und meine Mutter war eine geborene Bernheim«, sagte sie leise. »Du kannst meine Geburtsurkunde lesen, Tim. Und da sind auch die Fotos. Die kannst du auch anschauen. Ich möchte mich jetzt hinlegen. Ich bin müde.«
Er umschloß ihre Arme und hielt sie fest. »Mir ist es doch gleich, wer deine Eltern sind, Constance«, sagte er leise. »Dr. Norden rätselt nur, weil du eine ganz andere Blutgruppe hast als deine Mutter.«
»Vielleicht bin ich meinem Vater ähnlicher«, erwiderte sie müde. »Das gibt es doch, auch wenn ich ihn nie kennenlernte. Kann sich denn ein dreijähriges Kind an einen Menschen erinnern, den es später nie mehr sah? Kannst du dich an deine richtige Mutter erinnern?«
»Nein«, erwiderte er. »Du mißverstehst mich wohl, Constance. Für mich zählst nur du.«
»Und ich habe erfahren, daß ich die seltene Blutgruppe B habe«, sagte sie mit einem spöttischen Unterton. »Leider kann ich nicht sagen, welche Blutgruppe mein Vater hatte.«
»Es geht doch nicht darum, Liebes«, sagte er. »Es geht nur um deine Gesundheit.«
Ihm wurde bewußt, daß er es falsch gesagt hatte, als sie ihn entsetzt ansah.
»Ihr nehmt also an, daß ich die gleiche Krankheit habe wie meine Mutter«, flüsterte sie bebend.
»Nein, das nehmen wir nicht an«, widersprach er. »Hätte ich nur gar nichts gesagt. Ich liebe dich doch, und nichts wird uns trennen, Constance.«
»Sag das nicht, Tim«, erwiderte sie müde.
Sie war eingeschlafen, und er hielt immer noch ihre Hände. Die scharlachroten Flecken waren nicht mehr so deutlich sichtbar.
Leise erhob er sich und ging in das Wohnzimmer hinüber.
Es war nicht Neugierde, die ihn trieb, die Dokumententasche zu öffnen, sondern nur der Wunsch, mehr über Constance zu erfahren.
Wohlgeordnet fand er die Dokumente, die Aufschluß gaben über die Herkunft ihrer Eltern.
Franco Clement hatte die Ehe mit Anita Bernhoff am achtzehnten April 1958 geschlossen. Am fünfzehnten August 1962 war ihre Tochter Constance Maria Angelika geboren worden. Knapp drei Jahre später war Franco Clement verstorben. In St. Moritz, wie Tim jetzt ganz überrascht las. So sagte es die Sterbeurkunde aus.
In einem Umschlag befanden sich einige Fotografien. Ein Hochzeitsbild, das ein sehr hübsches junges Paar darstellte, Franco und Anita Clement, und Tim konnte feststellen, daß Anita eine sehr reizvolle junge Frau gewesen war, die allerdings nicht die geringste Ähnlichkeit mit Constance aufwies. Franco Clements Gesicht zeigte einen deutlichen romanischen Einschlag, aber wie aus Urkunden hervorging, war er in München geboren, und auch die Ehe war in München geschlossen worden.
Ein zweites Foto stellte das Ehepaar mit einem kleinen Mädchen dar, ein süßes Kind von etwa einem Jahr, mit großen Kulleraugen und dunkellockigem Haar.
Tim betrachte es nachdenklich, erinnerte sich aber, daß auch von ihm Kinderbilder existierten, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem erwachsenen Tim aufwiesen.
Auf dem Foto von Constances erstem Schultag fand er jedoch schon vertraute Züge vor. Tim betrachtete es lange, wollte dann aber nicht so indiskret sein, auch die weiteren Fächer zu untersuchen. Er sah nur einen großen weißen Umschlag, auf dem in klarer Schrift geschrieben stand: Mein Testament.
Ein Frösteln kroch über seinen Rücken, denn von Dr. Norden wußte er, daß Anita Clements Tage gezählt waren.
Auf Zehenspitzen ging er zu Constances Zimmer. Sie öffnete die Augen, als er an ihr Bett trat. Die roten Flecken in ihrem Gesicht waren schon fast verschwunden.
»Bist du nun überzeugt, daß ich die leibliche Tochter meiner Mutter bin, Tim?« fragte sie ruhig.
Er nickte, aber in ihm blieben Zweifel, die er nicht erklären konnte.
»Darf ich dich etwas fragen, Constance?«
»Ich weiß nicht, welche Blutgruppe mein Vater hatte«, sagte sie spöttisch, »falls du das meinst.«
»Nein, er starb in St. Moritz, und du sagtest, es wäre ein Unfall gewesen.«
»Und mehr weiß ich nicht. Mama hat mich gebeten, sie niemals daran zu erinnern. Es wäre der schrecklichste Tag ihres Lebens gewesen.« Sie schöpfte tief Atem. »Bitte, laß mich jetzt allein. Es ist überhaupt besser, wenn wir uns nie mehr sehen.«
»Constance«, stieß er bestürzt hervor. »Ich liebe dich.«
»Aber in dir sind Zweifel. Und wenn ich krank bin, ist es gut, wenn wir uns trennen.«
»Diese blöde Untersuchung«, sagte er heiser. »Hätte ich doch nur nicht darauf bestanden. Du bist gesund, kerngesund.«
»Das kann man auch sagen. Dr. Brückner hat auch immer zu Mama gesagt, daß sie wieder gesund wird. Ich hasse diese Zwecklügen. Ich will wissen, an welcher Krankheit Mama leidet. Ich werde es in Erfahrung bringen, verlaß dich darauf. Bitte, geh jetzt.«
»Nein, ich gehe nicht. Wenn ich schuld bin, daß du verunsichert wurdest, mußt du mir auch zugestehen, daß ich deine Zweifel ausräume. Ich werde morgen das Aufgebot bestellen.«
»Das wirst du nicht«, widersprach sie heftig.
»Das werde ich doch«, erklärte er eigensinnig. »Du wirst schneller meine Frau sein, als du denkst.«
»Dazu gehören zwei«, sagte sie, aber als er sie in seine Arme nahm und küßte, erlahmte ihr Widerstand. »Wie sollte ich dir sonst beweisen, daß ich dich liebe, Constance«, flüsterte er, »daß uns keine Macht der Welt trennen kann.«
Sie schluchzte trocken auf. »Ich liebe dich doch auch, Tim. Ich will doch wirklich nicht, daß du unglücklich wirst.«
»Ich werde nur unglücklich sein, wenn du mich wegschickst, Liebes, aber ich lasse mich nicht wegschicken.«
*
Tim hatte Constance zum Geschäft gebracht. Sie hatte darauf bestanden. Er fuhr zu Dr. Nordens Praxis. Loni wunderte sich, daß er schon wieder da war.
»Der Chef muß erst drei Patienten versorgen, die ins Büro müssen«, sagte sie.
»Ich kann warten«, erklärte er.
Der Junge ist hartnäckig, dachte Dr. Norden, als Loni ihm sagte, daß Tim wieder da sei.
Eine halbe Stunde später saßen sie sich gegenüber. Tim brachte sein Anliegen ohne Umschweife vor.
»Constances Vater ist in St. Moritz ums Leben gekommen«, erklärte er. »Wäre es möglich, in Erfahrung zu bringen, wie er starb? Sie weiß es nicht.«
»Und warum willst du es wissen?«
»Du meinst, daß nach medizinischen Erkenntnissen Anita Clement nicht Constances Mutter sein könnte. Ich möchte gern wissen, wie es mit dem Vater steht.«
Dr. Norden runzelte die Stirn. »Weißt du das genaue Sterbedatum?«
»Ich habe es aufgeschrieben.« Tim schob ihm einen Zettel zu. »Die Klinik ist auch angegeben.«
»Es wird nicht so einfach sein, Tim«, meinte Daniel. Dann kam ein nachdenklicher Ausdruck in seine Augen. »Dieses Datum, diese Klinik – warte, ich muß Anne anrufen.«
»Wieso Anne?« fragte Tim verblüfft.
»Das erfährst du gleich. Jetzt kann ich sie noch am ehesten erreichen.«
»Ich möchte aber nicht, daß Mummy davon erfährt«, sagte Tim leise.
Daniel hatte schon gewählt, und Anne meldete sich selbst. Bestürzt hörte Tim, wie Daniel sagte: »Entschuldige, Anne, wenn ich dich an ein schlimmes Datum erinnere, aber könntest du mir sagen, wer damals Katja in St. Moritz versorgt hat?«
»Wozu brauchst du das, Daniel?« fragte Anne konsterniert.
Das konnte Tim allerdings nicht hören.
»Es