einmal Sorgen über ein Leben nach seiner Zeit als Profi, hatte er doch keinen Collegeabschluss. Vielleicht könnte er es als Trainer probieren? Nach sechzehn Jahren Profibasketball hängte er seine Schuhe an den Nagel, nur wenige Tage nachdem Johnson seinen Rücktritt erklärt hatte. Jellybeans Basketballreise brachte ihn, soweit es ging. Nun war Kobe an der Reihe und sein Weg begann immer schneller nach oben zu führen.
Im Sommer 2013 besuchte Kobe Ciriglio, mit Rucksack und pastellfarbenem Leibchen. Er posierte für Fotos neben dem Ortsschild und besuchte den kleinen Basketballplatz zwischen den Bäumen, auf dem er immer gespielt hatte, der allerdings schon halb verfallen war, genauso wie das verlassene Fußballfeld darunter. Die Zeit war auch hier nicht stehengeblieben.
In Pistoia besuchte er zusammen mit seinem Bodyguard die alte Basketballhalle, die gebaut worden war, als er zehn war. Er ging schnurstracks nach oben und wusste noch genau, wo die Türe war, durch die er immer ohne Schlüssel in die Halle gelangt war. Er ging die Galerie der Arena ab und blickte hinunter auf das Spielfeld, wo er als Balljunge früher seine Halbzeitshows abgezogen hatte. Dort stand er nun und ließ die Erinnerung an sich vorbeiziehen. Danach verließ er schnell die Halle.
Im Jahr 2015 kam er noch einmal nach Pistoia, wo er eines Morgens zur Überraschung aller ohne Vorwarnung im Stadtzentrum auftauchte. „Ist das wirklich Kobe?“, fragten sie.
Alessandro Conti, der damalige Pressebeauftragte des Vereins, hörte, dass Kobe in der Stadt war und lief von seinem Haus hinüber, um ihn zu begrüßen. Aber der Superstar war bereits wieder verschwunden und hetzte bereits zum nächsten Ort, um die vielen Stationen seiner Kindheit zu besuchen.
Kapitel 10
LOWER MERION
Knapp vor den US-Präsidentschaftswahlen im November 1991 kehrten die Bryants nach Philadelphia zurück und ein relativ unbekannter Politiker aus Arkansas namens Bill Clinton hatte sich gerade die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten gesichert.
Die Bryants zogen wieder in ihr altes Vorstadthaus in Wynnewood und schon lieferten sich Joe und sein Sohn legendäre Duelle in der Auffahrt. Da Kobe nun schon größer und auch als Spieler besser war, musste Joe viel körperlicher spielen, um sich gegen seinen Sohn zu behaupten. Die daraus folgenden blutigen Lippen und Schreiduelle trieben eine verärgerte Pam immer wieder aus dem Haus, um die beiden Streithähne voneinander zu trennen. Dabei warf sie Joe böse Blicke zu.
Ein paar Tage vor Thanksgiving – nur wenige Wochen nachdem Magic Johnson seine Erklärung zu seiner HIV-Infektion abgegeben hatte – starb Freddie Mercury, der Frontman der britischen Rockband Queen, an AIDS, was die Emotionen bei den Lakers und ihren Fans, die ein ähnliches Schicksal für Johnson befürchteten, noch weiter hochgehen ließ. Das Franchise befand sich in einem allgemeinen Trauerzustand und ohne Johnsons Führungsqualitäten wurde das Spiel der Lakers zusehends schlechter.
Inzwischen bereitete Kobe Bean sich auf seine Zeit an einer amerikanischen Highschool vor. Als Achtklässler hatte er Probleme, sich in der urbanen afroamerikanischen Welt zurechtzufinden. In den acht Jahren in Übersee hatte er eine komplett andere Identität aufgebaut. Seine Schulkollegen aus den Vororten Philadelphias wunderten sich über ihren neuen Klassenkameraden mit dem eigenartigen Akzent. Wie immer stürzte er sich sofort in den Basketballsport. Er fand einen anderen Jungen in der Nachbarschaft, Robby Schwartz, der zwar kleiner und noch dünner war als er, doch in vielerlei Hinsicht genauso getrieben wie Kobe. Robby diente ihm als Trainingspartner beim Werfen und Üben seiner Moves. In den Eins-gegen-eins-Spielen über den ganzen Platz gewann Schwartz vielleicht zehn aus hundert Spielen.
Bryant war nun gut über 1,80 groß und sehr dünn. Dazu kamen die langen Arme, die wie Schlangen aus seinen knochigen Schultern krochen. Seine Trainer erlebten ihn als barschen und ungeduldigen Jungen, der sich nicht damit abfinden konnte, wenn er in einem Spiel ausgewechselt wurde. Das ging so weit, dass Joe sogar damit begann, auf Italienisch auf ihn einzureden, um ihn zu beruhigen. Doch mit seinem Egoismus stieß er die anderen immer wieder vor den Kopf. Offensichtlich musste sich Bryant immer und immer wieder aufs Neue beweisen.
Die erste Gelegenheit dazu ließ nicht lange auf sich warten. An seinem ersten Tag an der Bala Cynwyd Junior High saß er gerade beim Mittagessen in der Schulkantine als ein anderer Junge zu ihm hinüberging und sich neben ihn stellte. „Ich habe gehört, du sollst ein ziemlich guter Basketballer sein“, sagte er zu Kobe. „Wenn du also der Chef hier am Platz sein willst, dann musst du erst einmal den richtigen Chef hier besiegen.“
„Also spielte ich gegen ihn nach der Schule“, erzählt Bryant. „Ich habe ihn zu null besiegt und mir den Respekt der anderen verdient. Dieses Sich-mit-jemandem-Messen war genau das, was ich die ganze Zeit über in Italien gesucht hatte. Ich konnte das Adrenalin in meinen Adern spüren. Der Typ hatte keine Ahnung, was da mit ihm geschah.“
Der „Chef“ von der Bala Cynwyd Junior High blieb nicht der einzige, der von einem 13-jährigen Kobe gedemütigt wurde. Nun doch schon um vieles älter hielt sich Mo Howard immer noch für einen soliden Basketballspieler und spielte mit einer Gruppe alter Freunde, zu der auch Joe gehörte, in einem Fitnessstudio in Philadelphia. „Wenn wir einen oder zwei Spieler zu wenig hatten, fragten wir einen unserer Söhne, ob sie mitspielen wollten“, erzählt Howard. „Junge, Junge, ich sage dir, das erste Mal als Kobe mitspielte, war es meine Aufgabe ihn zu decken. Der Kleine hat mir den Arsch versohlt. Der war damals erst dreizehn. Du kennst sicher noch den Blick, den er draufhatte, als er später für die Lakers scorte? So sah er mich damals schon an. Dieses Kid hat mein Ego komplett zerstört.“
Die Nachricht von dem Neuen im Team der Bala Cynwyd, dem Sohn eines Basketballspielers, machte schnell die Runde. Gregg Downer, der 33-jährige Trainer an der nahegelegenen Lower Merion High, kam vorbei, um sich diesen Achtklässler anzusehen. „Als ich zu dem Spiel ging, war das nicht gerade die Kobe Bryant-Show, die ich mir erwartet hatte“, sagte Downer 2015 in einem Interview. „Er wurde die ganze Zeit ein- und ausgewechselt. Es war schwer zu sagen, wie gut er wirklich war. Er war dünn, etwas über 1,80 m groß und hatte vielleicht knapp über 60 Kilo. Es sah so aus, als wollte er auf der Position des Point Guards spielen. Das soll heißen, dass er immer den Ball haben wollte.“
Downer war in seiner zweiten Saison Coach an der Lower Merion, einer Highschool, die im vorstädtischen Montgomery County ihre letzte Meisterschaft im Jahr 1943 gewonnen hatte. Er suchte nach einem Weg, das Basketballprogramm der Schule wieder auf Erfolgskurs zu führen und dieser magere Junge auf dem Parkett mochte ein Teil der Lösung für dieses Problem sein.
Also lud Downer den neuen Achtklässler zu einem Training der Schulauswahl an der Lower Merion High ein. „Dort konnte ich ihn mir genauer ansehen.“ Das zukünftige Talent tauchte mit seinem 2,10 m großen Vater auf. „Als ich mit Kobe mit dem Training begann, stand Joe in einer Ecke. Ich begann eins und eins zusammenzuzählen und langsam dämmerte es mir, wer da stand.“
Downer hatte in den 1980ern als Point Guard für das Lynchburg College gespielt, einem Team aus Virginia in der dritten College-Division. Doch in den 70ern war er ein Hardcore Sixers-Fan gewesen, mit Saisonkarten für das Spectrum. Sein großes Vorbild war Doug Collins, doch nun kamen auch seine Erinnerungen an Jellybean wieder zurück. Er erinnerte sich sogar daran, dass Jellybeans Vater nicht weit von ihm im Spectrum saß.
Schon nach kurzer Zeit erkannte Downer, dass er hier jemanden mit der Begabung eines Profibasketballers vor sich hatte, der – obwohl noch fast ein Kind – die Spieler von Downers Schulauswahl nach Belieben an die Wand spielte.
Die älteren Spieler der Lower Merion sahen dies genauso und es wurde ihnen zum ersten Mal bewusst, dass ihr sportliches Leben hier an der Highschool schon bald von einem Freshman bestimmt werden könnte.
„Wenn du einmal sein Grundtalent, das er mitbrachte, gesehen hast“, erinnert sich Downer, „und wusstest, woher er kam und seine Arbeitsmoral und Führungsqualitäten sahst, dann wusstest du, dass du hier jemanden ganz Speziellen, ja sogar Einzigartigen, vor dir hattest.“
Im Verlauf des Trainings flüsterte er seinem Assistenzcoach zu, dass Kobe der Typ Spieler war, der ihnen