Hill League auf Kobe. Beide hatten sie zwar gerade erst die achte Klasse abgeschlossen, doch sie spielten in der höchsten Klasse bei den Siebzehn- und Achtzehnjährigen mit.
Carr hatte schon einiges über diesen Sohn eines NBA-Spielers mit endlosem Potenzial gehört. „Aber das erste Mal als ich ihn sah“, erinnert sich Carr, „war da nur ein magerer, großgewachsener Junge mit zwei Knieschonern. Gar nicht so, wie ich ihn mir vorgestellt hatte. Er befand sich noch im Wachstum und hatte Probleme mit seinen Knien. Deshalb hatte er auch Probleme mit dem In-die-Knie-Gehen. Er war wirklich groß. Lange Arme, langer Körper. Er war fast 1,90 m.“
Die Knieprobleme stellten sich als Morbus Osgood Schlatter heraus, eine schmerzhafte Reizung der Patellasehne vor allem bei Jugendlichen, die viel Sport betreiben. Dieses Problem machte ihn langsam und schwerfällig. Um in diesem Zustand einen Wurf anzubringen, musste er seine Gegenspieler an eine bestimmte Stelle locken und ihr Timing beim Blocken mittels einer Serie von Pump Fakes, also angedeuteten Würfen, durcheinanderbringen, um zu werfen. Einmal in der Luft hatte er genügend Höhe, um über die Verteidiger hinwegzuwerfen, erinnert sich Carr. „Ehrlich gesagt, es war schon ein gewisses Potenzial zu sehen, aber es war jetzt nicht so außergewöhnlich. Er war eben noch nicht so schnell und explosiv wie er es einige Jahre später sein sollte. Damals war er dieser schlaksige Junge, der sich in Zeitlupe bewegte und wir dachten uns eben: Er ist schon gut, aber ist er wirklich so gut, wie alle sagen? Natürlich hat ihm das niemand ins Gesicht gesagt, aber wenn wir untereinander waren, war die einhellige Meinung, dass er echt nicht so speziell war, wie alle taten.“
Die große Highschoolrivalität zwischen Carr und Bryant begann in jenem Sommer in der Sonny Hill League. „Unsere Rivalität nahm ihren Anfang, weil wir uns gegenseitig mit Trashtalk zulaberten. Kobe kam zwar aus der Vorstadt, doch er benahm sich nicht wie jemand, der aus der Vorstadt war, das habe ich immer gesagt. Er benahm sich wie ein Kid aus der Stadt. Das war echt, nicht imitiert. Er hatte immer diese typische Abgebrühtheit von jemandem aus Philadelphia und diese Mentalität, nie aufzugeben. Er liebte Herausforderungen.“
Carr sah, dass Kobe viel Zeit damit verbrachte, immer neue Herausforderungen und Motivationen für sich zu suchen. „Er hatte damals schon diese Einstellung, die man ihm später nachsagen würde. Er suchte immer nach etwas, das das Feuer in ihm weiter anfachte und ihm half, immer am Limit zu spielen.“
Eddie Jones, damals ein knapp 2 m großer Forward an der Temple University, war einer von vielen, die Kobe in der Hill League spielen sahen. „Schon mit dreizehn konnte er die anderen in Grund und Boden spielen“, erinnert Jones sich.
„Es war ein großartiger Bewerb, der echt Spaß machte“, sagt Bryant über die Sonny Hill Liga. „Eddie Jones kam immer wieder vorbei und Aaron McKie und Rick Brunson. Das waren die Jungs von der Temple University, die nach uns spielten. Da blieb ich immer länger und sah ihnen zu. Eddie hat mich immer in sein Team geholt, wenn sie zum Spaß gegeneinander spielten.“
Frühe Aces
In jenem Herbst an der Lower Merion erkannte Downer, dass Bryant eine erstaunliche Arbeitsmoral hatte. Er puschte sich durch ein mörderisches Programm aus Konditions- und Gewichtstraining sowie nonstop Basketballtraining. Bei allen Mannschaftstrainings versuchte er immer der Beste zu sein. Vier Jahre lang hatte er in dieser Hinsicht eine makellose Bilanz. „Als ich sah, wie gut Kobe Bryant war, holte ich Leute aufgrund ihres spielerischen Könnens in den Trainerstab“, sagt Downer.
„Meine einzige Intention war es, Leute zu finden, die den Jungen decken und mit ihm mithalten konnten und eine Herausforderung für ihn waren.“
So heuerte er einen ehemaligen Collegespieler, einen athletischen Guard namens Jimmy Kieserman an. Dann überredete er seinen eigenen Bruder, Drew, der groß und kräftig war, sein Büroleben aufzugeben und als Coach zu arbeiten. Der Witz war, dass alle dachten, sie hüpfen nur kurz einmal ins Flugzeug, kommen rüber und spielen ein wenig Guard gegen diesen 14-Jährigen. Das sollte doch kein Problem sein. Doch das Lustige daran war, dass dieser junge Freshman sie alle alt aussehen ließ auf dem Spielfeld. Downers nächster Schachzug war, den Vater des Jungstars ins Boot zu holen, vor allem da er besorgt war, dass so ein kleines Sportprogramm wie das der Lower Merion seinen neuen Star schnell an eines der großen, alteingesessenen Programme, wie etwa das der Roman Catholic – zu deren Mannschaft Carr zählte – verlieren könnte. Wenn Kobes Vater als Coach für ihn arbeitete, würde dies die Bindung zur Lower Merion stärken; plus, die beiden Töchter der Bryants gingen auch auf die Lower Merion, wo sie sich gut eingelebt hatten und Volleyball spielten. Diese Gefahr hing noch einige Saisonen wie ein Damoklesschwert über seinem Team. Doch mit der Zeit wurde immer deutlicher, dass Bryant ein Programm haben wollte, bei dem er den Ton angab, wo er die Spielzeit bekam, die er benötigte, um sich weiterzuentwickeln, ein Programm, das zu seiner Einstellung passte.
„Die ersten paar Male, als wir gegen Schulen aus der Innenstadt spielten, redeten alle über mich“, erklärte Kobe einmal. „Die Hälfte von ihnen sagte, ich wäre ein verweichlichter Vorstadtjunge.“
Diese negative Stimmung war zum Teil der Leistung der Lower Merion in Bryants Freshman-Jahr geschuldet. Unter Downer hatte das Team im Jahr davor stolze 20 Siege erreicht. Die Erwartungen lagen nun hoch, doch die Abgänge einiger Spieler nach ihrem Abitur und Verletzungen hatten den Roster ausgedünnt. Und so legten die Lower Merion Aces in der Saison 1992/93 mit Kobe Bryant als Starter eine enttäuschende 4-20 Saison hin.
„Das war nicht gerade schön“, sagt Downer. Es war auch der Punkt, an dem der Trainer und sein zukünftiger Star herausfanden, wie sehr sie es beide hassten zu verlieren. „So viele Niederlagen bedeuteten fast den Weltuntergang für ihn“, sagt Downer und zu verlieren machte es auch schwieriger ihn auszuwechseln. „Er machte alles im Team, er spielte auf jeder Position, doch es war so gut wie unmöglich, ihn auf die Bank zu setzen, das kann ich Ihnen sagen.“
Wie schon sein Vater hatte Kobe Bean auch die Angewohnheit immer wieder schlechte Würfe zu nehmen. Aus diesem Grund nahm Downer ihn immer wieder vom Feld, damit er sich dieses Verhalten abgewöhnte. „Zumindest haben wir es ein paar Spiele lang versucht, doch das war keine so gute Idee“, erinnert sich Downer. „Er hat uns immer bitterböse angesehen und dabei herumgeschrien. Er konnte es nicht leiden, ausgewechselt zu werden.“ Wenn es zu heftig wurde, redete Joe auf Italienisch auf Kobe ein, um ihn wieder zu beruhigen. Downer verstand zwar kein Wort, doch es schien zu funktionieren. „Ich glaube, Joe war ein guter Puffer“, erklärte Downer. „Kobe schrie mich nicht oft an, doch wenn er es tat, musste er seinem Vater Rede und Antwort stehen.“
Es war also nicht verwunderlich, dass Coach Downer seine Idee mit dem Auswechseln nochmals überdachte. Auch der Trainerstab passte sich der neuen Spielphilosophie an: Ein schlechter Wurf von Kobe ist besser als ein Fehlpass eines seiner Mitspieler.
„Er hatte Spielintelligenz, das war offensichtlich“, erklärt der Trainer. „Er gab exzellente Pässe, auch schon als Freshman. Er machte seine Mitspieler einfach besser. Ich glaube, in der Zeit als wir spielerisch in der Krise waren und niemanden hatten, um unsere Abgänge zu ersetzen, sagte er sich: Jetzt muss ich hier wohl das meiste alleine machen. “
Das war natürlich ein ausgezeichneter Nährboden für Spannungen zwischen dem jungen Bryant und seinen älteren Mitspielern – die gleichen Spannungen, die schon in Italien zum Vorschein gekommen waren und die es auch in der Zukunft in der NBA geben würde.
„Mit der Zeit kam das Alphatier in ihm immer mehr zum Vorschein“, sagt Downer über Bryants dominante Persönlichkeit. Doch der springende Punkt für jeden Trainer in dieser Lage war, dass Bryants Anwesenheit vieles leichter machte. „Was unsere Arbeit einfacher machte, waren seine Arbeitseinstellung und dass er alles, was ihn besser machen konnte, aufsaugte wie ein Schwamm“, erzählt Downer. „Man musste ihm nie etwas zweimal sagen, so wie es oft bei anderen der Fall ist. Mit Kobe hatten wir nun zwar das Mittelstück, aber wir hatten nichts darum herum.“
Er war der Schnellste und arbeitete am härtesten von allen im Team. Er konfrontierte seine Mitspieler und zog sie zur Verantwortung. Natürlich führte ein solches Verhalten unweigerlich zu Spannungen im Team, vor allem aufgrund der vielen Niederlagen im ersten Jahr. „Selbst seine