Vorarbeit ihren formvollendeten Abschluss gefunden haben. Sie sind idealtypische Verwirklichungen der von Blumenberg kultivierten Form des Philosophierens.
Wir werden uns daran gewöhnen dürfen, an Blumenbergs Schriften andere Fragen heranzutragen, als wir üblicherweise bei der Rezeption philosophischer Werke zu stellen gewohnt sind. Ich möchte das in eine These fassen, deren mögliche Verteidigung weniger von Interesse ist als ihr heuristischer Aufschlusswert: Blumenbergs Philosophie erreicht in seinen klassischen Werken eine bemerkenswert hohe Übereinstimmung von Form und Inhalt, Gestalt und Aussage. Ihnen liegen kompositorische Gestaltungsmomente zugrunde, die man in wissenschaftlicher Literatur gemeinhin nicht erwartet. Blumenbergs Philosophie, die von ihm kultivierte Form des Denkens und Schreibens, versucht bis in ihren formalen Auftritt Ausdruck jener Wirklichkeit zu sein, mit der sie es zu tun hat. Derartige Aspekte – wie thematische Spiegelungen, epische Erzählformen, die Anzahl von Kapiteln oder Buchteilen, die Zitationsweise und die Erstellung von Namenregistern – mag man vorschnell als äußerlich abtun. Wer aber Blumenbergs Philosophie nicht bis in ihre Ausgestaltung hinein verfolgt, verpasst beim Warten auf griffige Thesen und Argumente das wesentliche Moment dieser mitunter meisterlich vollzogenen Reflexionsform: Die Form ist Ausdruck des Inhalts.
Daher sind Blumenbergs oftmals umfangreiche Werke nicht abkürzbar. Als Jacob Taubes für eine Tagung den Autor des ein Jahr zuvor erschienenen Buches Die Legitimität der Neuzeit darum bat, den Kolloquiumsteilnehmern für den zu diskutierenden Teil dieses umfangreichen Werkes einen Leitfaden an die Hand zu geben und eine Kurzfassung seiner These zu erstellen, reagierte Blumenberg erbost. Er empfand es als Zumutung, das von ihm aus den Tiefen der Antike entfaltete Panorama des Epochenübergangs vom Mittelalter zur Neuzeit auf einen handhabbaren Umfang reduzieren zu sollen. Er erwehrte sich der Anfrage mit Zitaten aus der Negativen Dialektik Adornos, die zur Kenntnis zu nehmen Taubes ihm dringend angeraten hatte. »Das Wesen wird durchs Résumé des Wesentlichen verfälscht«, ist darin zu lesen, und: »Daher ist Philosophie wesentlich nicht referierbar. Sonst wäre sie überflüssig; daß sie meist sich referieren lässt, spricht gegen sie.«40
Damit kommt das Vorhaben, ein philosophisches Portrait von Hans Blumenberg zu zeichnen, scheinbar an sein Ende, bevor es begonnen hat. Jedes Buch über die Philosophie Blumenbergs, das sich nicht auf eine Auseinandersetzung mit speziellen Aspekten beschränkt, sondern die Kontur dieser Philosophie im Ganzen darzustellen sucht, hat sich dem Vorwurf zu stellen, leisten zu wollen, was Blumenberg selbst verweigerte und darüber hinaus für unmöglich hielt. Philosophie ist nicht abkürzbar. Die Fülle ihrer mitunter verschlungenen Gedankenwege lässt sich nicht verknappen. Allen Einleitungsbänden zum Trotz vermag keine noch so umsichtige Zusammenfassung dem Leser die Mühe zu ersparen, eine anspruchsvolle Philosophie nur dann erfassen zu können, wenn er sich ihr in toto aussetzt und ihren Gedanken gleichsam in Echtzeit folgt. »Dazu braucht es aber viel, viel Zeit«,41 wie schon Taubes bemerkte. Wenn sich eine Philosophie auf eine Quintessenz reduzieren lässt, ist sie schlecht gedacht worden.
Aber ist nicht Blumenbergs Weigerung, eine Kurzfassung seiner Neuzeitdeutung zu bieten, wie sie jedes Werklexikon nicht unversucht lassen wird,42 lediglich Ausdruck der Eitelkeit eines Autors, der jeden einzelnen seiner Gedanken für wichtig hält? Wenn ein philosophischer Entwurf aus begründeten Argumenten besteht, warum soll dann keine systematische Zuspitzung möglich sein? Ist nicht vieles an einem philosophischen Text Beiwerk, Stilblüte und seitenfüllendes Zugeständnis an die Üblichkeiten von Textproduktionen? Man mag beim Gedanken an den Verzicht auf jede Umständlichkeit und als Inbegriff eines ›schlackenfreien‹ Textes Wittgensteins Tractatus logico-philosophicus vor Augen haben – Blumenbergs Bücher bieten das Gegenteil: Sie sind umfangreich und umwegig, ja mitunter maßlos bis zur Unhöflichkeit gegenüber dem Leser. Das beginnt schon mit den Inhaltsverzeichnissen, die sich der raschen Auskunft über die behandelten Themen verweigern und somit ihren üblichen Dienst nur bedingt erfüllen. Nur der kundige Leser wird bei der Kapitelüberschrift »Im Fliegenglas« aus dem Buch Höhlenausgänge erraten, dass es dort um Wittgenstein geht. Alle übrigen haben das Kapitel erst zu lesen, bevor sich ihnen der Sinn der Überschrift erschließt. Dabei kann der Zusammenhang auch äußerst lose sein: »Vor Realschulmännern« heißt ein Kapitel aus demselben Buch, und es handelt von Ernst Mach – der am 16. April 1886 vor der Versammlung des deutschen Realschulmännervereins in Dortmund einen Vortrag hielt. In dem Buch Die Lesbarkeit der Welt lautet die Überschrift eines Kapitels »Tendenzen bei Annäherung an das neunzehnte Jahrhundert« – kein weiterer Hinweis darauf, dass es darin um das ungeheuerliche Buchprojekt der französischen Encyclopédie geht. Oder, als ein weiteres Beispiel, der vierte Teil von Arbeit am Mythos: Wenngleich es sich mit der dortigen Goethe-Interpretation um den Kern dieses Buches handelt, taucht der Name des Protagonisten in den Kapitelüberschriften nicht auf! Carl Schmitt hat in einem Akt nachholender Ausdrücklichkeit in seinem Exemplar handschriftlich gleich den Titel des ganzen Buches entsprechend geändert: Arbeit am Goethe-Mythos,43 so hätte nach ihm das Buch heißen müssen.
Was mit den Inhaltsverzeichnissen als Verrätselung beginnt, setzt sich in Blumenbergs Büchern als Ganzes fort. Sie bieten weder zu Beginn einen Ausblick auf das in ihnen Gebotene, noch fasst ein Resümée dem Leser den Ertrag zusammen. Odo Marquard hat angesichts der weit ausgreifenden Relektüren der Geistesgeschichte, die oftmals auf Hunderten von Seiten von der Antike bis in die Gegenwart führen, wertschätzend von »als gelehrte Wälzer getarnten Problemkrimis«44 gesprochen. Doch diese versuchte Nobilitierung verrät einen untergründigen Apologiebedarf: Blumenbergs Bücher, vor allem die in Rede stehenden großen Studien zur Geschichte des Denkens, sind schwer zu lesen. Seinen Erfolg beim Lesepublikum und in den Feuilletons verdankt Blumenberg vor allem den späteren essayistischen Bänden, etwa in der Bibliothek Suhrkamp. Dem idealtypischen Meisterwerk seiner philosophischen Kunst der Interpretation, der annähernd achthundert Seiten starken Genesis der kopernikanischen Welt, wurde dagegen nur ein bescheidener Erfolg zuteil. Im Grunde war das Buch ein publizistischer Misserfolg. Man braucht einen langen Atem, um in diesen Wälzern nicht stecken zu bleiben, da sie die Aufmerksamkeitsspanne des Lesers zu überfordern drohen. Man muss es nicht als Studentenschelte verstehen, wenn ich darauf hingewiesen habe, dass sich Blumenbergs Bücher kaum für den heutigen akademischen Seminarbetrieb eignen. Sie sind in der gegenwärtigen philosophischen Lehre so gut wie nicht präsent. Karl Löwith hat davon gesprochen, man habe sich durch Blumenbergs »komplizierte Denk- und Schreibweise«45 regelrecht durchzuarbeiten. Und Dieter Henrich hat Blumenbergs Bücher als Werke bezeichnet, die »durch ein gewaltiges Arsenal von Kenntnissen zu schwer erschließbaren Massiven hochgesteigert«46 worden sind. Um in der Metapher zu bleiben: Bei der Lektüre droht dem Leser in der Steilwand des Denkens der Absturz.
In Blumenbergs Hauptwerken, also seinen großen epochengenetischen Problemgeschichten, finden sich unter den vielen Quellen in hohem Umfang auch Autoren, die so entlegen sind, dass selbst Philosophen von Profession regelmäßig werden nachschlagen müssen, um wen es sich da eigentlich handelt. So reizvoll die derart gebotenen Entdeckungsmöglichkeiten für den neugierigen Leser sind – ich selbst verdanke viele der Erstkontakte mit Büchern und Autoren der Geistesgeschichte den Vorlesungen und den Büchern Blumenbergs –, so erweisen sich die heranzitierten fremden, darf man es so sagen: befremdlichen Autoren doch auch als eine Schwelle, die zu überwinden Voraussetzung dafür ist, in ein Buch Blumenbergs hineinzufinden. So wird in den Höhlenausgängen etwa ausführlich Arnobius behandelt, ohne dass dieser Verfasser eines Höhlengleichnisses eigens vorgestellt wird. Blumenberg hat sich offensiv der Anforderung verweigert, dem Leser entgegenzukommen. Dafür gibt es einen anekdotischen Beleg: Als in einer seiner Vorlesungen ein Student sich erlaubte zu fragen, wie man einen von Blumenberg erwähnten Autor schreibt – um wen es sich dabei handelte, vermag ich nicht mehr zu sagen, da ich den Namen seinerzeit selbst auch nicht korrekt zu notieren in der Lage war –, ging Blumenberg für kurze Zeit dazu über, jeden in der Vorlesung auftauchenden Namen umständlich zu buchstabieren und anzuschreiben, auch etwa den Namen Kants, sodass niemand mehr nachzufragen sich traute.47
Die Bücher Blumenbergs erweisen sich daher als besonders und als sonderbar. Sie seien in der Philosophie nicht anschlussfähig, lautet eine Kritik. Sie gehörten zu dem Originellsten, was die deutschsprachige Philosophie nach dem Zweiten Weltkrieg hervorgebracht