Patricia Vandenberg

Dr. Norden Bestseller Paket 4 – Arztroman


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ein Beruhigungsmittel. Als ich am nächsten Vormittag erwachte, war Pieter mit dem Kind verschwunden. An diesem Tag ging diese Lawine in der Nähe von St. Moritz herunter. Es herrschte eine entsetzliche Aufregung. Und ich dachte dann auch, daß Pieter mit dem Kind in diese Lawine hineingeraten sein könnte, da ich ja wußte, daß er dort gern beim Skifahren war. Aber ich erfuhr nichts. Pieter und das Kind blieben verschwunden, so viel auch nach ihnen gesucht wurde. Niemand hatte sie angeblich gesehen. Mein Vater starb an einem Herzinfarkt. Ich half meiner Mutter im Hotel, und dort lernte ich dann Bob kennen. Er umwarb mich, aber ich konnte ihn ja nicht heiraten, da ich annehmen mußte, daß Pieter noch lebte. Aber wo? Ich traute ihm zu, daß er mein Leben zerstören wollte.

      Bob unternahm alles, um eine Spur zu finden, und fast drei Jahre später wurde dann Pieters Leiche an einem Hang gefunden, als dort der Schnee geschmolzen war. Doch Cindy wurde niemals gefunden. Verstehst du, daß ich einfach nicht vergessen konnte? Pieter, ja, den hätte ich vergessen können, aber nicht mein Kind. Aber da war dann Tim, der mir vertrauensvoll entgegenkam. Ich konnte wenigstens ihm all die Liebe geben, die ich meiner Tochter nicht mehr geben konnte. Und Bob war so ein wundervoller Mann. Meine Mutter lebte noch sechs Jahre bei uns, aber dann starb auch sie. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, Anne, daß du dort deinen Mann verloren hast, daß wir uns hätten schon damals begegnen können, dann frage ich mich, warum muß dies jetzt wieder gegenwärtig werden, erst jetzt?«

      Anne hielt den Atem an. Ihre Gedanken überstürzten sich. »Ich weiß es nicht, Clarissa. Es tut mir leid, daß du gerade hier an diese schrecklichen Erlebnisse erinnert wirst.«

      »Wenn ich wenigstens wüßte, wo Cindy begraben ist«, schluchzte Clarissa auf. »Versteh mich, Anne, ich liebe Bob, ich liebe Tim, das Schicksal hat mich entschädigt, aber dennoch denke ich an das Kind, das ich selbst geboren habe, dieses süße kleine Mädchen. Sie wollte ja skifahren.

      Sie hing an ihrem Vater. Sie ist bestimmt freiwillig mit ihm gegangen, aber sie war doch mein Kind.«

      Anne streichelte Clarissas Hände. »Sie wäre jetzt neunzehn Jahre«, sagte sie gedankenvoll.

      »Ja, im Februar wäre sie neunzehn geworden. Sie hat nur zwei Tage nach mir Geburtstag. Sie hätte muß ich sagen. Kann ein Mensch, auch wenn es ein kleines Kind ist, einfach verschwinden, Anne? Ich denke oft, daß sie irgendwo lebt. Aber dann wieder denke ich, daß Pieter sich von dem Kind doch nicht getrennt hätte. Er hat Cindy wirklich geliebt. Damals, bis man seine Leiche fand, dachte ich oft, daß er mit ihr nach Amerika oder Asien gegangen sei, einfach untergetaucht, wie er es ja oft gedroht hatte.«

      »Wurde er eindeutig identifiziert, Clarissa?« fragte Anne.

      »Ja, durch seine Zähne. Er hatte zwei Goldkronen. Und außerdem hatte er auch die goldene Halskette noch um, die ich ihm zur Geburt von Cindy geschenkt hatte. Darauf waren unsere Namen eingraviert. Clarissa und Cindy. Er war ein ruheloser Mensch, Anne, aber das Kind hat er geliebt. Er hätte es nie im Stich gelassen, davon bin ich auch heute noch überzeugt. Und deshalb begreife ich nicht, daß man nicht auch Cindy gefunden hat.«

      Traurig blickte Anne in Clarissas verstörtes Gesicht. »Wenn es auch gut ist, daß du dich ausgesprochen hast«, sagte sie leise, »mir tut es auch weh, daß dieses Gespräch mit Daniel in dir solche Erinnerungen wachrief.«

      *

      »Nun ist Mama tot«, sagte Constance, »und vielleicht sterbe ich auch einmal so.«

      »Das sollst du nicht sagen, Constance«, widersprach Tim heiser. »Ich will es nicht hören.«

      »Man kann vor Tatsachen nicht die Augen verschließen. Ich habe heute in medizinischen Büchern nachgelesen. Es könnte die Parkinsonsche Krankheit gewesen sein, und die ist erblich. Bei einem macht sie sich weniger bemerkbar als beim anderen. Aber…«

      »Du sollst nicht davon reden, Liebes«, fiel ihr Tim ins Wort. »Du bist gesund. Du kannst hundert Ärzte aufsuchen, und jeder wird dir das gleiche sagen.«

      »Aber nicht, daß auch meine Kinder gesund sein werden«, sagte sie. »Wir müssen dies vernünftig überdenken, Tim. Unsere Liebe hat damit nichts zu tun. Du bist jung, du bist der einzige Sohn deines Vaters und –«

      »Rede doch nicht immer von mir«, unterbrach er sie wieder.

      »Aber das muß ich doch, weil ich dich liebe«, erwiderte sie ernsthaft. »Gerade darum. Ich kann dich doch nicht unglücklich machen, Tim. Ich will das alles ganz klar sehen.«

      »Deine Mutter hat ein Testament hinterlassen, Constance. Vielleicht steht da etwas drin, was wichtig über die Vergangenheit ist. Ich meine über eure Familie. Es ist doch gar nicht erwiesen, daß es die Parkinsonsche Krankheit war. Auch Ärzte können sich irren, und Daniel Norden räumt das auch ein.«

      »Du meinst, man sollte eine Obduktion vornehmen, Mama zerlegen, um Klarheit zu bekommen? Nein, das lasse ich nicht zu. Sie hat genug gelitten.«

      »Aber jetzt leidet sie nicht mehr, und anderen Menschen könnte vielleicht geholfen werden, Constance«, sagte Tim. »Meine Eltern und ich haben verfügt, daß im Falle unseres Todes alle brauchbaren Organe verpflanzt werden können.«

      Sie starrte ihn an. »Das sagst du so einfach«, flüsterte sie. »Mein Gott, du bist doch noch so jung.«

      »Wissen wir, wann und wie uns das Ende ereilt, Constance?« sagte er ruhig. »Du hast es doch selbst gesagt, wir werden geboren, und wir müssen sterben, das ist alles, was gewiß ist. Ich will leben, mit dir leben, mit dir gücklich sein, wie mein Vater mit Clarissa glücklich ist, aber ich denke, daß es gut ist, sich Gedanken zu machen, wie man anderen eine Chance geben kann zum Überleben, wenn man selbst diese Chance nicht bekommt. Es liegt doch nicht bei uns, den Zeitpunkt festzusetzen, wenn man aus dem Leben geht.«

      »Manche tun das«, sagte Constance leise. »Sie bestimmen die Stunde.«

      »Ich glaube, daß jenen dies auch vorausbestimmt ist«, sagte Tim, »und mir ist es bestimmt, dich zu heiraten und so lange mit dir glücklich zu sein, wie Gott es will. Ich glaube nämlich an Gott. Sieh es doch auch so, Constance, ich mußte dich treffen, und ich wußte, daß ich dich liebe. Ich habe das nicht nur so gesagt. Und einen Menschen lieben, bedeutet, alles mit ihm zu teilen und alles zu ertragen.«

      Er hielt sie fest umschlungen. »Wir bleiben zusammen, Constance«, sagte er zärtlich.

      Ein zitternder Seufzer entrang sich ihrer Brust. »Dann sprich du mit Dr. Norden und Dr. Behnisch. Aber zuerst will ich wissen, was Mama selbst bestimmt hat. Vielleicht hat sie das in ihrem Testament alles niedergeschrieben.«

      »Du hast keine anderen Verwandten, die dir Schwierigkeiten bereiten könnten?« fragte Tim.

      »Wieso Schwierigkeiten?« fragte sie.

      »Wegen des Testamentes.«

      »Nein, Mama und ich waren immer allein. Was an Geld da ist, hat sie wohl sowieso für mich angelegt.«

      Sie ging in die Küche und setzte Wasser für einen Kaffee auf.

      »Möchtest du etwas essen, Tim?« fragte sie leise.

      »Jetzt nicht.«

      »Dann werden wir lesen, was Mama bestimmt hat.« Ihre Stimme bebte. »Es muß noch so viel erledigt werden. Ich muß auch dem Chef Bescheid sagen.«

      »Das besorge ich«, erklärte Tim. Er griff nach dem Telefon, aber Constance nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Ich sage es ihm selber. Du weißt ja, wo die Mappe liegt. Hol sie schon aus dem Schrank.«

      Davor schien sie am meisten Angst zu haben, denn als sie ihrem Chef sagte, daß ihre Mutter gestorben sei, klang ihre Stimme ziemlich ruhig.

      Aber als sie den Umschlag in die Hände nahm, zitterten ihre Finger.

      »Vielleicht wollte mir Mama etwas mitteilen, was meinen Vater betrifft«, flüsterte sie, »etwas, was sie mir nicht sagen wollte, solange sie lebte. Etwas, was ich vielleicht gar nicht wissen möchte.«

      Sie blickte auf. »Willst du es nicht zuerst lesen, Tim?« fragte sie.

      »Wir