Jürgen Goldstein

Hans Blumenberg


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Distanz der akuten Unbetroffenheit –, sie will selbst Teil dieser Anstrengung sein.

      Die Umständlichkeit dieses philosophischen Werkes ist daher auch Ausdruck eines humanen Anspruches: Blumenberg möchte nicht durchschaut werden. »Denn jemanden zu durchschauen heißt im strikten Sinne, zu sein oder sein zu können wie er. Darin liegt die Zudringlichkeit, die jedermann abwehrt, der sich nicht gefallen läßt, durchschaut zu werden.«59 Blumenbergs gesamtes, nach Originalität strebendes Werk und seine unverkennbare Art zu philosophieren sind eine »Abwehr gegen das Durchschautwerden«,60 wie es die formelhafte Verdichtung, die Quintessenz des Ganzen und das Fazit unternehmen.

      Dennoch lassen sich die Konturen dieses philosophischen Denkens zeichnen. Es erweist sich als möglich, wie in Aussicht gestellt, Hinweise zu geben, was Blumenberg macht und wie er es macht, um von ihnen aus leichter in die Fülle des kaum zu Referierenden einsteigen zu können. Dazu ist es sinnvoll, einen günstigen Ausgangspunkt zu wählen und einen perspektivischen Fluchtpunkt festzulegen, um Wege durch das labyrinthische Werk Blumenbergs aufzutun.

      Eine diskrete Anthropologie

      Gäbe man für einen Moment der Zumutung nach, in einem einzigen Satz sagen zu müssen, worum es der Philosophie Hans Blumenbergs geht, würde er lauten: Es geht ihr um den Menschen.

      Auf den ersten Blick mag diese Auskunft so allgemein wie unbefriedigend erscheinen, vielleicht stimmig, aber ohne rechten Aufschlusswert. Sie besage alles und nichts, könnte man einwenden, und sie treffe so grundsätzlich auf das Philosophieren zu, dass für ein geistiges Profil dieses Denkers wenig gewonnen ist. Die Frage nach dem Menschen sei schließlich so alt wie der Spruch des Orakels von Delphi: Erkenne dich selbst! Doch würde man auch in einem einzigen Satz zu formulieren bereit sein, im Zentrum der aristotelischen Philosophie oder des Werks von Jürgen Habermas stünde der Mensch? Das Zögern entspringt dem Unbehagen, vielschichtige Werke mit dem Spektrum ihrer Themen auf einen zwar mitlaufenden, aber nicht ausschließlichen Aspekt verengt zu sehen. Blumenbergs Werk steht in seiner Fülle an Reflexionsfeldern den genannten Philosophien in nichts nach: Phänomenologie, Metaphorologie, Mythologie, Wissenschaftsgeschichte, Philosophie der Technik und Theologiegeschichte, um nur einige zu nennen. Erst seit der postumen Veröffentlichung der Beschreibung des Menschen ist Blumenbergs kontinuierliche Beschäftigung mit anthropologischen Fragen unübersehbar geworden – aber macht sie das kognitive Gravitationszentrum aus, auf das sich alle anderen Denkbewegungen ausrichten?

      Dabei fällt eine Einordnung der Philosophie Blumenbergs in gängige Disziplinen ohnehin schwer. Sie steht quer zu üblichen Situierungen in philosophische Schulen und Lehren. Diese Passungenauigkeit hat zu einem Missverhältnis von Anerkennung und Wirkung beigetragen. Blumenbergs Bücher sind einschließlich ihrer Titel legendär, spielen aber in dem, was man ohne Abfälligkeit den akademischen Betrieb nennen kann, keine prägende Rolle. In philosophischen Lexika, Handbüchern und Einführungswerken findet Blumenberg kaum eine Erwähnung. Ich gebe drei Beispiele.

      Zwar hat er sich zeit seines Lebens mit der Phänomenologie Husserls beschäftigt: Seine unveröffentlichte Habilitationsschrift Die ontologische Distanz. Eine Untersuchung über die Krisis der Phänomenologie Husserls aus dem Jahr 1950 machte den Auftakt; während seiner Münsteraner Lehrtätigkeit war eine Vorlesung ›Ausgewählte Fragen der Phänomenologie‹ fester Bestandteil der Lehre, über viele Semester hinweg; und eines der bedeutendsten Nachlasswerke, eben die Beschreibung des Menschen, widmet sich einer subtilen Auseinandersetzung mit der Phänomenologie Husserls. Dennoch werden Blumenbergs Beiträge zur Phänomenologie innerhalb der Fachdiskussionen kaum als solche registriert.

      Das faszinierendste Moment an Blumenbergs Philosophie der Geschichte ist seine Hermeneutik. Sie bietet subtile Analysen des Wandels geistesgeschichtlicher Hintergründe als Bedingung der Möglichkeit, dass sich im Vordergrund erkennbare Transformationen des Selbst- und Wirklichkeitsverhältnisses des Menschen durchzusetzen vermochten. In immer wieder überraschenden Wendungen werden so auch sattsam bekannte Autoren einer innovativen Lesart unterzogen. Wenngleich die Leistungsfähigkeit dieser Hermeneutik nicht bestritten worden ist, kommen auch jüngere Gesamtdarstellungen der Geschichte der Hermeneutik ohne eine Nennung Blumenbergs aus. Obzwar von aufschließender Kraft, wird Blumenbergs Hermeneutik in der allgemeinen philosophischen Wahrnehmung von Hans-Georg Gadamers hermeneutischem Grundlagenwerk Wahrheit und Methode überdeckt. Wer hierzulande von philosophischer Hermeneutik im 20. Jahrhundert spricht, hat Blumenberg kaum im Sinn.

      Die Fluchtlinien von Blumenbergs Werk laufen auf eine philosophische Anthropologie zu. Immer wieder lassen sich leitmotivisch Befragungen und Bestimmungen des Menschseins in seinen Texten auffinden. Die zentrale Kategorie der Selbsterhaltung der Vernunft als Notwendigkeit in einer auf sie nicht abgestimmten Wirklichkeit rückt seine Überlegungen in die Nähe klassischer philosophischer Anthropologien. Dennoch wird Blumenberg im Vergleich zu Arnold Gehlen, Helmuth Plessner und Max Scheler nicht zu einem ihrer bedeutenden Repräsentanten gezählt. Er hat keinen eigenen, klar umrissenen Beitrag zu ihr geleistet, der in die entsprechenden Annalen der philosophischen Anthropologiegeschichte eingegangen wäre.

      Blumenbergs Denken zeichnet sich durch eine Eigenwilligkeit aus, die eine fugenfreie Einfügung in das Design der jeweiligen philosophischen Teildisziplinen vereitelt. Das hat auch damit zu tun, dass Blumenberg seine methodischen Ansätze in seinen Werken stets anwendete und am Quellenmaterial erprobte, aber kaum in eigenen Schriften vorstellte. Er hat keine expliziten Aufsätze zu seiner Hermeneutik des Hintergrundes vorgelegt, er publizierte zu Lebzeiten weder eine philosophische Anthropologie noch eine Monographie, die sich ausschließlich und unmittelbar der Phänomenologie Husserls widmete. Warum aber soll sich seine Philosophie im Kern als eine Vergewisserung über den Menschen ausweisen lassen?

      Blumenbergs Art von Anthropologie hat sich der Einbettung in die klassischen Formate verweigert. Der vergleichende Blick auf jene Klassiker, welche die Anthropologie zu einer disziplinären Ausdrücklichkeit vorangetrieben haben und sie gleichsam als Wissenschaftsauftrag institutionell zu verankern vermochten, verdeckt eher Blumenbergs eigenen Zugang. Wiederum in einen Satz gefasst, lässt sich über seine Philosophie sagen: Sie verfolgt eine diskrete Anthropologie. Ich nenne sie ›diskret‹, da sie der Frage, was es mit dem Menschen auf sich hat, indirekt nachgeht. Sie ist oftmals unauffällig am Werk. Sie wendet sich zunächst dem implizit Anthropologischen in Kontexten zu, die auf den ersten Blick nichts mit der Lehre vom Menschen zu tun haben müssen. Sie fragt nach den latenten, unbemerkt vorhandenen Einschlüssen des Humanen in unseren artikulierten Wirklichkeitsbeziehungen. Überspitzt gesagt: Das Menschliche ist ein Implikat. Zwar gibt es auch im direkten Zugriff etwas über den Menschen zu sagen, aber wie dürftig sind diese Selbstauskünfte gegenüber der Fülle an Weltbeziehungen, denen man das jeweils spezifisch Menschliche erst ablesen muss.

      Eine diskrete Anthropologie reagiert somit mit ihrer zurückhaltenden Beantwortung der Frage nach dem Menschen auf die Verlegenheit, dass niemand von uns auf Anhieb zu sagen vermag, was es mit dem Menschen auf sich hat, obwohl jeder von uns einer ist. Alle Anthropologie geht somit von einem befremdlichen Befund aus: »So paradox es klingt: obwohl wir Menschen sind, wissen wir nur ganz ungenau, was ›das Menschliche‹ ist.«61 Gerade der Mangel an Eindeutigkeit verlangt nun nach umwegigen Formen der Auskunft. Blumenbergs diskrete Anthropologie scheut daher jene starken Thesen, die sie von anderen referiert und in ihrer Gegenüberstellung relativiert. In der Beschreibung des Menschen listet er an die fünfzig verschiedene Annäherungen an Definitionen des Menschen auf, um eben die sich damit ausdrückende Verlegenheit zu dokumentieren, dass der Mensch nicht auf einen Begriff gebracht werden kann.62

      Wie schon Blumenbergs Zettelkasten eine Materialisierung der Notwendigkeit einer Philosophie der Umwege darstellt, steht auch seine Anthropologie für ein Abschreiten der vielen Denkwege, um sich – am bedachten Gegenstand entäußernd, doch diskret – darüber zu vergewissern, was es mit dem Menschen auf sich hat. Paradox formuliert sucht die diskrete Anthropologie den Menschen in den Blick zu nehmen, indem sie ihn – zumindest zunächst – nicht zum Thema macht: »Je allgemeiner der Gegenstand ist, von dem wir sprechen«, und mit dem Menschsein ist etwas Allgemeines erfragt, »um so weniger vollziehen wir