Urteil: In allen Kreistangentenvierecken ist die Summe der Gegenseiten einander gleich, wird z.B. durch Contraposition in das verneinende Urteil umgewandelt: Alle Vierecke, in denen die Summe der Gegenseiten einander nicht gleich ist, sind nicht Kreistangentenvierecke. – Innerhalb der scholastischen Namen für die Schlußmodi (s. d.) bezeichnet c das kontradiktorische Gegenteil des Schlußsatzes. Wenn man nämlich die Modi der zweiten, dritten und vierten Figur auf die der ersten Figur zurückführen will, so hat man bei denjenigen Schlußmodi der zweiten und dritten Figur, deren Namen ein c im Inlaut enthält (Baroco und Bocardo) zunächst das kontradiktorische Gegenteil des Schlußsatzes für wahr anzunehmen und dann zu zeigen, daß diese Annahme mit einem Schluß nach Barbara (s. d.) in Widerspruch steht, daß sie mithin unmöglich ist und daß damit die Richtigkeit ihres kontradiktorischen Gegenteils, also des ursprünglichen Schlußsatzes, gesichert ist; c bedeutet demnach hier die Führung durch die dem Schlußsatz entgegengesetzte Behauptung oder durch das Unmögliche (ductio per contradictoriam propositionem sive per impossibile). Den Schluß z.B. nach Bocardo (s. d.): Einige Geladene sind nicht gekommen; alle Geladene sind meine Freunde; folglich sind einige meiner Freunde nicht gekommen (Mo P, Ma S, So P), reduziere ich auf Barbara, indem ich zunächst das kontradiktorische Gegenteil von (So P): Einige meiner Freunde sind nicht gekommen für wahr annehme, nämlich (Sa P): Alle meine Freunde sind gekommen. Nun würde aber aus diesem Satze (Sa P) und aus dem Untersatze: Alle Geladenen sind meine Freunde (Ma S) nach Barbara folgen: Alle Geladenen sind gekommen (Ma P). Dieser Satz steht aber im Widerspruch zu dem Obersatz (Mo P): Einige Geladene sind nicht gekommen. Also ist die Annahme, daß das kontradiktorische Gegenteil des Schlußsatzes von Bocardo, nämlich: Alle meine Freunde sind gekommen, richtig sei, falsch; daher muß der Schlußsatz in Bocardo: Einige meiner Freunde sind nicht gekommen, richtig sein. Ähnlich läßt sich Baroco (s. d.) auf Barbara zurückführen. Vgl. Überweg, System der Logik § 113. – In der Physik bedeutet c die Geschwindigkeit der Bewegung (Celeritas), z.B. in der Formel: c = s/t, welche besagt, daß die Geschwindigkeit eines Körpers gleich dem Quotienten aus dem durchlaufenen Räume (s) und der durchlaufenen Zeit (t) ist.

      Calculus Minervae heißt der Stein der Athena (Minerva), durch welchen nach Aischylos (Eumen. 742/3) Orestes freigesprochen wurde, weil durch ihn die Zahl der verurteilenden und die Zahl freisprechenden Stimmen gleich werden anêr hod' ekpepheugen haimatos dikên, ison gar esti t' arithmêma tôn palôn, sodann bezeichnet der calculus Minervae einen vom Zufall oder vom Lose abhängigen Spruch, auch den Zufall selbst und das Gottesgericht. Die Abstimmung der Minerva ist dargestellt auf dem corsinischen Silberbecher, Baumeister, Denkm. d. kl. Alt. n. 1316. (Vgl. Christ, Gesch. d. griech. Litt. 3. Aufl., München 1898, S. 221.)

      Calemes heißt der zweite Modus der vierten Schlußfigur, in dem der Obersatz allgemein bejaht, der Unter- und der Schlußsatz allgemein verneinen. Er hat die Form: PaM, MeS, SeP; z.B. Alles Irdische ist vergänglich; nichts Vergängliches macht dauernd glücklich; also ist nichts, was uns dauernd glücklich macht, irdisch.

      Calvus (lat.) der Kahlkopf, (gr. phalakros) heißt ein Fangschluß des Eubulides (4. Jahrh. v. Chr.). (Vgl. Diog. Laert. II § 108.) Er besteht in der Frage: »Wieviel Haare maß man jemandem ausziehen, damit er kahlköpfig wird?«

      Camestres heißt der erste Modus der zweiten Schlußfigur, worin der Obersatz allgemein bejahend, der Unter- und der Schlußsatz allgemein verneinend sind. Er hat die Form; PaM, SeM, SeP; z.B. Alle Körper sind ausgedehnt; kein Geist ist ausgedehnt; folglich ist kein Geist ein Körper.

      Cardinaltugenden