Roland Lazenby

Kobe Bryant


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Joe Bryants Leben als Basketballer änderte sich aufgrund des kulturellen Unterschieds. Obwohl Fußball in Südeuropa weitaus populärer war, zeigten die Italiener doch ein bemerkenswertes Interesse an ihren lokalen Basketballteams. Italienische Vereine durften nur ein Maximum von zwei Amerikanern in der Mannschaft haben. Die Gehälter, die gezahlt wurden, waren für die Legionäre aus Übersee zufriedenstellend, genauso wie der Spielplan, der viel mehr Zeit für die Familie ließ als der Spielplan der NBA, wo es zwischen drei und fünf Spielen pro Woche gab und man permanent auf Achse war.

      In Italien lag der Schwerpunkt auf den Trainingseinheiten, von denen es normalerweise immer zwei pro Tag gab, etwas das im amerikanischen Profibasketball undenkbar wäre. Spiele gab es in der Regel nur einmal pro Woche, meist sonntags, und die Saison dauerte von Oktober bis Mai.

      „Ich kann die Kinder zur Schule bringen und sie am Nachmittag wieder abholen“, erklärte Joe der Philadelphia Tribune. Während sich Jellybean in der NBA wie in einem Käfig vorgekommen war, begann er sich in der italienischen Liga recht schnell wohlzufühlen. Langsam avancierte er dort zum Star mit einem Durchschnitt von 30 Punkten pro Spiel (man muss erwähnen, dass er die meisten Spiele gegen Spieler im Alter von 18 oder knapp darüber spielte). Wenn er Lust hatte und seine Show abziehen wollte, war das kein Problem dort. Auf den Rängen stimmten die Fans Gesänge über sein Können an. Einer dieser italienischen Schlachtgesänge, den sich Kobe gemerkt hatte, ging etwa so: „Wer ist besser als Magic oder Jabbar? – Joseph, Joseph Bryant!“.

      Über den Winter 1987 erzielte Joe im Schnitt 37,8 Punkte für Rieti. Sein größter Fan blieb jedoch sein Sohn, der ihn zu vielen seiner Trainings begleitete. „Er spielte mit so viel Charisma“, erzählte Kobe später einmal über die Jahre, die sein Vater in Europa gespielt hatte. „Er brachte mir bei, das Spiel zu genießen.“

      Der Umzug nach Italien bewirkte nicht nur, dass Joe mehr Zeit mit seinen Kindern verbringen konnte, sondern hatte auch sehr positive Auswirkungen auf seine Ehe mit Pam. „Pam und ich verbringen nun viel mehr Zeit miteinander als zu meiner Zeit in der NBA“, vertraute er einem Reporter 1986 einmal an. „Wir sind nun auch beste Freunde. Freunde und Liebende. Wir gehen gemeinsam laufen und trainieren zusammen im Fitnessstudio. Wir joggen für fünf oder sechs Meilen. Pam läuft ihre acht bis 10 Meilen. Vielleicht melden wir uns nächstes Jahr bei einem Rennen an. Eigentlich wollte Pam nicht weg aus Philadelphia, doch jetzt fühlt sie sich richtig wohl.“

      Neben Basketball nahmen Kobe und seine Schwestern Ballettunterricht, und Shaya fand genauso viel Gefallen am Karatetraining wie ihr Bruder. Die Schulen, die sie besuchten, waren katholisch und wurden von strengen Nonnen geleitet, die den Kindern eine erstklassige Erziehung angedeihen ließen.

      „Meine Kinder können schon so gut Italienisch, dass sie sogar im landesweiten Fernsehen interviewt wurden“, sagte Joe. „Mein Vater muss sie immer darin erinnern, Englisch zu sprechen. Pam und ich sind gerade dabei, die Sprache zu lernen. Den Sportteil kann ich bereits lesen. Die italienischen Zeitungen gehen nicht gerade zimperlich mit ihren Fußballern um, wenn sie ein schlechtes Spiel hatten.“

      Fußball war mit Abstand Sport Numero Uno in Italien. Sogar die wenigen öffentlichen Basketballplätze, die es gab, mussten immer wieder als kleine Fußballfelder herhalten. In seiner Zeit in Übersee wurde Kobes Einzelgängertum, das er mit seiner Mutter teilte, noch ausgeprägter. Er ging auf den Sportplatz und begann allein Werfen zu üben und an seiner Technik zu arbeiten. Wenn ein paar italienische Kinder auftauchten und spielen wollten, teilte er den Platz mit ihnen. Wenn dann noch mehr hinzukamen, dauerte es meist nicht lange, bis sich eine Mehrheit fand, die doch lieber Fußball spielen wollte. Das war dann auch der Punkt, an dem Kobe sein Training beenden musste und sich ihnen anschloss. Mit seinem sehr schlanken, hochgewachsenen Körper war er der ideale Tormann. Einige seiner Freunde von damals erinnern sich, dass er auch ein wirklich guter Stürmer war, was sich an seiner Beinarbeit und seinen Dribbelkünsten zeigte.

      Fußball begann ihm richtig Spaß zu machen und so wurde er auch zu einem lebenslangen Fan, doch selbst dieser Sport vermochte den eisernen Griff des Basketball, in dem er gefangen war, nicht zu lösen.

      Schlussendlich war es Pam und nicht Joe, die einen Korb zu Hause aufstellen ließ, was seinen Fanatismus für den Sport noch schneller wachsen ließ und seine Tendenz, sich von anderen Kindern zu isolieren.

      Seine Großeltern in Philadelphia versuchten die Verbindung der Familie zur amerikanischen Kultur am Leben zu erhalten, indem sie viele Videos von Sportereignissen, meist Basketball, und verschiedene TV-Sendungen, speziell die Cosby Show, schickten. Angeblich war Kobe von dem, was er auf den Videos sah, so beeindruckt, dass er eine Zeit lang Breakdance machte. Was jedoch weitaus wichtiger war, waren die Basketballspiele, von denen er etwa 40 pro Saison zugesandt bekam.

      „Sie sandten uns alle möglichen TV-Serien und Filme“, erinnert er sich. „Doch, worauf ich mich immer am meisten freute, waren die Basketballspiele. Ich brauchte die Videos, denn drüben hätte ich bis drei Uhr früh aufbleiben müssen, um sie zu sehen, aber ich hatte am nächsten Tag Schule. Das kam also nicht in Frage. So musste ich eben auf die Videos warten. Ich wartete immer ungeduldig auf den Postboten, dass er die Kassetten in unseren Briefkasten legte.“

      Bald schon abonnierte Joe einen Service, der Videos von Spielen lieferte. Joe und Kobe sahen sich die Videos gemeinsam an, und passten besonders auf die Details auf, wie Beinarbeit – eine Einführung in Drop-Steps, Jab-Steps und V-Cuts – sowie die unterschiedlichen Offensiv- und Defensivstrategien der Teams in der NBA und ihrer Stars.

      „Ich habe mir alle angesehen, von Magic Johnson über Larry Bird bis hin zu Michael Jordan und Dominique Wilkins“, erinnert sich Bryant. „Ich habe mir ihre Moves angesehen und in mein Spiel übernommen.“

      Und so begann er sich anzugewöhnen, Spielmitschnitte zu studieren, normalerweise eine Aufgabe der Assistenztrainer. Als er dann in die NBA kam, verbrachte Kobe jeden Tag Stunden damit, seine eigene Leistung und die seiner Gegner bis ins kleinste Detail zu analysieren. Weit genauer und akribischer als es irgendein anderer NBA-Profi jemals tun würde.

      In Italien pausierte der junge Kobe das Video und verlangsamte die Geschwindigkeit, um sich eine Sequenz nach der anderen anzusehen, wobei sein Vater oft daneben saß und ihn auf die wichtigsten Details hinwies. Wenn Joe nicht da war, studierte Kobe die Videos allein und verinnerlichte ganze Abläufe, vor allem jene, die Absichten und Tendenzen von Spielern verrieten. Im Alter von neun Jahren hatte er sein erstes Scouting-Video über einen recht unbekannten Guard der Atlanta Hawks namens John Battle zusammengestellt.

      Zu dieser Zeit hatte auch Michael Jordan begonnen der NBA seinen Stempel aufzudrücken, doch der unangefochtene Star im Haushalt der Bryants, während Kobes Kindheit, war Magic Johnson. „Ich wollte damals nur Magic sehen“, erinnert er sich. „Alleine der Enthusiasmus, den er ausstrahlte, wenn er spielte. Er liebte es, auf dem Platz zu stehen, das konnte man sofort erkennen. Seine Pässe waren der reinste Wahnsinn.“

      Die Lakers waren damals auf dem Höhepunkt angelangt und hatten dank Johnsons unglaublicher Ballkünste in den 1980ern einen Dauerplatz in der Finalserie der NBA gebucht. Das machte das L.A. Franchise zum Liebling der TV-Stationen. Kobes Zimmer glich einem Schrein für Magic Johnson, dominiert von einem riesigen Poster des Lakers-Point-Guards. Es war kein Zufall, dass Kobes Vater Johnson immer als Beispiel für den kompletten Basketballer zitierte.

      Auf dem Fernseher daheim spielte er Magics Highlights rauf und runter, worüber einige seiner Kritiker später recht überrascht waren, da sich so wenig von diesem großen Passgeber in Bryants eigenem Spiel als Profi wiederfand. Obwohl Joe Kobe Videos von sich selbst aus vergangenen Tagen anbot, brauchte Kobe sie nicht.

      Joe spielte eins-gegen-eins mit Kobe, wann immer er konnte, doch mit so vielen Trainingseinheiten war es unmöglich für Joe, Kobes unstillbaren Durst nach Basketball zu befriedigen.

      Also begann Kobe, allein gegen sich selbst zu spielen. Er nannte es „Schattenbasketball“. „Ich spiele gegen meinen eigenen Schatten.“ Dazu bedurfte es auch unglaublicher Fantasie, die NBA-Stars, deren Bewegungen er von den Videos her auswendig kannte, zu visualisieren. Ähnlich wie Jerry West, der 40 Jahre davor – als dürrer Junge aus den Bergen Virginias –