ist nicht recht klar, ob die von ihm gepflegte Denkform von Vor- oder Nachteil für das Philosophieren ist. Hat hier jemand die Gelehrsamkeit als literarischer Stilist kultiviert, da ihm die fortune fehlte, mit systematischen Impulsen in der Philosophie zu reüssieren?
Es könnte der Einwand erhoben werden, derartige Überlegungen täten in der Philosophie nichts zur Sache. Die Bedeutung von Kants Kritik der reinen Vernunft hängt nicht von dem Stil ab, in dem sie verfasst ist. Die Zugänglichkeit eines Werkes ist zweitrangig gegenüber der systematischen Relevanz seines Beitrags zur Lösung philosophischer Probleme. In der Tat ergibt die Lesbarkeit eines Werkes kein Qualitätskriterium – wer wollte behaupten, Passagen bei Hegel oder Fichte seien dadurch disqualifiziert, dass sie nur schwer den Weg zu einem Lesepublikum jenseits des engen Radius der Fachleute finden?
Doch es verhält sich bei Blumenberg anders. Seine Bücher sind Ausdruck einer von ihm kultivierten Denkform. Ihre Umständlichkeit ist die Verwirklichung einer Kultur der Umwege, die den gedanklichen Kurzschluss zu vermeiden sucht. Kultur besteht für Blumenberg geradezu in der »Auffindung und Anlage, der Beschreibung und Empfehlung, der Aufwertung und Prämiierung der Umwege. Daher hat die Kultur einerseits den Anschein mangelnder Rationalität; denn im strengsten Sinne erhält nur der kürzeste Weg das Gütesiegel der Vernunft, und alles rechts und links daran entlang und vorbei ist das der Stringenz nach Überflüssige, das sich der Frage nach seiner Existenzberechtigung so schwer zu stellen vermag. Die Umwege sind es aber, die der Kultur die Funktion der Humanisierung des Lebens geben.«48 Es gibt daher keine formelhaften Verdichtungen seiner Positionen jenseits des nahezu barocken Dickichts seiner Gedanken. »Den Zeitgenossen der Bewunderung schneller Entschlüsse und markanter Großhandlungen ist ferngerückt, daß Umständlichkeit gnädig sein kann.«49 Wer die Philosophie Blumenbergs verstehen will, hat sich der Gestalt, in der sie sich nicht nur präsentiert, sondern vielmehr vollzieht, auszusetzen.
Sucht der kürzeste Weg die Schnelligkeit, ist Blumenbergs Schreibstil darauf angelegt, das Lesetempo auszubremsen, um jene Nachdenklichkeit zu ermöglichen, deren Feind der Zeitdruck ist. Das lässt sich konkret beobachten, wenn man einen beliebigen Anfangssatz eines seiner Texte heranzieht und auf die Umständlichkeit seiner Gedankenführung achtet: »Der sehend werdende Blindgeborene ist ein Typus der Aufklärung, gerade weil sie an die biblischen Wunder des Sehendmachenden nicht glauben darf, nur ihre eigenen Starstecher als Bewirkende eines Ereignisses kennt, an dem sich die Dogmatiken der Theoretiker der Vernunft scheiden.«50 Wer in diesem Anfangssatz nur ein Ärgernis ausmacht, muss sich nicht vom Gegenteil überzeugen, aber fragen lassen, ob er nicht eine genaue Beachtung von Wittgensteins Bemerkung darstellt, im Rennen der Philosophie gewinne, wer am langsamsten laufen kann oder der das Ziel zuletzt erreicht?51
Eine derartige philosophische Apologie der Umständlichkeit mag man unmittelbar in Zweifel ziehen. Warum sollen sich verdichtende Formeln als nicht möglich erweisen? Blumenberg hat sich der aphoristischen Kürze mittels Bildung prägnanter Sätze ja selbst bedient. ›Die Neuzeit ist die antignostische humane Selbstbehauptung gegen den voluntaristischen Allmachtsgott des späten Mittelalters‹, so könnte eine Formel lauten, die die Grundthese der Legitimität der Neuzeit benennt. Entscheidend ist aber, wie wenig mit einer solchen Formel gewonnen und wie viel verloren ist. Denn Blumenberg erweist seine Qualität als Interpret stets dicht an dem, was man ein wenig respektlos das ›historische Material‹ nennen könnte. Die gebotene Formel wird erst dann reizvoll und bedeutsam, wenn sie als Schlüssel genommen wird, bekannte und entlegenere Quellen neu aufzuschließen. Die formelhafte Abstraktion bleibt nur dann fruchtbar, wenn sie den Bezug zu den Quellen, denen sie sich verdankt, nicht preisgibt. Die Faszination des Buches Die Legitimität der Neuzeit erschließt sich nicht durch ein Referieren fluchtpunktartiger Resultate, sondern erst durch die Anwendung problemgeschichtlicher Grundannahmen auf die innovative Relektüre bekannter Autoren wie Augustinus, Nikolaus von Kues oder Giordano Bruno. Erst wer mit der Allmachtslehre von Wilhelm von Ockham vertraut ist, erkennt die Brillanz der Deutung Blumenbergs, die so ungewöhnlich war, dass die Mediaevistik sich auf Jahrzehnte genötigt sah, sich zu ihr zu verhalten. Man hat also mühsam zu durchdenken, was ›Neuzeit‹, was antike ›Gnosis‹ und deren spätmittelalterliche Wiederkehr, was ›humane Selbstbehauptung‹ und ›theologischer Voluntarismus‹ bedeuten. Dazu braucht es Hunderte von gelesenen Seiten und Monate, mitunter Jahre der kontinuierlichen Auseinandersetzung. Eine auf Thesen reduzierte Abkürzung, die diese Gedankenwege als Blaupause zur Verfügung zu stellen können meint, führt bei den Texten Blumenbergs stets zur Verkümmerung des Gedankens, nicht zur Verdichtung.
Diese Kultur der Umständlichkeit, die dem Leser Gedankenumwege nicht erspart, folgt der Einsicht Kants, man könne nicht Philosophie, sondern nur philosophieren lernen.52 Die philosophische Tradition kennt vornehmlich das Genre des Dialogs, um den Leser durch den Disput über verschiedene mögliche Standpunkte in das Philosophieren durch Mitdenken hineinzuziehen. Man denke an die platonischen Dialoge, in denen die Begriffsstutzigkeit des Sokrates regelmäßig zum Ausgangspunkt philosophischer Reflexionen im Rahmen des ringenden Gesprächs wird. Oder man nehme David Humes Dialogues Concerning Natural Religion, deren Meisterleistung in der gelungenen Konfrontation verschiedener Deutungen der Natur Gottes und ihrer Erkennbarkeit besteht. Philosophie ist gemeinsame Beratung – consilium – und daher im Kern dialogisch. Davon kann bei Blumenberg auf den ersten Blick nicht die Rede sein. Er wendet sich in seinen Texten an keinen Leser, sie erscheinen wie endlose Monologe. In der Tat hat Blumenberg seine Texte nicht geschrieben, sondern diktiert. Und dennoch sind seine Schriften durch die wohldosierte Überforderung des Lesers Einladungen zum Mitdenken und zum Wiederlesen. Marcel Reich-Ranicki hat über den von ihm sehr geschätzten Siegfried Lenz gesagt, er gehöre zu jenen Schriftstellern, die den Lesern nicht nachlaufen, sondern sie zwingen, ihm zu folgen. Das trifft auch auf Blumenberg zu. Und doch gibt es eine Differenz zu der schönen Kennzeichnung von Siegfried Lenz aus dem Munde Reich-Ranickis: Lenz, so führt der Literaturkritiker in seiner Laudatio auf den Goethe-Preisträger aus, schreibe nie mit dem Rücken zum Publikum, und er strebe einen Pakt mit den Lesern an.53 Blumenberg aber ist einen Pakt mit der Philosophie eingegangen: Ihr ist er verpflichtet, nicht dem Leser. Doch noch in der Rücksichtslosigkeit gegenüber dessen Erwartungen und Aufmerksamkeitsspannen steckt die Einladung zum Philosophieren. Indem Blumenberg als Autor seinem Publikum das Entgegenkommen versagt, zwingt er es, ihm in das Philosophieren zu folgen. Und das lohnt sich, wie schon Jacob Taubes bemerkte: »Jedenfalls geschieht etwas bei Blumenberg das wichtig ist.«54
Es gibt also keinen Hauptweg, der durch das Werk Blumenbergs führt. Das Netz an Nebenwegen verlangt vom Leser, Umwege bereitwillig in Kauf zu nehmen, um dieses Œuvre zu kartographieren. Darin gleicht es dem mäandernden Strom der Geschichte. Abkürzungen sind hier wie dort nicht zu finden. Die Geschichte ist als Umwegskultur eine »Ausschöpfung der Welt«.55 In dem Fragebogen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 4. Juni 1982 gab Blumenberg eine Stelle aus Henrik Ibsens Peer Gynt als Motto an: »Mach einen Umweg, Peer, geh außen rum!«56
Wenn die Eingangsannahme sich als belastungsfähig erweisen sollte, dass sich in der formalen Umständlichkeit der großen Werke Blumenbergs dessen Philosophie und die von ihr reflektierte Wirklichkeit in der ihr eigenen Unübersichtlichkeit abbilden, dann ist eben diese Umständlichkeit nichts Äußeres, gar Ärgerliches, das man zugunsten einer verschlankten Darstellung überwinden könnte. Im Mythos hat Blumenberg den ersten Ausdruck eines Abbaus des Absolutismus erkannt. Ihm gelingt die Entspannung eines angespannten Weltverhältnisses eben durch das, was er »als kategoriale Bestimmung mythologischer Formen ihre ›Umständlichkeit‹« nennt: »Allmacht verwehrt es im Grunde, von ihrem Träger eine Geschichte zu erzählen. Geschichten sind, topographisch vorgestellt, immer Umwege, während absolute Macht sich im Diagramm der kürzesten Verbindung zweier Punkte auslegt.«57 Die Umständlichkeit des Mythos ist ein »Abschwächungsprinzip des Absolutismus der Mächte«.58
Indem Blumenberg Bewusstseinsgeschichten ›erzählt‹ – als problemgeschichtliche Relektüren der europäischen Geistesgeschichte –, leistet seine Philosophie auf ihre Weise Absolutismusabbau: gegen die Übermacht der Wirklichkeit, des Gottes, der Geschichte oder was sonst immer sich als übermächtig erweisen sollte. Seine Philosophie ist nicht anders zu haben als in der Gestalt, die sie angenommen