der die Tugend in der Tauglichkeit der menschlichen Seele zu dem ihr zukommenden Werke sah, stellte vier Haupttugenden auf: Weisheit (sophia, prudentia), Tapferkeit (andreia fortitudo), Gesundsinnigkeit (sôphrosynê, temperantia) und Gerechtigkeit (dikaiosynê, iustitia). Während die drei ersteren, der Einteilung der Seele in die erkennende, mutige und begehrliche entsprechend, Tugend einzelner Seelenkräfte sind, besteht die letzte Tugend in dem rechten Verhältnis der Seelenkräfte zueinander; sie bestimmt also den drei anderen ihr Maß. Aristoteles (384-322), für den die Tugend die aus der natürlichen Anlage durch Handeln erworbene Fertigkeit, das Vernünftige zu wollen, war, gab jene Einteilung auf und unterschied die ethische (tätige) Tugend von der dianoetischen (der Denktugend). Die ethische Tugend ist die Fertigkeit, die uns entsprechende Mitte zwischen zwei Extremen innezuhalten. Ihre Wurzel ist nicht, wie bei Platon, die Einsicht sophia, sondern die Mannhaftigkeit andreia. An sie schließen sich die anderen ethischen Tugenden: Gesundsinnigkeit sôphrosynê, Freigebigkeit und Großherzigkeit eleutheriotês, megaloprepeia, Ehrliebe megalopsychia, philotimia, Sanftmut praotês, Wahrhaftigkeit alêtheia, Freundlichkeit eutrapelia, philia, Gerechtigkeit dikaiosynê und Billigkeit to epieikes (Ethic. Nic. II, 7, p. 1107 a 28 ff.) an. Die dianoetischen Tugenden, die in dem richtigen Verhalten der denkenden Vernunft an sich und bezüglich der niederen Seelentätigkeiten bestehen, sind Vernunft, Wissenschaft, Kunst und praktische Einsicht. Sie gipfeln in der Theorie, der höchsten menschlichen Glückseligkeit. Die platonische Tugendlehre ist populär geworden und auch in die stoische Lehre und römische Philosophie übergegangen, die aristotelische hat sich weniger verbreitet. Plotin (205-270) stellte drei Klassen von Tugenden auf; bürgerliche (politische), philosophische (reinigende) und religiöse (vergöttlichende). Ambrosius (340-397) schloß den vier sog. philosophischen Kardinaltugenden Platons die drei theologischen: Glaube, Liebe, Hoffnung an, ebenso später Petrus Lombardus (†1164), der alle sieben aus der Liebe abzuleiten sucht. Schleiermacher (1768-1834) endlich unterscheidet erkennende und darstellende Tugenden; jene sind Weisheit und Besonnenheit, diese Liebe und Beharrlichkeit. Die Lehre von den Kardinaltugenden hat im allgemeinen für die Gegenwart wenig Bedeutung. Die reiche Gestaltung des Lebens verbietet jeden starren Schematismus in der Tugendlehre.
Cartesianismus ist die Lehre des Cartesius (1596 bis 1650) und seiner Schüler. Sie schreibt der Philosophie die rationalistische Methode vor und beginnt mit dem Zweifel an allem demjenigen Wissen, das vor dem philosophischen Denken erworben ist (de omnibus dubitandum). Sie geht von der Selbstgewißheit des Denkens (cogito, ergo sum), zu der Aufstellung der Klarheit und Deutlichkeit als Kriteriums der Wahrheit (omne est verum, quod clare et distincte percipio), zu der Annahme allgemeiner Kausalität (nihil ex nihilo fit), zu dem Nachweis der Existenz Gottes, zu der dualistischen Aufstellung einer unendlichen Substanz (deus) und zweier endlichen Substanzen, der ausgedehnten und denkenden, der Materie und des Geistes, und endigt in der mechanistischen Erklärung aller Naturvorgänge, die nur den Begriff von Druck und Stoß voraussetzt, sowie in der Scheidung von Leib und Seele am Menschen. Aus dem Cartesianismus hat sich der Occasionalismus (s. d.) entwickelt. – Am charakteristischsten für den Cartesianismus ist der scharfe Dualismus von Geist und Körper, Seele und Leib. Dem Prinzip des influxus physicus (s. d.) gegenüber war der Cartesianismus ein Fortschritt, an sich aber eine unhaltbare Idee. Ihn zu beseitigen, strebte die nachfolgende Philosophie (Spinoza, Leibniz, auch Kant).
Casualismus (nlt.) ist diejenige Lehre, nach der die ganze Welt durch Zufall (casus) entstanden ist und sich unter der Herrschaft des Zufalls entwickelt hat. So dachten sich z.B. Epikuros (342-270) und Lucretius (99-55) die Weltentstehung und Weltentwickelung.
Casuistik (franz. casuistique) heißt derjenige Teil der Moral, welcher von den Gewissensfällen (casus conscientiae) oder der Kollision der Pflichten handelt. Casuist ist derjenige Moralist, welcher solche Fälle zu lösen sucht. In Wahrheit kollidieren freilich viel weniger die Pflichten untereinander, als die menschlichen Wünsche. Spuren von Casuistik finden sich zuerst bei den Stoikern (um 260 v. Chr.). So stritten Diogenes und Antipater darüber, ob ein Kaufmann, der zur Zeit einer Hungersnot Getreide nach Rhodos bringe, aber unterwegs erfahre, daß mehr Zufuhr komme, dies sagen und einen geringeren Preis fordern solle oder nicht. Auch den Fall erwogen die Stoiker, wie sich zwei Schiffbrüchige verhalten sollten, die sich auf ein Brett retteten, das doch nur einen tragen könnte. Aber erst die Talmudisten und die Scholastiker haben diese meist fruchtlosen Untersuchungen fleißig ausgeführt. Bekannt sind von casuistischen Schriften die Summa Raimundiana des Raymund de Pennaforti (1176-1273), die Summa Astesana vom Franziskaner Astesanus und die Summa Bartolina vom Dominikaner Bartholomäus de Sancta Concordia. Auch die Jesuiten Escobar, Sanchez und Busenbaum sind als Casuisten bekannt.
casum sentit dominus (lat. den zufälligen Verlust trägt der Eigentümer) und casus a nullo praestatur (für den Zufall wird nicht gehaftet) sind zwei entgegengesetzte Sätze, deren Widerspruch andeutet, daß der Mensch für das, was zufällig aus seinen Handlungen entspringt, schwer Regeln aufstellen kann. Vgl. Zufall.
causa sui (lat.), Ursache von sich selbst, nannten die Scholastiker Gott. Sie wollten mit diesem Begriff sagen, Gott habe sich selbst geschaffen und sei durch nichts anderes bedingt. Auch Spinoza (1632-1677), Schelling (1775-1864) und Hegel (1770-1831) nahmen diesen Begriff auf. Spinoza setzte die causa sui und die Substanz (Gott und Natur, deus sive natura) einander gleich. Die erste Definition des ersten Teiles seiner Ethik lautet: »Per causam sui intelligo id, cuius essentia involvit existentiam, sive id, cuius natura non potest concipi nisi existens«. (Unter causa sui verstehe ich dasjenige, dessen Wesen die Existenz einschließt, oder dasjenige, dessen Natur als existierend vorgestellt werden muß.) Hieran schließt sich der Nachweis, daß die Substanz Gott, Natur und causa sui ist. Schelling lehrt, daß Gott in sich den Grund seiner Existenz hat. Hegel sieht in jeder Ursache eine causa sui, die sich in den endlichen Dingen auseinandergezogen hat. So richtig aber Gott als absolut gedacht wird, so schließt doch der Begriff der causa sui den logischen Widerspruch in sich ein, daß durch ihn etwas zugleich als nicht existierend und als existierend gesetzt wird. Denn Ursache heißt im Gegensatz zur Wirkung nur dasjenige, was vor einem anderen als existierend gedacht werden muß. Vor allem aber beruht der Begriff der causa sui auf einer fehlerhaften Definition des Daseins, nach der das Dasein zum Wesen des Begriffs gehört. Erst Kant (1724-1804) hat in seiner Kritik der Beweisgründe des Daseins Gottes und vor allem des ontologischen Beweises (Kr. d. r. V., S. 592-602) den richtigen Begriff des Daseins aufgestellt und nachgewiesen, daß das Dasein kein Merkmal des Begriffs, sondern absolute Position ist. Er hat hierdurch den Begriff causa sui aufgelöst. (Vgl. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes. Königsberg 1763.)
Causalität (Ursächlichkeit) bezeichnet das Verhältnis von Ursache (s. d.) und Wirkung. Auf dem Begriffe der Causalität beruht die gesamte Naturwissenschaft. Auf dem Begriffe der Causalität beruht ferner auch eins der Assoziationsgesetze der Ideen. Die Gültigkeit dieses Begriffes hat David Hume (1711-1776) in seinem »Enquiry concerning Human Understanding« (London 1748) bestritten: Die kausale Verbindung der Tatsachen wird uns nach Hume weder durch Schlüsse a priori, noch durch Erfahrungen gegeben. Alle Causalitätsschlüsse beruhen vielmehr nur auf der Gewohnheit. Der Verstand wird, wenn sich ähnliche Fälle wiederholen, durch die Gewohnheit bestimmt, bei Erscheinung einer Begebenheit, diejenige, die sie regelmäßig begleitet, ebenfalls zu erwarten. Aber wir wissen nichts von dem inneren Band der sich begleitenden Begebenheiten. – Dem gegenüber hat Kant (1724-1804) in seiner Kr. d. r. V. die Apriorität der Causalität und der anderen Kategorien nachzuweisen versucht. Vgl. Ursache.
Causalnexus ist die Verbindung der Vorgänge durch die Begriffe von Ursache und Wirkung. Die Nachweisung des Causalnexus ist die Grundlage jeder wissenschaftlichen Betrachtung der Dinge.
Causalprinzip heißt der Grundsatz, nach dem jedes Ding seine Ursache haben muß: »Alles, was geschieht, setzt etwas voraus, worauf es nach