Evan Monsky, einer der älteren Spieler des Teams damals, sagt, dass man, wenn man auf Bryants Verhalten zurückblickt, auch verstehen muss, dass sein Drang der Star zu sein, nicht die omnipräsente, alles bestimmende Eigenschaft seiner Persönlichkeit war, wenn er in der Kabine saß. „Er war ein normaler, fröhlicher Junge, der lachte und Witze riss, genauso wie alle anderen.“
Trotzdem war es nicht immer leicht für die Coaches Kobe Beans überschäumendes und anmaßendes Verhalten zu schlucken. „Ich habe ihn immer ein wenig stur empfunden“, gibt Downer zu. „Ich fand ihn auch immer ein wenig arrogant. Aber das sind eben die Eigenschaften, die dich groß machen.“
Downer spielte gerne eine Front the Post-Verteidigung, bei der sich die Verteidiger vor den gegnerischen Post-Spielern positionierten, um zu verhindern, dass diese angespielt werden. „Einmal fauchten wir Kobe an, er solle sich vor seinen Gegner stellen und er sagte darauf: ‚So werde ich aber nicht in der NBA spielen.‘ ‚Das ist hier auch nicht die NBA‘, schrien wir dann zurück.“
Manche meinen, dass Kobe Bryant das Programm an der Lower Merion diktierte und dass dies nicht zuletzt durch die Tätigkeit seines Vaters im Trainerstab gefördert wurde. Darin mag vielleicht sogar ein Körnchen Wahrheit stecken, doch Downer machte immer klar, dass Joe Bryant niemals etwas Unangemessenes tat und seine Aufgaben als Trainer pflichtbewusst erfüllte und ein solider Coach für die Junioren und exzellenter Assistenztrainer für die reguläre Schulauswahl war.
„Damals gab es etwas, das sie die ‚Gurt-Regel‘ nannten, das hieß, die Trainer durften beim Coachen die Bank nicht verlassen“, erinnert sich Downer. „Eine dämliche Regel, wirklich dämlich. Diese Regel verfolgte mich etwa zehn Jahre lang in meiner Trainerkarriere.“
In einem Spiel im ersten Jahr stand Joe einmal von der Trainerbank auf, um eine Schiedsrichterentscheidung zu diskutieren und wurde dafür prompt mit einem technischen Foul bestraft. Beim nächsten Spiel war er nirgends zu sehen. Einer der Trainer erblickte ihn dann während der ersten Hälfte irgendwo in den Zuschauerrängen sitzend. Downer sandte jemanden zu ihm, der ihn fragte, warum er nicht unten auf der Trainerbank war. Joe antwortete, dass er das Team nicht wieder in Schwierigkeiten bringen wollte und sich darum entschieden hatte, sich aus dem emotionalen Hexenkessel da unten etwas zurückzuziehen. Downer und die anderen Coaches mussten lachen, bestanden aber darauf, dass Joe wieder unten bei ihnen Platz nahm, da seine Anwesenheit zu wertvoll für das Team war. Abgesehen davon sprach keiner von ihnen Italienisch.
„Die Jahre mit Kobe Bryant prägten mich“, meint er. „Wissen Sie, wenn man alle Puzzleteile zusammensetzt und ihn sich jetzt ansieht, wie weit er es gebracht hat, seine Einzigartigkeit, dieser Fokus – das ist einfach unglaublich.“
Die Niederlagen in der ersten Saison machten es sicher nicht einfach für den jungen Trainer und seinen Freshman-Star, doch anstatt einen Keil zwischen die beiden zu treiben, schweißte es sie mehr zusammen.
„Im ersten Jahr war es wirklich schwer“, erinnert sich Bryant. „Ich glaube, am Ende stand es 4-20. Das war ein hartes Jahr. Doch es war eine neue Erfahrung für mich. Mein Coach an der Highschool war ein fantastischer Trainer. Oft blieb er noch nach dem regulären Training da oder kam noch vor dem Training, um mit mir zu üben. Er hatte großen Anteil daran, dass ich als Spieler gereift bin.“
Trotz der Enttäuschung über die klaren Niederlagen seiner Mannschaft in dieser Saison, demonstrierte Bryant immer wieder seine Athletik, was zu einigem Erstaunen in der Highschool-Basketballszene Philadelphias führte. Sein Talent und seine Motivation begeisterten viele Trainer in der Stadt. Sam Rines, Coach in der Amateur Athletic Union in Philadelphia und immer auf der Suche nach neuen Talenten, erinnert sich daran, als er Bryant zum ersten Mal sah. „Er war noch nicht so etabliert“, sagt Rines. „Ich meine, man konnte schon sehen, dass er gut war und er war der Typ, den man sich ansieht und dann sagt: ‚Verdammt noch mal, der ist erst in der neunten Klasse.‘“
Kurz danach erlitt der junge Bryant eine Knieverletzung und verpasste die letzten Spiele seiner Freshman-Saison. „Er war vierzehn und etwa 1,87 m“, erzählt Jeremy Treatman, ein lokaler Basketballjournalist und Kommentator. „Er war so dünn. Die Kniescheibe brach er sich, als er mit einem anderen Spieler leicht zusammenstieß. So dünn war er.“
Das gab Downer die Gelegenheit zu sehen, wie hoffnungslos das Team ohne Bryant gewesen wäre.
Auch nach der ersten Saison beobachtete Downer diesen immensen Druck, den Bryant ins Team gebracht hatte. Schnell begriff er, dass dieser Druck in den nächsten Jahren dramatisch ansteigen würde. Kobe Bryant hatte ein klares Ziel vor Augen und wenn du nicht mit an Bord warst, war er der Typ, der dich am Kragen packen und aus dem Zug werfen würde, das war klar und deutlich.
Kapitel 11
THE VIBE
Zwar hatte sich die Szenerie für Kobe Bryant geändert, doch die Dynamik blieb wie immer dieselbe. In seiner zweiten Saison an der Lower Merion erschien plötzlich ein weiteres farbiges Gesicht in diesem Meer flauschig weicher Blässe. Es war das Jahr, in dem er und Jermaine Griffin sich kennenlernten – der eine dem privilegierten Leben in Europa entflohen, der andere ein New Yorker aus dem Far Rockway in Queens.
Wie Kobe war Griffin im zweiten Highschooljahr, als er vom harten Pflaster in „Far Rock“ als Teil eines Jugendprogramms namens ABC, A Better Chance, an die Lower Merion kam. Er war einer von acht Jugendlichen, die zusammen mit einem Sozialbetreuer in einem Haus wohnten. Das Programm gab Jugendlichen die Chance, ihr Leben neu auszurichten. „Sie nahmen viele Jugendliche aus den innerstädtischen Bezirken“, erklärte Griffin 2015. „Ich hatte damals das Gefühl, dass es eine gute Idee wäre, daran teilzunehmen.“
Hier traf Griffin nun auf eine Welt, die das genaue Gegenteil von „Far Rock“ war, ein an der Küste New Yorks gelegener Bezirk voller Sozialwohnungen und tausender heruntergekommener Bungalows, die noch aus einer Zeit stammten, in denen Far Rockaway als beliebtes Ausflugsziel fernab des Asphaltdschungels galt. Inzwischen waren dort Schießereien, Drogen und Prostitution an der Tagesordnung. Dieses Klima der Gewalt stand im krassen Gegensatz zu der langsam beginnenden Aufwertung der Gegend, hervorgerufen von Yuppies, die begonnen hatten billig Grundstücke in dem Stadtteil aufzukaufen. Griffin hatte schon viel in seinem jungen Leben gesehen, doch A Better Chance bot ihm eine ganz neue Erfahrung. „Ich kam aus einer Gegend, wo vorwiegend Schwarze wohnten“, erklärt er. „An der Schule, die ich in Lower Merion besuchte, waren mehrheitlich Weiße. Das war ein Kulturschock für mich.“
Obwohl Basketball nichts mit seiner Entscheidung an diesem Programm teilzunehmen zu tun hatte, sollte es schnell zu einem wichtigen Element werden. Eine der ersten Personen, die Griffin bei seiner Tour durch die Schule traf, war Gregg Downer, dem Griffins Größe von knapp über 1,90 m sofort auffiel.
Schnell lernte er dann auch Kobe Bean kennen und beide empfanden schnell gegenseitigen Respekt. „Als ich ihn das erste Mal traf, war er ein cooler Junge“, erinnert sich Griffin. „Wir haben uns nur angesehen. Er machte sein Ding und ich meins.“
„Basketball gehörte sicher auch dazu“, meint Downer, „doch ich glaube, dass die Chemie zwischen ihm und Kobe einfach gepasst hat. Jermaine spielte quasi die zweite Geige in der Mannschaft. Er war sehr wichtig für uns und er wurde Kobes Freund.“
„Kobe war der mit dem größten Selbstvertrauen“, sagt Griffin. „Ich glaube, das war auch der Grund, warum wir so gut befreundet waren während unserer Schulzeit. Ich kam aus New York, das unterschied mich von den anderen hier und ich sprach auch anders, ein leicht anderer Dialekt, ein anderer Stil, und das hat es auch gebraucht.“ Damit konnte Griffin seinem neuen Freund auch ganz neue Perspektiven bei den Entscheidungen und Themen, mit denen sich Kobe auseinandersetzen musste, eröffnen.
Bryant durchlebte gerade seinen eigenen Kulturschock an der Lower Merion. Zwar schien er sich an dieser weißen Vorstadtschule recht wohlzufühlen, er war aber auch begierig darauf, typisch afroamerikanische Dinge kennenzulernen, um ein besseres Gefühl für seine kulturellen Wurzeln zu bekommen und sich nicht mehr wie ein Fremder in